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"Gelbe Westen" in Frankreich
Wild, wütend und entschlossen

Den fünften Samstag in Folge wollen die "Gelben Westen" heute in Paris gegen die Regierung protestieren. Wegen befürchteter Ausschreitungen wurden hohe Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Der Zusammenhalt innerhalb der Protestbewegung ist groß. Die Mitglieder eint die unendliche Wut auf die Regierung.

Von Barbara Kostolnik |
    Die sogenannten Gelbwesten protestieren in Frankreich
    Die Wut der "Gelbwesten" auf die Regierung ist enorm (imago / Omer Messinger)
    Ein schwerer LKW kommt um den Kreisverkehr vor Soissons im Nordosten Frankreichs gebogen, der Fahrer hupt, er unterstützt die Proteste der gelben Westen, obwohl er mindestens eine Stunde im Stau gestanden hat. Auch bei anderen Verkehrsteilnehmern ist wenig Kritisches zu hören
    "Das ist schon legitim, was die machen", sagt dieser Mann auf dem Weg zur Arbeit. "Es wird nur nichts bringen."
    Wut auf die Regierung
    Das glauben Yvette und Chantal nun ganz und gar nicht. Die beiden Rentnerinnen, 72 Jahre, stehen am Kreisverkehr, "Gelbe Westen", fester Blick:
    "Wir sind gegen diese Regierung, wir haben unsere Forderungen gestellt und wenn die Regierung die nicht erfüllt, dann bleiben wir hier, bis Weihnachten und länger. Wir kommen nicht für uns hierher, sondern für unsere Kinder und Enkel, die sollen es besser haben."
    Yvette bekommt 1.000 Euro Rente im Monat, sie beklagt sich nicht, sagt sie. Und die Kälte macht ihr auch nichts aus.
    "Wir machen Feuer, und da hinten gibt es eine Hütte, wir weichen nicht."
    Auf der anderen Seite des Kreisverkehrs ist die Jugend versammelt, Julien, 20 Jahre alt, ein Hüne in gelber Weste, Holzfäller von Beruf.
    "Die Hütte mit den anderen ist dahinten, ich bringe Sie hin, ich komme jeden Abend nach der Arbeit, mir reicht es einfach mit den ganzen Steuern, die nehmen uns doch alle auf den Arm, das ist eine Schande! Uns Franzosen, uns hilft man nicht, aber den Migranten schon, das ist nicht normal."
    Hundert Meter hinter dem Kreisverkehr haben die "Gelben Westen" – illegalerweise – eine Hütte und eine Suppenküche aufgebaut, es gibt alles: von allen für alle.
    "Die Leute bringen uns alles mögliche vorbei", erzählt Marie-Catherine, die hinter der Theke hin- und herwuselt. "Ravioli, Kaffee, selbst gebackenen Kuchen, wir haben sogar einen Herd und einen Kühlschrank, seit dem 17. November kommen die Leute und bringen, was sie können."
    Die "Gelbe Westen"-Gemeinde vor dem Café Gosports, wie sie ihren Treff genannt haben, ist eine verschworene Gemeinschaft: Sie eint vor allem eins: Unendliche Wut auf die Regierung – und den Präsidenten – dem sie alles zutrauen, alles Schlechte.
    "Schauen Sie sich doch mal diese Leute an der Regierung an, wie die sich die Taschen vollstopfen", schimpft Alain. "Und dann dieser Präsident, dieser arrogante Kerl, der uns verachtet und als Nichtsnutze beschimpft, die sind alle sowas von hochnäsig und hören uns einfach nicht zu."
    Alain würde den Präsident am liebsten in die Wüste schicken, er glaubt ihm kein Wort.
    "Es reicht, wir haben jahrelang die Linken gewählt, die Rechten, und jetzt sitzen wir in der Scheiße".
    Für wen hat er bei der letzten Wahl gestimmt?
    "Ich habe die Extremen gewählt, also nicht die Extremen, Marine Le Pen, 50 Jahre haben uns die anderen das Blaue vom Himmel versprochen, und nichts ist passiert".
    "Gelbe Westen" bieten Zusammenhalt
    Am Kreisverkehr sammelt sich das einfache Frankreich, das Frankreich der Dörfer, das sich der Digitalisierung und der Globalisierung hilflos ausgeliefert sieht. Dem eine gemeinsame Idee von Frankreich abhandengekommen ist. Die "Gelben Westen" bieten eine neue Heimat:
    "Wir haben seit dem 17. November ständig neue Leute kennengelernt", schwärmt die 30jährige Amelie. Sie steht an der Tonne, in der Holz brennt und wärmt sich. "Wir sind eine große Familie, trotzen Wind und Wetter, das ist herzlich hier und gesellig, das ist das Wichtigste".
    30.11.2018, Frankreich, Bernolsheim: Vier "Gelbwesten" wärmen sich in ihrem Protestcamp nahe Straßburg an einem Lagerfeuer.
    Der Zusammenhalt untereinander ist vielen "Gelbwesten" wichtig (picture-alliance / dpa / Violetta Heise)
    Ein paar Meter weiter schwingt Julien den Hammer, er zerteilt eine Palette für das Holz.
    "Wer will Suppe?", ruft Marie-Catherine. "Zum Aufwärmen, wer will Suppe?"
    "Das gallische Volk", steht auf der Hütte auf einem Schild. Es ist ein kriegerisches, hier wollen sie nicht weichen, sondern sich organisieren. Gerade haben sie einen Sprecher gewählt: Frederic, 42, ehemals LKW-Fahrer.
    "Macron sollte zurücktreten, der ist kein legitimer Präsident".
    Wer könnte ihn ersetzen?
    "Jemand, der das Volk im Blick hat, und zwar mehr als Europa, der mehr an Frankreich, an die Franzosen denkt."
    Oben am Kreisverkehr kommt die Polizei mit Blaulicht angefahren, sehr zur Belustigung von Jaqui.
    "Uns total egal. Die schauen, wie lang der Stau ist, sie haben uns schon ein paar Mal verjagt, aber sobald sie weg sind, sind wir wieder da. Sie löschen das Feuer, wir zünden es wieder an."
    "Gelbe Westen" wollen nicht aufgeben
    Nicht für alle ist die Situation so lustig wie für Jaqui und die Blockierer. Vor allem die LKW-Fahrer leiden unter der Situation. Sie kommen kaum vorwärts.
    "Ich stehe hier seit eineinhalb Stunden, sie behindern die Leute bei der Arbeit, dabei bin ich doch in der gleichen Lage wie sie", sagt Thierry. "Mir bleibt auch nicht viel am Ende des Monats, aber ich kann mir das nicht leisten, nicht zu arbeiten."
    Das können viele "Gelbe Westen" auch nicht. Aber sie machen weiter.
    "Wir halten die Stellung", versichert Amelie. "Wir rühren uns nicht vom Fleck."
    Allen Versprechen des Präsidenten zum Trotz.