Emine Erol steht auf der breiten Treppe vor dem Eingang des Rathauses Neukölln und begrüßt die Teilnehmer der Kundgebung. Etwa 80 Männer und Frauen hören ihr auf dem Vorplatz zu, viele Frauen tragen wie die Moderatorin ein Kopftuch. Zwei Männer haben eine Kippa aufgesetzt. Die Initiative Salaam-Schalom, ein Zusammenschluss von jungen Muslimen und Juden, hat zu dieser Kundgebung aufgerufen. Unter dem Motto "Wir sind Deutschland" fordern die Teilnehmenden Chancengleichheit für Frauen, die Kopftuch tragen wollen, sagt die jüdische Sprecherin der Initiative, Rebecca de Vries.
"Der Ort ist zufällig, weil wir in diesem Bezirk aktiv sind als Initiative und weil zufällig hier es einen Fall gegeben hat, der für uns Anlass war, uns noch mal damit zu beschäftigen, aber nicht weil hier Diskriminierung in irgendeiner Form höher oder präsenter wäre als in anderen Bezirken oder anderen Teilen Deutschlands."
Das Berliner Neutralitätsgesetz
De Vries spricht die Diskussion um die Rechtsreferendarin Betül Ulusoy an. Ulusoy hatte sich beim Bezirksamt um eine Stelle als Praktikantin beworben. Das Bezirksamt bot ihr nach einer Prüfung die Stelle an, allerdings ohne hoheitliche Aufgaben. So sieht es das Berliner Neutralitätsgesetz vor. Ulusoy fühlt sich dadurch diskriminiert, obwohl sie auch beim Kammergericht, wo sie momentan angestellt ist, nicht hoheitlich auftreten darf. Bei dieser Kundgebung gehe es aber nicht um den Streit zwischen Ulusoy und dem Bezirksamt, sagt Emine Erol, die muslimische Sprecherin der Salaam-Schalom-Initiative.
"Was uns hierher gebracht hat, ist hauptsächlich, dass wir einfach eine Stimme für ganz Berlin, überhaupt bundesweit mal aussprechen, dass jeder in der Gesellschaft wirklich vertreten ist, in öffentlichen Ämtern, also institutionell nicht diskriminiert wird. Darum geht es heute."
Einige Teilnehmer tragen Plakate mit einer Zeichnung einer kopftuchtragenden Frau. Darauf ist zu lesen: My Head My Choice - mein Kopf, meine Entscheidung.
Breites Bündnis
Ihre Kundgebung für das Kopftuch wird von einem breiten Bündnis verschiedenster Organisationen unterstützt, die oft mehr trennt als eint. Der gemeinsame Nenner ist das Eintreten für das Kopftuch. Neuköllner Grüne und Linke sind genauso dabei wie die vom Verfassungsschutz beobachtete Islamische Gemeinschaft Milli Görüş. Darin sieht Rebecca de Vries kein Problem.
"Genauso wie wir alle anderen Organisationen hier auf der Liste der Unterstützer willkommen geheißen haben, haben wir auch diese Organisation willkommen geheißen. Und das bedeutet nicht, dass wir uns mit allem identifizieren, wofür die Organisation steht, sondern dass die Organisation sich mit dem, was wir hier gemacht haben, identifiziert, genauso wie sehr viele andere Organisationen das auch getan haben."
Anderthalb Stunden lang stehen die Demonstranten des Bündnisses vor dem Rathaus im Regen, hören sich Reden und Gedichte an. Unter den Teilnehmern gibt es auch Privatpersonen, so wie die angehende Fremdsprachenkorrespondentin Hilal Kalyon. Sie fühlt sich wegen ihres Kopftuches nicht diskriminiert, aber das Thema beschäftigt sie trotzdem.
"Ich denke, dass ich hier in Berlin oder irgendwo anders natürlich irgendwelche Stellen bekommen werde. Aber der Gedanke ist immer da. Das ist echt traurig."
Der Initiative Salaam-Schalom gehören zurzeit 120 Personen an. Sie ist eine der wenigen Organisationen, in der Juden und Muslime gemeinsam arbeiten. Für ihre Kopftuch-Kundgebung fanden sie problemlos 20 andere Organisationen, die sie unterstützen. Doch innerhalb der Initiative selbst fällt es oft schwer, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen. So konnten sie sich zum Beispiel lange nicht entscheiden, wie sie sich gegenüber der antisemitischen Al-Quds-Demonstration verhalten sollen, die am vergangenen Wochenende in Berlin stattgefunden hat. Trotzdem gebe es immer ein starkes verbindendes Element, sagt Emine Erol, nämlich die Religiosität.
"Soweit sie vernünftig miteinander umgehen, glaube ich fest daran, dass man als Berliner und Berlinerinnen da kein Problem hat. Im Gegenteil, dass man sich öfter sogar bisschen besser versteht, weil man sich wie ein Magnet in einer bisschen atheistisch-sekulär besinnten Stadt auch mehr anzieht."