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Gelenkte Demokratie

Sechs Jahre nach der "Orangenen Revolution" erlebt die Ukraine eine innen- wie außenpolitische Wende. Der seit Februar 2010 amtierende Präsident Viktor Janukuwitsch betreibt eine schrittweise Annäherung an Russland - und entfernt sich dabei von der Demokratie.

Von Roman Goncharenko | 30.08.2010
    Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Autos fahren über den Kiewer Prachtboulevard Chreschatik, Menschen eilen ihren Tagesgeschäften nach. Überall sieht man ukrainische Nationalflaggen mit den zwei horizontalen Streifen: blau und gelb. Vor wenigen Tagen, am 24. August, wurde der 19. Jahrestag der ukrainischen Unabhängigkeit von der Sowjetunion groß gefeiert.

    Und doch ist die Ukraine ein anderes Land geworden als noch vor sechs Monaten. Die Annäherung an Russland begann damit, dass der frisch gewählte Präsident Viktor Janukowitsch seine erste Rede nicht in der Staatssprache Ukrainisch, sondern auf Russisch hielt. Janukowitsch kommt aus dem Russisch-sprachigen Donezk im Osten der Ukraine. Dort bekam er auch die größte Unterstützung bei der Wahl.

    Bei der Symbolik ist es nicht geblieben. Im April unterzeichnete Janukowitsch und sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew einen Vertrag, der die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim um über 30 Jahre verlängert. Die russische Militärpräsenz auf der ukrainischen Halbinsel wurde damit zementiert. Im Gegenzug bekommt die Ukraine billigeres Gas aus Russland. Jeder zweite Ukrainer findet die neue Freundschaft zwischen Moskau und Kiew gut, so eine Umfrage. Auch dieser ältere Mann auf dem Chreschatik.

    "Ich bin ein Pragmatiker. Das war ein richtiger Schritt. Wirtschaftsbeziehungen aus Sowjetzeiten werden jetzt wiederhergestellt. Mein Sohn arbeitet in einem Betrieb, der die meisten Aufträge aus Russland und Weißrussland bekommt. Warum sollen wir diese Beziehungen kappen?"

    Die neue Führung in Kiew macht vieles, um Moskau ihre Verbundenheit zu demonstrieren. Die russische Sprache wird gefördert in Medien, bei den Behörden und im Alltag. Themen, die im Kreml für Irritationen gesorgt haben – wie zum Beispiel ein möglicher NATO-Beitritt der Ukraine – sind vom Tisch.
    Auch in der Innenpolitik wird die Ukraine dem großen Nachbar Russland immer ähnlicher, sagt der Kiewer Politik-Experte Wolodymyr Fesenko.

    ""Es sieht sehr danach aus, dass sowohl der Präsident, als auch seine Umgebung das russische Modell für attraktiv halten – das Modell einer gelenkten Demokratie. Formell haben wir immer noch eine parlamentarische Republik, doch tatsächlich hat Janukowitsch die ganze Macht in seinen Händen. Zum ersten Mal seit einigen Jahren kontrolliert der Präsident wieder die Regierung, die Mehrheit im Parlament und auch zum Teil die Gerichte". "

    Was eine gelenkte Demokratie bedeuten kann, durfte Nico Lange erfahren. Der Leiter des Kiewer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung schrieb eine kritische Bilanz der ersten 100 Tage des neuen Präsidenten und wurde im Juni bei der Einreise in die Ukraine am Kiewer Flughafen stundenlang festgehalten.

    " "Man hat mir verboten in die Ukraine einzureisen. Ich war also persona non grata. Dies ist passiert auf das Betreiben des SBU, des Geheimdienstes. Und nur nach der Intervention der deutschen Bundesregierung und des Präsidenten des Europäischen Parlaments ist es gelungen, dass ich doch einreisen kann"."

    Später hieß es, das Ganze sei ein Missverständnis gewesen, sagt Lange. Das bestätigte auch der ukrainische Präsident Janukowitsch in einem Interview für deutsche Medien kurz vor seiner Reise nach Berlin.

    ""Ja, man kann es ein Missverständnis nennen. Offiziell haben wir keine Forderungen gestellt und glauben, dass dieses Kapitel abgeschlossen ist"."

    Auch im Umgang mit Medien scheint das russische Modell einer gelenkten Demokratie für die Ukraine attraktiv zu sein. Journalisten beschweren sich über zunehmende Zensur und haben eine Protestbewegung gegründet.
    Trotz der Annäherung an Russland und autoritärer Tendenzen blickt die neue Führung in Kiew Richtung Europa. Ein EU-Beitritt der Ukraine bleibt auch für Präsident Janukowitsch ein langfristiges Ziel. Der Kiewer Politik-Experte Wolodymyr Fesenko sieht darin einen Widerspruch.

    " "Wenn wir das russische Beispiel der innerpolitischen Entwicklung übernehmen, mit einem starken Einfluss der Oligarchen auf die Politik, mit einem politischen System wie in Russland, dann ist es unwahrscheinlich, dass man uns mit einer solchen Last in Europa willkommen heißen wird". "