Gemeinnützigkeit
Vereine fürchten AfD-Anzeigen beim Finanzamt

Politisch engagierten Vereinen droht der Entzug der Gemeinnützigkeit, wenn sie versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Grund dafür ist eine Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Die AfD nutzt das aus, um Kritiker unter Druck zu setzen.

Von Leon Fried |
    Menschen demonstrieren gegen Rechtsextremismus und für Demokratie.
    Großdemonstration gegen Rechtsextremismus und für Demokratie Anfang Juni in München. (picture alliance / SvenSimon / Frank Hoermann / SVEN SIMON)
    Der Gemeinnützigkeitsstatus soll Organisationen fördern, die sich selbstlos für die Allgemeinheit einsetzen. Doch viele Vereine, die für politische Belange eintreten, haben inzwischen Sorge, nicht mehr als gemeinnützig zu gelten.
    Das liegt an strengen und teilweise unklaren gesetzlichen Vorgaben für die politische Betätigung der Organisationen. Und die AfD zeigte zuletzt immer wieder Vereine beim Finanzamt an, die sich kritisch mit der Politik der Partei auseinandersetzen. Insgesamt 164 Vereine haben im Juni in zwei offenen Briefen an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Reform des aus ihrer Sicht veralteten Gemeinnützigkeitsrechts gefordert.

    Inhalt

    Warum gefährdet politisches Engagement den Gemeinnützigkeitsstatus?

    Um als gemeinnützig anerkannt zu werden, muss ein Verein einen der 26 Gemeinnützigkeitszwecke erfüllen, die in der Abgabenordnung (AO) gesetzlich festgelegt sind. Dazu zählen etwa die Förderung des Naturschutzes, der Heimatpflege und des Sports.
    Vereine, die sich politisch engagieren, berufen sich häufig auf die Gemeinnützigkeitszwecke „Förderung des allgemeinen demokratischen Staatswesens“ und „Förderung der Volksbildung“, wozu anerkanntermaßen auch die politische Bildung zählt. Doch seit einem Urteil des obersten deutschen Gerichts für Steuersachen, des Bundesfinanzhofs (BFH), aus dem Jahr 2019, steht fest, dass dem politischen Engagement gemeinnütziger Vereine enge Grenzen gesetzt sind.
    Damals hatte der globalisierungskritische Verein Attac geklagt, weil ihm das Finanzamt Frankfurt die Gemeinnützigkeit aberkannt hatte. Während Attac in der Vorinstanz noch recht bekommen hatte, erlitt die Organisation vor dem BFH eine Niederlage. Die Bundesfinanzrichter entschieden in diesem Zusammenhang, dass es gemeinnützigen Vereinen verboten sei, in beliebigen Politikbereichen die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Politisch engagieren dürfe sich ein gemeinnütziger Verein nur, um den von ihm verfolgten Gemeinnützigkeitszweck zu fördern.
    Das bedeutet, dass sich zum Beispiel ein Naturschutzverein für strengere Maßnahmen zum Schutze der Umwelt einsetzen darf. Stellt ein solcher Verein politische Forderungen in einem von seinem Gemeinnützigkeitszweck nicht umfassten Themenfeld, ist das aber unzulässig. Deshalb dürfen Vereine, die im Bereich der politischen Bildung aktiv sind, auch nur zu bildungspolitischen Fragestellungen Position beziehen, nicht zu anderen Themen wie etwa der Globalisierung.
    Ansonsten muss sich politische Bildung in den Worten des BFH in „geistiger Offenheit“ vollziehen. Das heißt politische Fragestellungen dürfen ergebnisoffen diskutiert werden. Durch Kampagnen oder ähnliches auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen, ist dagegen nicht erlaubt.
    Letztlich hat Attac seinen Gemeinnützigkeitsstatus verloren, weil der Verein zu politisch war. Kurze Zeit später wurde auch der Kampagnenorganisation Campact die Gemeinnützigkeit aberkannt.

    Warum ist die Gemeinnützigkeit für Vereine so wichtig?

    Mit dem Gemeinnützigkeitsstatus gehen einige Steuervorteile einher. Gemeinnützige Vereine sind von diversen Steuern befreit. Außerdem dürfen sie Menschen, die an sie spenden, eine sogenannte Zuwendungsbestätigung ausstellen. Mit dieser Bescheinigung können die Spender ihre Spende dann von der Steuer absetzen. Dadurch sind Spenden an gemeinnützige Vereine besonders attraktiv.
    Der Gemeinnützigkeitsstatus wird von vielen zudem als eine Art Gütesiegel nach außen verstanden. Vielerorts ist es außerdem nur gemeinnützigen Organisationen erlaubt, städtische Einrichtungen für die Vereinsarbeit zu benutzen.
    Viele Vereine sehen sich deshalb durch den Verlust des Gemeinnützigkeitsstatus in ihrer Existenz bedroht. Sie befürchten, dass weniger Menschen an sie spenden könnten. Außerdem müssten sie ohne Gemeinnützigkeit teure Privaträume anmieten, statt öffentliche Gebäude etwa für Versammlungen zu nutzen.

    Wie nutzt die AfD die Unsicherheit der Vereine aus?

    Immer wieder drohen AfD-Politiker Vereinen, die sich kritisch mit der Partei auseinandersetzen, mit Anzeigen beim Finanzamt. Zuletzt drohte der AfD-Spitzenkandidat zur Landtagswahl in Brandenburg, Hans-Christoph Berndt, dem Landesjugendring (LJR) für den Fall eines Wahlsiegs mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit.
    Der Verein, in dem rund 40 Brandenburger Jugendorganisationen Mitglied sind, hatte im Juli erklärt, die Inhalte der AfD seien mit den Positionen des LJR nicht vereinbar. Außerdem hatte der Verband die Prüfung eines AfD-Verbots gefordert.
    Selbst in den Fällen, in denen Anzeigen der AfD beim Finanzamt letztlich keine rechtlichen Konsequenzen folgen, bleiben sie nicht ohne Wirkung. Das berichtet etwa die Vorsitzende des Vereins „München ist bunt“, Micky Wenngatz. Im Januar 2023 hatte der damalige AfD-Landtagsabgeordnete Uli Henkel das Finanzamt aufgefordert, dem Verein den Gemeinnützigkeitsstatus zu entziehen, weil sich dieser fast ausschließlich gegen seine Partei richte.
    Das Finanzamt München entschied nach einer Prüfung: „München ist bunt“ darf gemeinnützig bleiben. Doch das Ganze habe die ehrenamtlichen Mitglieder des Vereins viel Zeit und Energie gekostet, erinnert sich Wenngatz. Stunde um Stunde habe es gebraucht, alle Vorwürfe der AfD zu sichten, Gegenbeweise zu sammeln und Antworten an das Finanzamt zu verfassen.
    Einige befürchten auch, dass sich manche Vereine gar nicht erst politisch engagieren – aus Sorge, den Gemeinnützigkeitsstatus zu verlieren. Aus dem repräsentativen ZiviZ-Survey 2023 geht etwa hervor: Fünf Prozent der gemeinnützigen Vereine würden sich gerne stärker politisch einbringen, sehen dabei aber Gefahren für ihren Gemeinnützigkeitsstatus.

    Was fordern die Vereine von der Politik?

    Zunächst einmal fordern einige Vereine, dass die Politik eine Gleichbehandlung zivilgesellschaftlicher Akteure mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung sicherstellen soll. Die Kampagnenorganisation Campact bemängelt, dass der „Bund der Steuerzahler“ als gemeinnützig gilt, obwohl sich die Organisation eindeutig politisch positioniere. Gleichzeitig würde Organisationen wie Campact und Attac, die gegenteilige politische Ziele verfolgten, die Gemeinnützigkeit entzogen.
    In einem der offenen Briefe an Bundeskanzler Scholz schlagen die 110 Unterzeichnervereine vor, den Katalog der Abgabenordnung um weitere Gemeinnützigkeitszwecke zu erweitern: etwa um den Einsatz für demokratische Werte, Menschenrechte, Antidiskriminierung und Rechtsstaatlichkeit. Außerdem solle im Gesetz klargestellt werden, dass sich auch gemeinnützige Vereine an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligen dürfen und dass sie dabei keinen Beschränkungen unterliegen.
    Damit fordern die Vereine letztlich die Umsetzung des Koalitionsvertrags der Ampelparteien ein. Darin hatten SPD, Grüne und FDP die Absicht bekundet, „der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofs entgegenzuwirken“ und dafür gegebenenfalls auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke zu konkretisieren und zu ergänzen.
    Auf Anfrage des Deutschlandfunks hatte das Bundesfinanzministerium bekräftigt, dieses Projekt noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Bislang konnte man sich innerhalb der Koalition aber offenbar nur darauf einigen, im Gesetz klarzustellen, dass gelegentliche Äußerungen zu tagespolitischen Themen nicht dazu führen dürfen, dass ein Verein die Gemeinnützigkeit verliert. Das würde mehr Rechtssicherheit für Vereine bedeuten, die sich hauptsächlich für nicht genuin politische Zwecke wie zum Beispiel den Sport einsetzen, aber aus einem aktuellen Anlass beschließen, etwa zu einer Demonstration gegen Rechtsextremismus aufzurufen. Vereinen, bei denen die politische Betätigung im Mittelpunkt der Arbeit steht, hilft das vorerst nicht.

    Was spricht gegen eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts?

    Kritiker einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts warnen davor, dass gemeinnützige Vereine dann politischen Parteien zu ähnlich werden könnten. Parteien unterlägen jedoch aus gutem Grund gewissen Restriktionen, die für gemeinnützige Vereine nicht gelten. So müssen Parteispenden ab einem Betrag von 10.000 Euro im Rechenschaftsbericht der Partei aufgeführt werden. Ab einem Betrag von 35.000 Euro ist es erforderlich, die Spende unverzüglich der Bundestagsverwaltung zu melden. Die veröffentlicht die Spende dann zeitnah.
    Durch diese Transparenzregeln werde sichergestellt, dass eine finanzielle Einflussnahme auf politische Parteien für die Bürger erkennbar sei. Außerdem könnten Parteispenden nur in begrenztem Maße von der Steuer abgesetzt werden – und das auch nur von Privatpersonen und nicht von Unternehmen. So solle gewährleistet werden, dass alle Bürger in gleicher Weise am Prozess der politischen Willensbildung teilhaben können. Wer viel Geld hat, soll nicht durch steuerliche Begünstigungen darin gefördert werden, stärker als andere durch Spenden auf die Politik Einfluss nehmen zu können. Diese Zielsetzung dürfe nicht durch politische Vorfeldorganisationen in Gestalt gemeinnütziger Vereine unterlaufen werden.
    Befürworter einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts wenden ein, dass es zivilgesellschaftliches Engagement jenseits der traditionellen Parteipolitik für eine lebendige Demokratie brauche. Im Gegensatz zu politischen Parteien kämpften gemeinnützige Organisationen auch nicht bei Wahlen um reale politische Macht. Transparenzregeln, die für Parteien gelten, könnten auch auf Vereine übertragen werden.