Das EU-Parlament hat am Dienstag (23. November) in Straßburg über die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union abgestimmt. Eine Mehrheit der Abgeordneten in Straßburg votierte für die Änderungen, die 2023 in Kraft treten sollen. Mit den Vorgaben für die Bauern soll die Landwirtschaft unter anderem umweltfreundlicher werden. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten hatten sich im Juni auf eine Reform geeinigt. Umweltverbände und die Grünen kritisieren die Reform als nicht weitreichend genug.
Der Landwirtschaftsetat ist der größte Posten im EU-Haushalt: Rund 387 Milliarden Euro an Fördergeldern stehen für Landwirte in der EU zur Verfügung. Das ist mehr als ein Drittel des EU-Haushaltes. Diese sollen bis 2027 auf alle EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden - ein Großteil davon als Direktzahlung. Der kleinere Teil des Budgets geht unter anderem in die Entwicklung des ländlichen Raums. Viele Bauern sind von diesen Subventionen abhängig.
Die EU-Agrarminister hatten sich im Herbst 2020 auf einen allgemeinen Ansatz für das Reformpaket zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) geeinigt - unter der Leitung von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), weil Deutschland bis Ende 2020 die Präsidentschaft im EU-Rat inne hatte. Klöckner sprach damals im Deutschlandfunk von einem "Meilenstein" und einem "Systemwechsel". 27 Staaten mit unterschiedlichen Landwirtschaften hätten einen Konsens finden müssen.
Der größte Streitpunkt bei der Agrarreform war die Frage, wie die Direktzahlungen und die Mittel für ländliche Entwicklung ausgestaltet und an Öko- und Klimaanforderungen geknüpft werden sollen. Sollten diese wiederum freiwillig sein? Könnte man das Geld auch umschichten? Und wie kann verhindert werden, dass das Geld nicht verloren geht, wenn die Landwirte es nicht abrufen? Am 25. Juni wurde ein Konsens gefunden. Die Einigung muss noch formell bestätigt werden.
Wie ist die EU-Agrarpolitik bis jetzt geregelt?
Es gibt ein Zwei-Säulen-Modell: Die Summe aus der ersten Säule - den Direktzahlungen für landwirtschaftliche Betriebe - richtet sich allein nach der Größe der bewirtschafteten Ackerfläche. Davon flossen bisher um die sechs Milliarden Euro pro Jahr nach Deutschland, pro Hektar gibt es ungefähr 280 Euro. Die Osteuropäer, die später zur EU beigetreten sind, bekommen weniger. Hier werden Kompromisse angestrebt.
Der kleinere Teil der Zahlungen geht in die zweite Säule. Diese umfasst die Entwicklung des ländlichen Raums, also auch Agrarumweltprogramme. Bauern bekommen zum Beispiel Geld, wenn sie keine Pestizide einsetzen, obwohl sie das tun könnten.
Was sind die Kernpunkte der Reform?
Das gegenwärtige Zwei-Säulen-System soll beibehalten, die Mittel aber mehr an Umweltauflagen geknüpft werden. Auch kleinere Betriebe sollen an diese höheren Umweltstandards gebunden werden, allerdings mit vereinfachten Kontrollen und weniger Verwaltungsaufwand.
Landwirte, die sich an Umweltprogrammen, sogenannten Eco-Schemes, beteiligen, bekommen mehr Geld. Das kommt aus dem Topf der ersten Säule - den Direktzahlungen. Die EU-Landwirtschaftsminister wollten dafür 20 Prozent der Direktzahlungen reservieren. Das EU-Parlament forderte, dass ein Drittel der Direktzahlungen, also 30 Prozent, verpflichtend an Ökoregeln gebunden werden soll. In einem Kompromiss einigten sich EU-Staaten und EU-Parlament auf 25 Prozent der Direktzahlungen. Es steht aber noch nicht konkret fest, wie die Umweltregelungen aussehen sollen.
Damit das Geld nicht verloren geht, ist eine Übergangszeit von zwei Jahren vorgesehen. Außerdem sollen die Mitgliedstaaten auch Umweltleistungen, die in der zweiten Säule - dem Geldtopf für ländliche Entwicklung - erbracht werden, bei diesen Eco-Schemes anrechnen lassen können.
Was wollen die deutschen Landwirte?
Der Deutsche Bauernverband DBV als größte Bauernvertretung wollte bisher vor allem das Geld aus der ersten Säule, also die Direktzahlungen. Mit der Einigung der EU-Staaten auf die Grundzüge der Reform zeigte sich Bauernpräsident Joachim Rukwied zufrieden: Für Deutschland bedeuteten die Beschlüsse, dass sich die Mittel für Umweltmaßnahmen in der Landwirtschaft mehr als verdoppelten "auf eine Größenordnung von rund 1,8 Milliarden Euro".
Vor allem in Ostdeutschland gibt es große Agrarunternehmen, die intensiv in die Bioproduktion eingestiegen sind. Diese wollten keine Kürzungen bei den Umweltprogrammen - vertraten aber auch die Position: Je weniger Geld an Ökoregeln gebunden ist, desto besser. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und die klassischen Bioverbände sind dagegen absolut dafür, die Direktzahlungen an "wirksame ökologische und soziale Kriterien" zu binden. Sie verweisen auch auf die Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission - also unter anderem die Verringerung des Einsatzes von Pestiziden und Düngemitteln in der Landwirtschaft und Antibiotika in der Viehzucht sowie die Ausweitung des ökologischen Landbaus bis 2030.
Das entspricht nicht den Ideen des Deutschen Bauernverbandes, in dem es viele große Unternehmen gibt, die auf Monokulturen setzen. Auch die sehr starke deutsche Chemie- und Pharmaindustrie macht sich Gedanken über die Folgen, wenn der Pestizid- und Dünger-Einsatz bis zum Jahr 2030 halbiert werden müsste.
Die neue EU-Agrarreform werde aber nur dann ein Erfolg, wenn sie ein europäischer Kompromiss ist, der Ökonomie und Ökologie gut gleichgewichtet, sagte Udo Hemmerling, stellvertretende Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. im Dlf. Tierwohl, Klimaschutz, Biodiversität - das seien Dinge, die nicht über den Markt bezahlt werden würden. Hier sei die Situation für die Landwirte unklar, kritisierte Hemmerling.
"Der Landwirt - groß und klein - wird von zweierlei Seiten wirtschaftlich im Moment in die Zange genommen. Die ökonomische Seite, die Liberalisierung der Handelsabkommen, der Markt- und Nachfrage-Druck der Einzelhandelskonzerne und auf der anderen Seite wachsende Umweltauflagen. Hier brauchen wir die Agrarförderung auch mit einer Einkommenskomponente, um überhaupt die Landwirte überleben lassen zu können. Sonst werden große Teile der bäuerlichen Betriebe zerrieben", so Hemmerling.
Was sagen die Kritiker?
Der Grünen-Europaparlamentarier Martin Häusling kritisierte, dass auch nach der Reform ein Großteil der Agrarhilfen weiterhin nur an schwache Umweltauflagen gebunden sei. Es hätten sich außerdem die Kräfte durchgesetzt, die die Landwirtschaft in ihrer bisherigen Form konservieren wollten,
sagte er im Dlf
. Die Reform passe weder zur Forderung nach mehr Biodiversität noch zu den Beschlüssen der UN-Klimakonferenz.
Die Chance auf einen echten Wandel werde so verspielt. Die meisten Agrarminister wollten zuhause vor ihren Bauern glänzen, hatte Häusling mit Blick auf die Verhandlungen in Brüssel bereits im Mai getwittert.
Noch während der laufenden Verhandlungen hatte sich der Grüne-Bundestagspolitiker Harald Ebner für eine naturverträglich wirtschaftende europäische Landwirtschaft stark gemacht. Es sei eine Blamage, dass die Biodiversitätsstrategie in einem der wichtigsten Politikfelder der Europäischen Union nicht vorkomme, sagte er
im Interview mit dem Deutschlandfunk
.
"Es sieht danach aus, dass das Mindeste getan wird, um sagen zu können: Wir haben ja überhaupt etwas getan. Das reicht bei Weitem nicht aus, um die Misere zu beenden, dass wir rauskommen aus dem Dilemma des Artensterbens", warnte Ebner. Er forderte dazu auf, die Artenvielfalt, das saubere Grundwasser und das Klima zu schützen.
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, verteidigte
im Deutschlandfunk-Interview
den Kompromiss bei Reform der EU-Agrarpolitik Er persönlich hätte sich eine stärkere Förderung der ökologischen Landwirtschaft gewünscht, sagte Timmermans, der auch Klimaschutzkommissar ist. Viele Mitgliedstaaten hätten aber weniger gewollt. Insofern könne er mit den nun vereinbarten 25 Prozent gut leben. Der EU-Kommissar zeigte sich überzeugt, dass sich durch die Reform auf allen Bauernhöfen viel ändern werde.
Greenpeace: Kritik an "Greenwashing"
Greenpeace bemängelte, dass mit der Neugestaltung der Agrarpolitik am Ende sogenanntes 'Greenwashing' betrieben werde. Darunter versteht man, wenn es zwar Bekenntnisse zum Thema Nachhaltigkeit gibt und sich damit Menschen, Institutionen oder Unternehmen einen grünen Anstrich geben, dann aber nicht stringent danach handeln.
Tobias Reichert, Referent für Agrarpolitik und Welthandel bei der Umweltschutzorganisation Germanwatch e.V., erklärte, dass der Schritt in die richtige Richtung gehe. Er forderte aber, dass auch die Tierhaltung umgebaut werden und an die lokal verfügbare Futterfläche gekoppelt werden müsste. "Das würde heißen: weniger Tiere in der EU. Und da die Tierhaltung zwischen 60 und 70 Prozent der Treibhausgas-Emissionen ausmacht in der EU, ist ohne einen Umbau der Tierhaltung auch durch die Eco-Schemes ein wirksamer Klimaschutz in der Landwirtschaft nicht zu erreichen", sagte Reichert im Deutschlandfunk.
Knackpunkt: Direkte Zuschüsse für Flächen
Die Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik auf EU-Ebene ist auch für Deutschland bedeutsam. Die bisherige Geldverteilung wird mitverantwortlich gemacht für Umweltbelastungen durch Bäuerinnen und Bauern und das Höfesterben. Einer der Hauptkritikpunkte ist, dass bislang der Löwenanteil der EU-Zahlungen an Flächen der Landwirte gekoppelt ist. Dies hat zur Folge, dass rund 80 Prozent der Fördermittel an 20 Prozent der Betriebe gehen. Zudem werden umweltfreundliche Maßnahmen bislang nur mit einem verhältnismäßig kleinen Teil der Gelder unterstützt.
Grünen-Chef Robert Habeck forderte die Abschaffung direkter Zuschüsse für die Fläche und damit die Einführung einer "Gemeinwohlprämie": Es sollten diejenigen Bauern Geld bekommen, die gesellschaftliche Leistungen erbringen. Auch der Geschäftsführer des Deutschen Verbandes für Landschaftspflege,
Jürgen Metzner, plädierte im Dlf für eine Gemeinwohlprämie
. Umweltorganisationen schloßen sich der Kritik an: Ein Großteil der Zahlungen fließe einfach weiter ohne Umweltauflagen - und zudem gebe es noch eine zweijährige Übergangsfrist.
Wie geht es weiter?
Die EU-Kommission hatte bereits 2018 einen Vorschlag über die Reform veröffentlicht. Damals war vorgesehen, dass diese bereits für die Jahre 2021 bis 2027 greifen soll. Da sich die verschiedenen Institutionen aber nicht schnell genug einigen konnten, gilt für 2021 und 2022 eine Übergangsphase, etwas ändern wird sich frühestens ab 2023.
Quelle: DBV, BMU, dpa, og