Erinnerungen werden wach, an den Moment, als er im Europäischen Parlament den damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi attackierte. Voller Leidenschaft kontert Martin Schulz unter der Reichstagskuppel auf die Rede von Alexander Gauland. Der habe wieder nur über eines geredet:
"Die Reduzierung komplexer Sachverhalte auf ein einziges Thema ist ein tradiertes Mittel des Faschismus. Das haben wir heute erneut vorgeführt bekommen: Die Migranten sind an allem Schuld! Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben und ich finde, es ist Zeit, dass die Demokraten in diesem Lande sich gegen diese Art der rhetorischen Aufrüstung, deren Resultat Gewalttaten auf den Straßen ist, wehrt, Herr Präsident!"
Martin Schulz in Rage
Kopfschütteln bei den Rechtspopulisten, Staunen bei der SPD. Da redet sich ein überzeugter Europäer in Rage. So sehr, dass sich die Fraktion von den Plätzen erhebt, um jenem Mann Respekt zu erweisen, der nach der gescheiterten Kanzlerkandidatur von Parteifreunden viel Spott erfahren hatte. Sogar Angela Merkel huscht da ein kurzes Lächeln über die Lippen. Nur ein Thema kenne die AfD, beklagt Schulz:
"Das wird kombiniert mit Aussagen wie 'Das tausendjährige Reich sei ein Vogelschiss'! Herr Gauland, die Menge von Vogelschiss ist ein Misthaufen und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte!"
Alexander Gauland anwortet:
"Das ist nicht mein Niveau. Das hat mit Faschismus überhaupt nichts zu tun, was ich gesagt habe. Es ist der Versuch, uns aus dem demokratischen Konsens auszugrenzen. Aber das wird Ihnen nicht gelingen, Herr Schulz!"
Alexander Gauland fühlt sich in die rechte Ecke gedrängt. Das hatte er schon zuvor in seiner Rede deutlich gemacht. Das ist der Mainstream, so seine Botschaft, Politik und Medien wollen uns diskreditieren. Ja, in Chemnitz seien ein paar aggressive Hohlköpfe unterwegs gewesen, aber: "Die Ausländer raus-Schreier und Hitler-Gruß Zeiger sind doch die größte Hoffnung für Sie, meine Damen und Herren vom politisch-medialen Establishment!"
Die Kanzlerin greift ein
Lange hatte die Kanzlerin, heute ganz in Rot in ihren Unterlagen gelesen, Korrekturen in einem Text vorgenommen, so als zeige sie demonstrativ Desinteresse, jetzt blickt Merkel auf. Gauland verteidigt gerade Verfassungsschutz-Präsident Maaßen, nein, es habe keine Hetzjagd gegeben, Recht habe er, und sollte man uns beobachten lassen wollen, na dann macht es doch: "Wir haben nichts zu verbergen, je mehr sich der Verfassungsschutz mit uns beschäftigt, desto klarer wird sein, dass nicht die AfD die Verfassung gefährdet."
Den Auftakt macht der Chef der stärksten Oppositionsfraktion, dann spricht die Kanzlerin. Noch nie hat sich Merkel wirklich provozieren lassen, ganz selten ist sie direkt auf ihren Vorredner eingegangen, dabei bleibt sie auch heute und bietet der AfD dennoch Paroli.
Hetze oder Hetzjagd?
"Ich kann jeden verstehen, der darüber empört ist, wenn sich nach Tötungsdelikten einmal mehr herausstellt, dass dies Straftäter sind, die schon mehrere Vorstrafen haben oder Menschen sind, die vollziehbar ausreisepflichtig sind", beginnt die Regierungschefin. Das aber, unterstreicht Merkel, rechtfertige nicht den Ablauf der fremdenfeindlichen Demonstrationen, an denen sich auch AfD-Spitzenpolitiker beteiligt hatten:
"Es gibt keine Entschuldigung für Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Nazi-Parolen, Anfeindungen von Menschen, die anders aussehen, die ein jüdisches Restaurant besitzen, Angriffe auf Polizisten, und begriffliche Auseinandersetzungen darüber, ob es nun Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns dabei wirklich nicht weiter."
Christian Lindner hält dagegen
Eine Watsche gegen Gauland, Seehofer und Maaßen. Legitimierungen führen in die Irre, warnt die CDU-Vorsitzende. Wir werden nicht zulassen, dass klammheimlich ganze Gruppen ausgegrenzt werden, Juden und Christen gehören wie Muslime und Atheisten in unsere Gesellschaft. Dann spricht die Kanzlerin über Rente und Pflege, am Ende über Europa, und wieder sind es die Migrationsfragen.
"Ich glaube, dass die Menschen im Land auch dafür kein Verständnis haben, wie hier argumentiert, wie hier debattiert wird", beklagt FDP-Chef Christian Lindner und meint die ritualisierte Empörung über die AfD. Dann setzt der Liberale an, um einen Integrationskonsens der Parteien der Mitte einzufordern, und fühlt sich dabei von Zwischenrufen des grünen Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter provoziert: "Ich empfinde Ihre Parteitaktik als empörend, ich will hier appellieren, dass wir uns gegen die wahren Gegner unserer freiheitlichen Ordnung zusammenschließen und Sie kommen mit Ihrer Trauma-Bearbeitung von Jamaika, weil Sie nicht Minister geworden sind!"
Emotionaler Schlagabtausch
Es ist eine aufgeheizte Debatte. Der Rechtsruck der AfD bestimmt die Auseinandersetzung im Parlament. Die Tatsache, dass in Chemnitz AfD-Politiker an der Seite von Pegida und Rechtsextremen demonstrierten, hat einiges in Berlin in Bewegung gebracht.