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Gemeinsam gegen rechtsextreme Gruppen

In Berlin erhalten jüdische Synagogen- und muslimische Moscheengemeinden zunehmend Drohbriefe mit Mordandrohungen von rechtsextremen Gruppen. Evangelische, katholische, jüdische und muslimische Gemeinden haben deshalb beschlossen, gemeinsam einen Verein zu gründen, der die Interessen von Deutschen mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeit in der Öffentlichkeit vertritt.

Von Jan Kuhlmann |
    Der Brief lag Anfang Februar in der Post. Ein achtseitiges Schreiben an die Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. Es ist ein rassistisches Pamphlet, das an die wirren Gedanken des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik erinnert. Die Botschaft des Briefes an die Muslime in Deutschland ist deutlich: Sie sollen innerhalb von sechs Monaten das Land verlassen. Ansonsten, so die Drohung, könnten nach dem Tag X Gewaltaktionen nicht mehr ausgeschlossen werden. In der Moschee sei diskutiert worden, was man mit dem Schreiben machen solle – einfach wegschmeißen oder doch ernst nehmen, erzählt Gemeindemitglied Pinar Cetin:

    "Und haben uns dann entschieden, das bei der Polizei abzugeben, angesichts der Morde an den Menschen mit Migrationshintergrund. Und deswegen haben wir es für wichtig erachtet, dass wir es bei der Polizei abgeben."

    Mittlerweile haben mindestens eine weitere Berliner Moschee und der Bund Türkisch-Europäischer Unternehmer in Hannover vergleichbare Schreiben erhalten. Und auch bei der Jüdischen Gemeinde in Berlin lag der Drohbrief in der Post. Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung. Traurig, aber wahr: Die Sehitlik-Moschee ist in der Vergangenheit immer wieder Ziel von Angriffen gewesen. 2010 gab es mehrere Brandanschläge auf die Gemeinde. Dass anonyme Absender unflätige Post mit rassistischem Inhalt schicken, ist ebenfalls Alltag, sagt Pinar Cetin.

    "Was wir öfter bekommen, sind Mails mit Ausdrücken und Schmierereien. Oder eben Ausdrücken, wo man merkt, dass man nicht besonders willkommen ist. Aber Drohungen in dem Ausmaß ist jetzt das erste Mal gewesen."

    Die Gemeinde ist jetzt wachsam. Angst aber wolle man sich durch das Schreiben nicht einjagen lassen, sagt Ender Cetin, der Vorsitzende der Sehitlik-Gemeinde:

    "Obwohl man schon so ein beklemmendes Gefühl hat. Da wird ja vom Tag X gesprochen und von Erschießungen gesprochen und so weiter. Es ist schon teilweise ein mulmiges Gefühl."

    Absender des Schreibens ist eine obskure Gruppe, die sich "Die Reichsbewegung" nennt. Die Spuren der Ermittler führen bis in die USA und nach Neuseeland. In dem Drohbrief geben sich die Verfasser als "patriotische Befreiungsbewegung" aus. Die Gruppe schwafele unter anderem von der Wiederauferstehung des Deutschen Reiches, sagt Stephan Schlange-Schöningen vom Berliner Verfassungsschutz. Er trat in dieser Woche in Berlin-Tempelhof bei einer Podiumsdiskussion über die Drohbriefe auf.

    "Wir bezeichnen das als eine Mischszene zwischen sogenannten Holocaustleugnern und zwischen unverbesserlichen Anhängern des Deutschen Reiches. Wir glauben, dass die Verfasser dieses Schreibens und vergleichbarer Schreiben in der rechtsextremistischen Szene weitgehend isoliert sind. Wir haben ja doch recht präzise Einblicke und stellen fest, dass dieses Drohschreiben glücklicherweise so gut wie keine Resonanz dort findet."

    Was jedoch kein Grund ist, die Drohbriefe auf die leichte Schulter zu nehmen. Verfassungsschützer und Polizei sind schon allein wegen der Mordserie der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund alarmiert, sagte Berlins amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers bei der Podiumsdiskussion.

    "Seither müssen wir grundsätzlich in unsere Überlegungen einbeziehen, dass nicht nur radikalisierte Einzeltäter, sonder auch terroristische Kleingruppen einzelne terroristische Aktivitäten, Aktionen begehen. Fremdenfeindliche Gewaltdelikte in Form von Körperverletzung, Brandanschlägen und in Einzelfällen auch Tötungsdelikte müssen nach wie vor in Betracht gezogen werden."

    So bedenklich die Drohbriefe sind – von anderen religiösen Gemeinschaften erhielt die Sehitlik-Moschee Unterstützung. So schrieb die evangelische Genezareth-Gemeinde aus Neukölln einen Brief, in dem sie ihre Solidarität ausdrückte. Das sei gelebte Nachbarschaft, sagt Elisabeth Kruse, die Pfarrerin der Genezareth-Gemeinde.

    "Dass man es überhaupt wahrnimmt, dass es den Nachbarn betroffen hat. Und dass man sich in irgendeiner Form meldet: telefonisch, persönlich, per Brief oder irgendwie und sagt: Wir haben das wahrgenommen, das ist ja unerhört, und wir stehen an eurer Seite. Und das bedeutet, diese Bedrohung betrifft uns genauso, weil sie Werte und Rechte mit Füßen tritt, die auch wir für uns in Anspruch nehmen. An der Stelle sind wir nicht teilbar in 'Die' oder 'Wir'."

    Auch an anderer Stelle kommen sich die religiösen Gemeinschaften näher. Die Podiumsdiskussion über die Drohbriefe war die erste Veranstaltung des Vereins "Treffpunkt Religion und Gesellschaft". Er wird im Mai offiziell gegründet. In dem Verein schließen sich die evangelische Kirche, das Erzbistum Berlin, der Islamverband Ditib und die Jüdische Gemeinde zusammen. Ziel: die religiösen Gemeinschaften stärker ins Gespräch mit der Gesellschaft zu bringen. Der Verein wolle auch über Ressentiments sprechen, sagt Maya Zehden von der Jüdischen Gemeinde in Berlin:

    "Also, es gibt Ressentiments, wir werden sie sicherlich nicht komplett ausräumen. Aber dann haben wir auf jeden Fall eine bessere Basis, um so etwas wie Rechtsradikalismus, Linksradikalismus, Extremismus in Religionsgruppen besser begegnen zu können. Und wir müssen davon ausgehen: Wir sind Deutsche. Sowohl Deutsche mit jüdischem Hintergrund, Deutsche mit muslimischem Hintergrund, Deutsche mit christlichem Hintergrund. Und wir als deutsche Demokraten, wir müssen zusammenstehen. Das ist die Formel."

    Die Solidarität anderer Gläubiger – für die Muslime ist sie sehr wichtig, sagt Pinar Cetin von der Sehitilik-Moschee. Die junge Frau mit türkischen Wurzeln ist in Berlin geboren und aufgewachsen.

    "Meine Identitätsfindung hat auch immer damit zu tun, oder mein Identitätsgefühl, wie mich andere wahrnehmen. Und wenn diese Solidarität gezeigt wird und andere sagen, du bist ein Teil von uns, dann fühle ich mich umso Deutscher. Und wenn jemand wie Thilo Sarrazin im Fernsehen eben, ja schlechtes über Muslime oder über Menschen mit Migrationshintergrund verbreitet, dann fühle ich mich nicht willkommen oder angenommen und verziehe mich auch gefühlsmäßig in die Ecke zurück, wo meine Eltern herkommen."