Die zentrale Figur mit angstverzerrtem Gesicht in gedeckten Tönen, doch der Himmel im Hintergrund hellleuchtend rot, gelb und orange: Für sein berühmtes Werk Der Schrei verwendete Edvard Munch zum Teil besonders intensive Farben – auch in einer zweiten Version des Gemäldes, vermutlich aus dem Jahr 1910.
Eines dieser grellen Pigmente ist Cadmium-Gelb. Doch das verblasst stellenweise, wie Koen Janssens bedauert, Chemie-Professor an der Universität Antwerpen in Belgien. Chemisch gesprochen ist das Farbpigment ein Sulfid – ein Salz des Schwermetalls Cadmium:
"Cadmium-Gelb wurde auch von anderen Künstlern dieser Epoche verwendet, zum Beispiel von Vincent van Gogh. Wir haben auch schon Werke von ihm untersucht und festgestellt: Da passiert etwas mit dem Cadmiumsulfid! Und zwar wandelt es sich allmählich in Cadmiumsulfat um. Das ist aber transparent oder weiß. Ein kräftiges Pigment verliert also seine Farbe."
Bei Munchs Schrei sind Janssens und andere Forscher der Sache jetzt genauer auf den Grund gegangen, und das mit immensem apparativem Aufwand. Der erste Schritt: Molab wurde nach Oslo ins Munchmuseum geschafft – ein mobiles Messlabor, speziell entwickelt in einem EU-Projekt, um Kunstwerke berührungsfrei untersuchen zu können:
"Bei dieser nicht-invasiven Untersuchung setzten wir Röntgenstrahlung, sichtbares und infrarotes Licht ein. Und erhielten so zunächst einmal eine Art Landkarte des Gemäldes: wo Munch welche Farbsubstanzen aufgetragen hat."
Untersuchung mit unterschiedlichen Strahlentechniken
Dann der Schritt vom tragbaren Labor zur Großanlagentechnik: Winzige abgeblätterte Gelbpigmente wurden von Oslo nach Hamburg und nach Grenoble transportiert. Dort laufen große Teilchenbeschleuniger, in Hamburg DESY, das Deutsche Elektronensynchrotron. Solche Anlagen produzieren Strahlung, die sich für hochgenaue Strukturaufklärungen eignet.
Das sei auch im Fall von Munchs Schrei zweckreich gewesen, sagt Gerald Falkenberg, Physiker und Experte für Röntgenmikroskopie am DESY:
"Wir erzeugen einen sehr kleinen Strahl, kleiner als ein Mikrometer. Der muss so klein sein, damit man die Einheiten, aus denen die Farbschicht zusammengesetzt ist, die aus kleinen Körnchen besteht, mit diesem feinen Strahl abrastern kann."
Mit Hilfe der sogenannten Röntgenbeugung lassen sich Verbindungen anhand ihrer Kristallstruktur erkennen. In diesem Fall zeigte die Methode, wie die verblassten Farben aus Munchs Gemälde heute chemisch genau zusammengesetzt sind. Dann der entscheidende, dritte Schritt:
"Es wurden Pigmente aus der damaligen Zeit genommen, tatsächlich aus der Farbtube von Edvard Munch, die dann aufgetragen wurden und künstlich einer bestimmten Atmosphäre und Bedingungen ausgesetzt wurden, um zu erforschen, welche Umweltbedingungen welche Effekte bei den Pigmenten erzeugen."
Der beste Schutz wäre eine Klimakammer
Der Vergleich der chemischen Muster in den Gemälde- und den künstlich gealterten Pigmenten zeigte am Ende: Dass das gelbe Cadmiumsulfid in Munchs Schrei ausbleicht, lässt sich am besten durch Feuchtigkeit erklären, also durch eine Reaktion mit Wasserdampf-Molekülen aus der Luft. Chemiker Janssens hatte eigentlich eine andere Arbeitshypothese:
"Cadmiumsulfid gehört zur Gruppe der elektrischen Halbleiter. Das heißt, wenn Licht darauf fällt, wird es aktiver. Ähnliche Prozesse kennt man aus Solarzellen. Also hätte man sich vorstellen können: Licht aktiviert Cadmiumsulfid und wandelt es in farblose Verbindungen um. Unsere Studie aber hat ergeben: Es ist etwas anderes, das man nicht für besonders schädlich halten würde, nämlich die Luftfeuchtigkeit."
Eine Überraschung auch deshalb, weil Cadmiumsulfid eigentlich ziemlich wasserfest ist. Doch wie sich herausstellte, waren Munchs Gelbpigmente nicht die saubersten. Sie enthielten Verunreinigungen aus ihrer Herstellung:
"Wir haben darin Cadmiumhydroxydchlorid gefunden. Diese Verbindung ist es, die mit Wasser reagiert und auch dafür sorgt, dass Cadmium-sulfid leichter zum farblosen Sulfat oxidiert wird. Auf diese Weise greift Luftfeuchtigkeit ein normalerweise stabiles Pigment quasi durch die Hintertür an."
Koen Janssens rät dazu, Munchs Schrei künftig nur noch in einer Klimakammer auszustellen und so künftig vor Luftfeuchtigkeit zu schützen. Bei Eva Storevik Tveit stößt das auf offene Ohren. Sie ist Gemälde-Konservatorin im Munchmuseum:
"Diese Forschung kommt zur rechten Zeit, denn wir sind gerade dabei, in einen Neubau mit modernster Ausstattung umzuziehen. Das gestattet uns, die beste Lösung für die Präsentation des Schreis umzusetzen."