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Gemeinsame Suche nach Vermissten

Insgesamt 2000 Vermisste auf beiden Seiten - der gewaltsame Konflikt auf Zypern ist noch lange nicht aufgearbeitet. Lange zählten Griechen wie Türken nur ihre jeweils eigenen Opfer - jetzt gibt es immerhin eine gemeinsame Vermisstenkommission.

Von Gunnar Köhne |
    Ein Steinbruch in der Nähe der Hafenstadt Limassol. In einer gut fünf Meter tiefen und 15 Meter breiten Grube trägt ein Bagger vorsichtig Erdschicht um Erdschicht ab und schüttet die Erde auf einen Haufen. Sie suchen nach menschlichen Knochen – denn hier werden die Überreste von 50 türkisch-zyprischen Männern im Alter zwischen 14 und 75 vermutet, erschossen im August 1974 von griechischen Freischärlern. Ein Massaker, das nun, 36 Jahre später, erstmals die Justiz beschäftigt. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am Rand der Grube stehen der zyperngriechische Journalist Andreas Karaschos und seine türkische Kollegin Leyla Kiralp. Kiralps Mann gilt ebenfalls seit dem August 1974 als vermisst – vermutlich wurde er erschossen und an dieser Stelle verscharrt. Dennoch kann die 54-Jährige - anders als ihr Freund Karaschos - mit dem immer vernehmbarer werdenden Ruf nach einer juristischen Aufarbeitung der Verbrechen wenig anfangen:

    "Die meisten Täter sind doch heute gar nicht mehr am Leben. Ein paar von ihnen können noch zur Verantwortung gezogen werden. Aber was ändert das? Unseren Schmerz wird das nicht lindern. Unsere Toten kommen dadurch nicht zurück. Ich finde, das Wichtigste ist, dass die Zyprer aus den Geschehnissen Lehren ziehen."

    Karaschos: "Wenn man weiß, wer die Täter sind, dann müssen sie endlich beim Namen genannt werden! Weil die überlebenden Opfer kennen sie, und sie können nicht mit ihnen zusammen leben, solange sie nicht wissen, dass sie vor Gericht standen und bestraft wurden."

    Die Opfer kamen fast ausnahmslos aus Tohni, eine Viertelstunde Autofahrt von der Kiesgrube entfernt. Heute ist Tohni rein griechisch. Die wenigen verlassenen Häuser des ansonsten schmuck restaurierten Ortes gehörten einst den türkischen Bewohnern. Einer der beteiligten Täter von damals ist bekannt, er lebt heute noch als Rentner im Ort.

    Suat Kafadar ist der einzige türkische Überlebende von Tohni. Er war 19 Jahre alt, als man ihn mit den anderen am Rande der Grube niederschoss. Kafadar überlebte schwer verletzt - die Täter hielten ihn für tot. Sein Vater und sein Bruder dagegen überlebten das Massaker nicht. Heute lebt Kafadar im türkisch kontrollierten Norden. Er gehört zu denjenigen Angehörigen, die vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegen die Behörden im Süden geklagt hatten – erst dadurch kamen die Ermittlungen gegen die Täter von Tohni in Gang:

    "Ich will, dass es endlich zu einem Prozess gegen die Täter kommt. Aber nicht, weil ich Geld als Wiedergutmachung haben will. Darum geht es mir nicht. Mir geht es allein um die Gerechtigkeit."

    Das Schicksal von 260 von insgesamt 2000 Vermissten auf beiden Seiten konnte dank der Ausgrabungen in einem forensischen Labor der gemeinsamen Vermisstenkommission aufgeklärt werden. Den jahrelangen Recherchen der zyperntürkischen Publizistin Sevgül Uludag ist es zu verdanken, dass viele Massengräber entdeckt und griechische wie türkische Opfer identifiziert werden konnten. Jahrzehntelang zählten Griechen wie Türken nur ihre jeweils eigenen Opfer. Nun gibt es immerhin die gemeinsame Vermisstenkommission. Doch Sevgül Uludag meint, beide Seiten seien für eine juristische Aufarbeitung noch nicht reif:

    "Ich würde eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einsetzen, damit beide Seiten erst einmal darüber diskutieren können, was getan werden soll. Wie soll man sich der Vergangenheit stellen? Wie soll mit diesen Verbrechen umgegangen werden? Was tun mit den Tätern, die diese schweren Menschenrechtsverbrechen begangen haben?"