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Gemeinsam stark

Die einen graben ganze Siedlungen aus, Skelette und Tongefäße, die anderen werten Böden, Sedimente und Landformen aus. Archäologen und Geowissenschaftler, Altertumswissenschaftler und Ingenieure beackern ihr Feld allein, sie sind Musterbeispiele für Interdisziplinarität auch zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat solche "Wechselwirkungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften" von 2008 bis 2011 in der gleichnamigen Förderinitiative mit acht Forschungsverbünden unterstützt. Deren Ergebnisse wurden letzte Woche in Bonn bei einer Abschlusskonferenz vorgestellt.

Von Dörte Hinrichs |
    Neue Blicke auf alte Kulturen - diese Aussicht hat sie alle gereizt, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven: zum Beispiel die Geoarchäologen, die im Orchon-Tal in der mongolischen Steppe historischen Umweltveränderungen auf der Spur waren - oder die Archäologen, Paläogenetiker und Geografen, die im Süden Perus die Siedlungsentwicklung über mehrere Jahrtausende versuchten nachzuvollziehen.

    Bei der Abschlusskonferenz der Förderinitiative betonte Professor Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die lange Tradition der Archäologie als interdisziplinäre Wissenschaft:

    "Das ist in der Tat schon so: Seit dem späten 19. Jahrhundert gab es Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften. Immer wenn sich der Archäologe die Frage stellte, aus was besteht das, was ich finde, also materialkundlich betrachtet. Vor allem ganz früh natürlich Metallobjekte: Kupfer, Bronze, Bronze ist ja eine Legierung, also da wollte man wissen, wie ist das eigentlich zusammengesetzt? Bronze und Eisen kann man ja voneinander unterscheiden, Kupfer und Bronze aber nicht. Da muss man schon in die Analyse gehen. Und da hat man schon im ausgehenden 19. Jahrhundert riesige Stücke leider aus den Objekten rausgesägt, um sie dann mit den damals zur Verfügung stehenden Methoden zu analysieren in der Zusammensetzung."

    Heute gehen Naturwissenschaftler dank modernster Technik bei ihren materialkundlichen Analysen schonender mit den Fundstücken um. Auch die Datierungsverfahren haben sich in den letzten Jahrzehnten rasant weiterentwickelt und Erkenntnisse zutage gefördert, die so manches Denkgebäude der Archäologen zum Einsturz gebracht haben:

    "Nehmen wir nur die C14-Datierung, die Radiocarbon-Methode, die Kulturen um ein bis zwei Jahrtausende älter gemacht hat, als man bis dahin dachte. Und natürlich auch in Zusammenhang mit wiederum anderen Kulturen aus benachbarten Kulturräumen. Das ganze Gefüge eines Entwicklungsprozesses wurde umgestürzt oder hat sich beträchtlich verschoben. Und das wollten manche Archäologen in den 70er-, 80er-Jahren einfach nicht glauben und haben das negiert, haben die ganze Methode verteufelt. Und heute, wenn man zurückblickt, reibt man sich entweder verwundert die Augen, wenn man diese Artikel oder Rezensionen liest oder man muss irgendwie schmunzeln. Da hat sich die Archäologie auch keinen großen Gefallen getan. Sie hat es sich selbst schwerer gemacht, als es notwendig gewesen wäre. Denn ich sage, es darf nicht unkritisch sein, aber man muss offen sein für die Potenziale einer interdisziplinären Arbeit, weil damit die eigene Erkenntnis erheblich vorankommt. Und die Lektion hat die Archäologie gelernt."

    Die naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden haben die Archäologie enorm bereichert: Immer besser können die Wissenschaftler gemeinsam rekonstruieren, wie der Mensch in der Vergangenheit auf Veränderungen seiner Umwelt reagiert hat, wie sich Gesellschaften strukturiert haben und Kulturen entstanden sind. Davon zeugt auch das interdisziplinäre Verbundprojekt Anden-Transekt: Geowissenschaftler, Archäologen, Paläogenetiker und Isotopenanalytiker haben im Süden Perus neue Einblicke in die Klima- und Bevölkerungsgeschichte der Region bekommen. Dr. Markus Reindel vom Deutschen Archäologischen Institut in Bonn:

    "Das ist ein Phänomen in Südamerika und speziell in den Anden, dass wir hier eine Abfolge von ökologischen Zonen haben, die unheimlich variantenreich sind. Also wir haben auf dieser kurzen Strecke von etwa 100 km eine Abfolge von Meeresküste, Wüste, Andenfuß, dann über verschiedene Höhenstufen, bis hin fast zu den eisbedeckten Gipfeln - nicht ganz so hoch - aber fast 5000 m Höhe. Und in diesem Gebiet haben wir gleichzeitig über die gesamte Besiedlungszeit hindurch Siedlungsspuren, die wir identifizieren können. Und der nächste Punkt ist natürlich dann - und da helfen uns die Geowissenschaftler - zu untersuchen, wie hat sich diese Landschaft im Laufe der Zeit verändert und wie haben sich die Menschen an diese Veränderungen angepasst."

    Zusammen mit bereits bekannten Fundplätzen entstand ein Datensatz von 1500 Siedlungen vom 8. Jahrtausend v. Chr. bis ins 16. Jahrhundert n. Chr. Besonders spannend in diesem Naturraum sei der Wüstenrand ergänzt der Geograf Professor Bernhard Eitel von der Universität Heidelberg. Denn diese Zone reagiert besonders sensibel auf Umweltveränderungen:

    "Wenn man nun sieht, dass genau die Wüstenränder eigentlich jene Gebiete sind, in denen die ersten Hochkulturen entstanden sind, in denen sich Kulturen ausdifferenziert haben, sei es in der Alten oder in der Neuen Welt, dann wird diese Wechselwirkung zwischen einer Klima- und Umweltveränderung auf der einen Seite und einem kulturellen Umbruch oder einer besonderen Adaptionsform der Menschen, besonders evident. Deshalb eignen sich solche Räume als sog. Versuchanordnungen der Natur, um genau dieses Wechselspiel zu studieren und die gegenseitigen Abhängigkeiten zu untersuchen."

    Während der Nasca-Kultur von 90 bis 600 n. Chr. herrschten lange Zeit stabile feuchtere Umweltverhältnisse, wie die Analyse von bis zu zehn Meter tiefen Bohrkernen ergeben hat. Das Land war fruchtbar und die Nasca-Kultur blühte auf. Doch es kam zu einem dramatischen Wandel:

    "Die Wüste dehnte sich aus, als es trockener wurde, die Menschen haben sich zusammen konzentriert entlang der Flussoasen, haben dort sozusagen die ersten Siedlungsformen entwickelt. Und das ging dann weiter bis über die Paracas und Nasca-Zeit hinweg, aber am Ende der Nasca-Zeit wurde es so trocken, dass die gesamten Einzugsgebiete an der Westabdachung der Anden kein Wasser mehr führten. Das heißt, die Flüsse trockneten aus und damit war die ökologische Grundlage für die Nasca-Kultur entzogen und die Menschen mussten ins Hochland abziehen. Innerhalb weniger Jahrzehnte, vielleicht 10,20, 30 Jahren ändert sich die gesamte Naturraumausstattung im westlichen Andenraum Südperus grundlegend."

    Der Nasca-Kultur wurde quasi im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegraben. Daraus resultieren auch archäologisch neue Einblicke in den Kulturraum. Dr. Marcus Reindel:

    "Also eine überraschende Erkenntnis war zunächst einmal, Siedlungen im Hochland zu finden, also über 3200 m Höhe, bis hin zu 4500 m Höhe, die wir eigentlich vom Fundinventar an der Küste ansiedeln würden. Als genau gesprochen: Wir finden Keramik, die wir der Nasca-Kultur zuordnen, und die wir als reine Küstenkultur angesehen haben, plötzlich im Hochland. Das Gleiche gilt für die frühere Paracas-Kultur, also zwischen 800-200 v.Chr. Wir finden genau die gleiche Keramik im Hochland. Das heißt für uns ganz klar: Diese Menschen, die haben den gesamten Anden-Westabhang genutzt und offenbar Produkte angebaut zum Beispiel und ausgetauscht zwischen den ökologischen Zonen."

    Die archäologischen Studien liefern Belege für die Migrationsbewegungen, während gleichzeitig ein klarer Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen und Siedlungsdynamik nachgewiesen werden konnte. Für den Geografen Professor Bernhard Eitel ergeben sich daraus wieder neue Fragen:

    "Und spannend für die Zukunft wird auch sein, was das für die Menschen bedeutete. Also die sind ja weggezogen, aber was haben die dann da gemacht? Die können ja nicht die gleichen Arbeitstechniken, Nutzungsformen im Oasenanbau beispielsweise ins Hochland mitnehmen oder umgekehrt. Die müssen da ja wieder lernen. Ob man das jemals wird rekonstruieren können, weiß ich nicht."

    Es gibt also durchaus noch interdisziplinären Forschungsbedarf und auch weiterführende Strukturen sind nach Abschluss der Förderinitiative gefragt, damit das gewonnene Wissen nicht versickert. Professor Hermann Parzinger:

    "Daraus können später vielleicht dann in der Tat heraus neue Institute entstehen, wie jetzt das Bioarchäologie-Institut in Halle, was da in Planung ist. Die reine Förderung von Fallstudien ist wichtig, aber wir müssen wirklich das, was dort an Wissen generiert wird, entwickelt wird auch an Verfahren, das muss gesichert und weiterentwickelt werden. Und das muss auch in der Breite angewendet werden können."