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Gemeinnütziger Journalismus
Vorkämpfer der Völkerverständigung

Mit mobilen Redaktionen, Veranstaltungen und Crowdsourcing versuchen nicht gewinnorientierte Medienhäuser, die Bevölkerung stärker in die Berichterstattung einzubeziehen. Angenehmer Nebeneffekt: durch diesen Austausch wird der soziale Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl gestärkt.

Von Benjamin Bathke |
    In Afrika hergestellte Radios aus Getränkedosen am Hippiemarkt in Punta Arabi auf Ibiza
    Wichtigstes Medium in Afrika: das Radio (imago / Geisser)
    Das ist Catherine, eine Grundschullehrerin aus Uganda. Sie nutzt ihre eigene Sendung auf Mega FM als Sprachrohr, um täglich über ländliche Regionen und Probleme zu berichten, die sonst wenig oder keine Beachtung finden. So ermöglicht sie ihren Mitbürgern, ihre Anliegen mit einer größeren Öffentlichkeit zu teilen, sagt Samuel Gummah, Leiter des Uganda Radio Networks, der größten Agentur für Radionachrichten des afrikanischen Binnenstaats.
    "Mittlerweile kommen Menschen zu ihr, um ihre Geschichten zu erzählen. Und Catherine schickt die Berichte dann zu den Radiostationen. Die können sich dadurch nicht nur mit Catherine austauschen, sondern durch sie auch mit Schülern, deren Eltern und Vertretern der Gemeindeführung. Und das in einem Teil der Gesellschaft, der vorher keine Stimme hatte.”
    Das wiederum, so Gummah, hätte zu größerem sozialen Zusammenhalt in Ugandas Gemeinden geführt. Catherine ist nicht auf traditionellem Weg Journalistin geworden, sondern mit Hilfe des Citizen Reporting Projekts des Uganda Radio Networks. Von Journalisten trainiert und mit Ausrüstung versorgt, schicken diese Bürger-Reporter Reportagen über ihre Gemeinden mittels einer eigens entwickelten App zu den teilnehmenden Radiostationen. Die wiederum senden dann die besten Beiträge.
    Trend aus den USA
    Vorreiter des gemeinnützigen Journalismus ist die USA, wo schon 1977 das Center for Investigative Reporting (CIR) gegründet wurde. Seitdem hat sich unter dem Oberbegriff gemeinnütziger Journalismus vor allem im Verlauf der letzten Jahre weltweit eine Vielzahl an Nonprofit-Redaktionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten gebildet. Neben investigativen Recherchebüros mit Millionenetat wie z.B. dem US-Schwergewicht ProPublica, internationalen Watchdog-Netzwerken und Vertretern von Special-Interest-Journalismus sind vor allem im lokaljournalistischen Bereich zahlreiche Medien-Angebote entstanden.
    Neu an vielen dieser Angebote ist, dass Medienschaffende bewusst als zivilgesellschaftliche Akteure auftreten. Das Ziel: gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern eine Berichterstattung für ein lebendiges Gemeinwesen zu gestalten, zum Beispiel indem man vermehrt über wenig beachtete Themen, Landesteile und Bevölkerungsschichten berichtet.
    So auch bei der gemeinnützigen Internetplattform Coda Story, die sich die tiefgründige Berichterstattung über Krisen auf die Fahnen geschrieben hat.
    "The other side that says we want no West because they’re gonna make us gay …”
    Das Videoformat "Clash of Narratives”, auf Deutsch etwa: Zusammenprall der Erzählungen, begleitet und porträtiert Menschen mit gegensätzlichen Auffassungen über bestimmte Themen, und zwar möglichst neutral, wie in diesem Fall zwei georgische Frauen. Die eine ist treue Anhängerin von Putin, die andere steht auf der Seite der Ukraine. Es ist ein Versuch, einen Dialog zu ermöglichen jenseits der Filterblasen, in denen wir alle leben, sagt Coda Story Mitgründerin Natalia Antelava.
    "Wir haben überwältigendes Feedback bekommen. Zuschauer haben zum Beispiel gesagt: ‘Wow, ich hätte mir das niemals angeschaut, wenn ihr das nicht im Kontext der anderen Person gezeigt hättet.’ Es hat zwar nicht unbedingt die Meinungen der jeweiligen Anhänger geändert, aber es hat unser Publikum mit Weltanschauungen konfrontiert, die nicht ihrer eigenen entsprechen. In unserer polarisierten Welt ist das enorm wichtig.”
    Das Aufzeigen unterschiedlicher Ansichten ohne zu werten hält Antelava für eine wichtige Aufgabe jedes Journalisten, durch die auch mehr Solidarität und Gemeinsinn entstehen könne.
    Beispiel Thailand
    Mehr sozialer Zusammenhalt kann sich auch darin manifestieren, dass ausgegrenzte Gesellschaftsgruppen mehr Beachtung finden. So in Thailand, wo es für lèse-majesté, also Majestätsbeleidigung, bis zu 15 Jahre Gefängnis gibt. Allein seit dem Staatsstreich des Militärs 2014 wurden der thailändischen Nachrichtenseite Prachatai zufolge über hundert Bürger wegen Diffamierung eines Mitglieds der königlichen Familie verhaftet. Weil es über die Insassen so gut wie keine Berichte gibt, will die 13 Jahre alte gemeinnützige Publikation die thailändische Gesellschaft für die prekären Verhältnisse sensibilisieren.
    Prachatais Geschäftsführerin Chiranuch Premchaiporn sagt, ihre Berichterstattung habe die Gesellschaft über die Menschenrechtssituation der Insassen aufgeklärt und ihnen so ein menschliches Gesicht gegeben. Auch die Reintegration in die Gesellschaft klappe deshalb besser.
    "Die Bedingungen für politische Gefangene in Thailand sind harsch. Unsere Berichterstattung über sie ist Teil der Recherche über die Einschränkung der freien Meinungsäußerung in Thailand. Menschen, denen lèse-majesté vorgeworfen wird, sind in Thailand ein Tabuthema.”
    Initiativen in Deutschland
    Auch in Deutschland gibt es immer mehr Initiativen, in denen Journalisten sich zunehmend in eine neue Rolle begeben. Ein Beispiel ist das Democracy Lab der Süddeutschen Zeitung, das im Vorfeld der Bundestagswahl auf einem Roadtrip quer durch Deutschland den Dialog mit Bürgern sucht. Auch Zeit Online hat diverse Experimente ins Leben gerufen, allen voran "Deutschland spricht”, wo Mitte Juni tausende Menschen mit gegensätzlichen Auffassungen in Zweier-Paaren einen Dialog geführt haben.
    Ein weiterer gemeinnütziger Effekt dieser Art von journalistischen Projekten kann die Erkenntnis sein, dass man mit seinem Schicksal nicht allein ist. Das kann besonders bei unvermittelten Todesfällen hilfreich sein - wie dem in westlichen Ländern seltenen Fall von Müttersterblichkeit. Das hat die schon erwähnte gemeinnützige US-amerikanische Organisation ProPublica dieses Jahr eindrucksvoll gezeigt. Unter Einbeziehung von Betroffenen deckte sie auf, dass das reichste Land der Erde von allen Industrienationen fast die höchste Rate von Müttersterblichkeit hat. Durch den Erfahrungsaustausch merkten viele Angehörige verstorbener Frauen, dass man sie ernst nimmt und dass es Menschen gibt, mit denen sie reden können.
    Austausch führt zu Verständnis, Verständnis führt zu Gemeinsinn. Genau dieser Effekt ist auch für Samuel Gummah vom Uganda Radio Network der größte Nutzen gemeinnütziger Medien-Arbeit. Getreu nach der afrikanischen Philosophie Ubuntu - die Erfahrung und das Bewusstsein, dass man selbst Teil eines Ganzen ist.
    "Wenn Menschen miteinander kommunizieren, wenn sie wissen, was andere fühlen, denken und erfahren, dann führt das zu größerem Zusammenhalt. Sie merken, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Wir haben das nicht nur innerhalb von Gruppen, sondern auch zwischen Familien, ganzen Dörfern und zwischen verschiedenen Ethnizitäten erlebt, die vorher kein Kontakt miteinander hatten.”