Archiv

Generaldebatte im Bundestag
Kanzlerin wirbt um Vertrauen für ihre Flüchtlingspolitik

In der heutigen Generaldebatte im Bundestag verzichteten die Koalitionspartner auf gegenseitige Angriffe. Linken-Chef Dietmar Bartsch kritisierte hingegen, die Koalition sei in ihre Restlaufzeit eingetreten und verwalte nur noch. Grünen-Chefin Katrin Göring-Eckardt bestritt, dass es im vorgelegten Haushalt solidarische Investitionen gebe.

Von Volker Finthammer |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht in einem roten Blazer am Rednerpult des Bundestags. Ihr Bild spiegelt sich in einer Scheibe.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der SPD-Voritzende Sigmar Gabriel zu Beginn der Generaldebatte im Bundestag. (dpa/Sophia Kembowski)
    Gleich zum Auftakt der Debatte brachte der Fraktionschef der Linken Dietmar Bartsch das Kernproblem der gegenwärtigen politischen Stimmungslage auf den Punkt:
    "Wir haben, glaube ich, in einer Frage hier ganz großen Konsens: Jeder hier im Haus will, dass diese Große Koalition möglichst bald beendet wird. Ich finde, das ist ein guter Ausgangspunkt."
    Die Kluft zwischen Sigmar Gabriel und Angela Merkel werde immer größer, und die Koalition sei in ihre Restlaufzeit eingetreten und verwalte nur noch, anstatt zu gestalten. Mit dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei habe sich die Kanzlerin in die Abhängigkeit von Recep Tayyip Erdogan begeben und sich damit erpressbar gemacht.
    "Frau Merkel, Ihnen ist der politische Kompass abhandengekommen. Es kann doch nicht sein, dass deutsche Außenpolitik Menschenrechte auf den Verhandlungstisch legt. Das geht nicht, meine Damen und Herren."
    Bartsch sprach von einer Angstmacherkoalition, die bei der inneren Sicherheit eine Sau nach der anderen durch die Dörfer treibe, ohne ein wirkliches Konzept zu haben. Dabei sei die Polizei in den letzten Jahren Opfer der Sparpolitik und der schwarzen Null geworden. Nötig seien dagegen höhere öffentliche Investitionen in allen Bereichen und keine Steuergeschenke für die Wohlhabenden. Das aber sei nur mit einem Politikwechsel möglich, sagte Bartsch und bot Sigmar Gabriel die Linke als Koalitionspartner an.
    Schwerste politische Last Merkels
    Bundeskanzlerin Angela Merkel blickte gleich auf ihre politisch schwerste Last: das vergangene Flüchtlingsjahr und die Schwierigkeiten, die damit verbunden waren. Von der Integrations- bis zur Sicherheitspolitik, wo viele Schritte notwendig gewesen seien.
    "Weil aber auch nicht jeder Flüchtling in guter Absicht kommt, werden wir weitere Maßnahmen ergreifen, um die öffentliche Sicherheit in Deutschland zu stärken. Die Menschen dürfen von uns verlangen, dass wir das Menschenmögliche tun, um ihre Sicherheit zu gewährleisten…"
    Die Kritik, sie schaue über Erdogans Politik hinweg, wollte Merkel nicht auf sich sitzen lassen. Sie verteidigte das Abkommen als einen zwingend notwendigen Schritt, um in der europäischen Flüchtlingspolitik einen wirksamen Schritt weiter zu kommen.
    "Wenn die Türkei Menschenrechte verletzt, dann wird das beim Namen genannt. Wenn in der Türkei ein Militärputsch scheitert, dann sagen wir, dass es gut ist, dass er scheitert, und dass es richtig war, dass die Menschen auf die Straße gegangen sind. Aber es ist, seitdem wir dieses Abkommen haben, so gut wie niemand mehr in der Ägäis ertrunken, während das in den ersten zwei Monaten noch hundert Menschen waren. Da kann man doch nicht zugucken, sondern da muss man doch mit dem anderen Land eine Regelung finden."
    Merkel (CDU): Keine Entleerung der Politik
    Zu der Wahlschlappe der demokratischen Parteien in Mecklenburg Vorpommern und dem Zuwachs der AFD sagte Merkel, es bringe nichts, die Wähler zu beschimpfen, und man dürfe bei der sprachlichen und inhaltlichen Entleerung der Politik nicht mitmachen.
    "Und wenn wir anfangen, dabei mitzumachen, dass Fakten beiseite gewischt oder ignoriert werden können, dann sind verantwortbare und konstruktive Antworten in der Sache nicht mehr möglich. Wenn wir anfangen, uns sprachlich und tatsächlich an denen zu orientieren, die an Lösungen nicht interessiert sind, verlieren wir am Ende die Orientierung."
    Die AFD sei eine Herausforderung für alle Parteien und dem könne nur angemessen begegnen, wer bei der Wahrheit bleibe und die Fakten klar benenne, anstatt mit demagogischen Parolen durchs Land zu ziehen. Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit und Solidarität seien ihre Leitmotive, sagte Merkel, und der Haushalt spiegele dies auch wider und zwar in allen Bereichen. Der Forderung nach der Rentenangleichung erteilte Merkel jedoch eine Absage, weil das ungerecht gegenüber den Arbeitnehmern im Westen sei. Damit wies sie eine inhaltliche Forderung der SPD zurück. Es blieb aber die einzige inhaltliche Kritik am Koalitionspartner, die in diesem Kontext auch stärker an die Linke als an die SPD gerichtet war.
    Die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, konterte mit dem chaotischen Zustand der Bundesregierung, die sich zusehends in Auseinandersetzungen versteckt habe, anstatt für einen klaren sachorientierten Kurs zu sorgen.
    "Nicht das Volk, nicht die Menschen in unserem Land sind überfordert, meine Damen und Herren, sondern Sie mit ihrer chaotischen Regierung sind es. Das ist das Problem, und darüber muss geredet werden."
    Göring-Eckardt (Grüne): "Ihre Behörden haben versagt"
    Seit elf Jahren sei die Union für die innere Sicherheit zuständig, und die jüngsten Ereignisse hätten all das Versagen dokumentiert. Statt mit klaren Maßnahmen und Entscheidungen komme man wieder mit Symbolpolitik, anstatt die zu würdigen, die sich täglich im Land Mühe geben, um die Flüchtlinge zu integrieren.
    "Seit elf Jahren sind Sie von der Union für die innere Sicherheit zuständig. Es sind ihre Behörden, die versagt haben, bei dem NSU die Warnhinweise zur Terrorismusgefahr verstolpert haben, und die auch für das Personaldefizit bei der Bundespolizei verantwortlich sind, die Sie jetzt mühsam wieder reparieren wollen, meine Damen und Herren…"
    Statt einer weiteren Steuerreform und einer unwirksamen Mietpreisbremse sollte die Koalition eher etwas für günstige Wohnungen in den Städten tun, um die Geringverdiener wirksam zu entlasten. Von wirklich gerechten und solidarischen Investitionen sei in diesem Haushalt nichts zu spüren, und selbst von der Klimaschutzpolitik sei in dieser Koalition nichts mehr übrig geblieben. Deshalb sei es Zeit für einen Regierungswechsel.
    Oppermann (SPD): "Armenier-Resolution gilt ohne Wenn und Aber"
    Thomas Oppermann, der Fraktionsvorsitzende der SPD, stellte sich vor die Regierungskoalition und deren Verhalten etwa gegenüber der Türkei.
    "Die Resolution zu Armenien, die wir hier verfasst haben, die gilt ohne Wenn und Aber. Da gibt es keine Relativierungen und schon gar nichts zurückzunehmen."
    Aber trotz der innenpolitischen Zuspitzungen in der Türkei sollte man an dem Abkommen festhalten, ohne zu den Vorgängen in der Türkei zu schweigen.
    Oppermann vermied tiefgehende Kritik am Koalitionspartner CDU und verteidigte den weiteren Aufbau der Polizei als einen notwendigen Schritt der Gefahrenabwehr. Aber die Bundeswehr sei keine polizeiliche Reservearmee und sollte es auch nicht werden. Und auch ein Burka-Verbot habe nichts mit innerer Sicherheit zu tun. Aber da habe Innenminister Thomas De Maizière bereits die richtigen Worte gefunden.
    "Und ich finde, wir können den Rechtspopulisten so am schnellsten das Wasser abgraben, dass wir mit einem handlungsfähigen, starken Staat für soziale Sicherheit sorgen und für öffentliche Sicherheit sorgen."
    Die Koalitionspartner vermieden es also in dieser Debatte, sich gegenseitig anzugreifen und vorzuführen. Dafür ist es zwölf Monate vor der Wahl wohl noch zu früh.