Archiv

Gelöster Eisberg
"Die Antarktis wird instabiler"

Das Wegbrechen des gigantischen Eisbergs im Südpolar-Meer wird in Zusammenhang mit klimatischen Veränderungen gesehen. "Wir sehen, dass die Antarktis netto Eis verliert, und dass inzwischen die Antarktis auch signifikant zum Meeresspiegelanstieg beiträgt", sagte Klimaforscher Mojib Latif im Dlf.

Mojib Latif im Gespräch mit Jule Reimer |
    Eine Person steht an der Bruchkante des Larsen-C-Schelfeises
    Die Bruchkantedes des Larsen-C-Schelfeises (imago/ ZUMA Press)
    Jule Reimer: Forscher hatten ihn seit Monaten beobachtet, den riesigen Riss im antarktischen Schelfeis, also am Südpol. Nun ist ein gigantischer Eisberg von mehr als einer Billion Tonnen Gewicht abgebrochen, einer der größten Eisberge, die je beobachtet wurden. Am Telefon bin ich mit Mojib Latif verbunden, Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung(*). Siebenmal so groß wie Berlin, zweimal so groß wie das Saarland ungefähr – müssen sich jetzt alle, Herr Latif, die in der Region auf Kreuzfahrt gehen, davor fürchten, die Titanic lässt grüßen?
    Mojib Latif: Das ist natürlich schon ein riesiger Eisberg, einer der größten der letzten Jahrzehnte. Aber mit der heutigen Technik, da muss man sich natürlich nicht davor fürchten, und ich gehe davon aus, dass es keine Kollision geben wird, denn die Kapitäne sind schon toll ausgerüstet.
    Schon eine Folge der Erderwärmung?
    Reimer: Dieser abgebrochene Koloss war ja bislang ein Teil des Larsen-C-Schelfeises. Schelfeis schwimmt auf dem Meer und wird von großen Gletschern gespeist. Das heißt, es wächst somit immer weiter ins Meer und bricht sowieso regelmäßig ab. War das jetzt ein ganz normaler Vorgang gewesen, obwohl dieser Eisberg so groß ist?
    Latif: Das kann man jetzt nicht sagen. Insgesamt sehen wir einfach, dass die Antarktis netto Masse verliert, das heißt netto Eis verliert, und dass inzwischen die Antarktis auch signifikant zum Meeresspiegelanstieg beiträgt. Insofern wird man jetzt nie genau sagen können, ob dieses Ereignis nun ohnehin passiert wäre, oder ob das schon eine Folge der Erderwärmung ist. Aber Tatsache ist: Die Antarktis wird instabiler, und das ist ganz klar eine Folge der Erderwärmung.
    Eisverluste am Nordpol noch sehr viel stärker
    Reimer: Gilt das auch für den Nordpol?
    Latif: Ja, das gilt natürlich auch für den Nordpol. In der Tat sind die Eisverluste am Nordpol noch sehr viel stärker als am Südpol. Grönland ist ja auch eine große Insel mit einem kilometerdicken Eispanzer und in Grönland ist die Eisschmelze noch viel schlimmer als in der Antarktis. Die Antarktis galt immer als eine Art schlafender Riese, aber dieser schlafende Riese, der ist jetzt auch erwacht.
    HANDOUT - Ein gewaltiger Riss im sogenannten Larsen-C-Schelfeis in der Antarktis trennt das Eis zunehmend vom Festland (Mitte oben). Ein riesiger Eisberg hat sich gelöst und treibt in Richtung Norden. (zu dpa "Riesiger Eisberg droht in Antarktis abzubrechen" vom 07.01.2017)
    Das Satelliten-Bild zeigt die gewachsene Abbruchkante. (A. Luckman/ MIDAS Project/ Swans)
    Reimer: Die Erderwärmung wirkt sich offenbar unterschiedlich aus. Das heißt, wir hier – wir haben mittlerweile einen Anstieg der mittleren Temperatur um ein Grad - spüren diese nicht so stark. Wie ist es an den Polen selber von der Entwicklung her?
    Latif: Ja. Sie sagen ganz richtig, das ist in der Tat regional extrem unterschiedlich. Die Region auf der Welt, die sich am stärksten erwärmt hat, ist die Nordpolar-Region. Die Südpolar-Region hat sich bisher noch nicht so stark erwärmt, aber wie gesagt, wir sehen auch dort eine Erwärmung, und das ist auch der Grund, warum wir dort diese Eisverluste haben. Insbesondere da, wo es gerade passiert ist, wo dieser Eisberg abgebrochen ist, um die antarktische Halbinsel herum, haben wir doch eine sehr starke Erwärmung in den letzten Jahrzehnten gemessen.
    Erderwärmung regional unterschiedlich
    Reimer: Können Sie das beziffern? Sind das dann, was weiß ich, drei Grad mehr im Vergleich zu der durchschnittlichen Erhöhung von einem Grad?
    Latif: Ja, wir sprechen in der Arktis ungefähr um zwei bis drei Grad in einigen Regionen. In der antarktischen Halbinsel, also da, wo dieses Larsen-Schelfeis sich befindet, reden wir ungefähr von einem Grad. Aber wie gesagt, das ist regional ziemlich unterschiedlich. Bei uns in Deutschland übrigens ist es seit 1880 immerhin 1,4 Grad. Bei uns im Moment zwar nicht, aber bei uns ist die Erwärmung tatsächlich auch höher ausgefallen als im globalen Durchschnitt.
    Reimer: Muss dann mehr gegen die Klimaerwärmung getan werden? Der G20-Gipfel war ja jetzt so mittel erfolgreich. Man hat Trump eingehegt, aber beschleunigt hat das jetzt auch nichts.
    Latif: Eigentlich war er ein Rückschritt. Das muss man schon sagen. Paris 2015, dort haben ja alle Länder unterschrieben, dass sie ihre Anstrengungen zum Klimaschutz intensivieren wollen, dass sie die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzen wollen. Jetzt sind die Amerikaner ausgeschert. Das ist jetzt in Hamburg noch mal auch offiziell dokumentiert worden in der Abschlusserklärung. Deswegen bewegen wir uns leider beim internationalen Klimaschutz in die falsche Richtung.
    Weniger Kinder als Beitrag zum Klimaschutz? - "Dummes Zeug"
    Reimer: Sagen Sie noch was zu der Empfehlung der Uni Lund, weniger Kinder ist auch ein Beitrag zum Klimaschutz.
    Latif: Na ja, das ist natürlich dummes Zeug. Das Problem hat nichts damit zu tun, dass wir immer mehr Menschen auf der Welt haben. Das Problem hat einfach damit zu tun, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Ich will nur mal ein Beispiel nennen: Jeder Deutsche entlässt im statistischen Mittel neun Tonnen CO2 pro Jahr, ein Inder weniger als zwei.
    Das zeigt einfach noch mal, wie groß die Unterschiede sind. Und eins ist auch klar: Wenn man wirklich Wohlstand für alle Menschen auf der Welt hat, dann braucht man sich um das Problem der Bevölkerungsentwicklung keine Sorgen mehr zu machen, denn alle Studien zeigen, wenn die Menschen Wohlstand haben, dann nimmt auch die Zahl der Kinder ab.
    Reimer: Mojib Latif, Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung der Universität Kiel. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    (*) Im Beitrag heißt es, das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung sei ein Zentrum der Universität Kiel. Das ist nicht der Fall.