Bob Drogin ist es gelungen, die Geschichte von "Curveball" packend zu erzählen. Sein Buch enthält erstaunliche Informationen und eine Unmenge an Einzelheiten. Die Welt der amerikanischen Geheimdienste lassen sie plötzlich seltsam transparent erscheinen:
Konflikte zwischen verschiedenen Lagern und Abteilungen innerhalb derselben Behörde, Auseinandersetzungen zwischen der CIA und dem Militärgeheimdienst; Kollegen, die sich nicht leiden können oder die sich sogar bekämpfen; und schließlich Agenten, die einfach kaltgestellt werden - abgeschoben in einsame Büros - ohne Zugang zu nennenswerten Informationen.
Die Geschichte des irakischen Flüchtlings Rafid Ahmed Alwan, so Curveballs richtiger Name, beginnt jedoch in Deutschland, wo er sich auf der Suche nach Asyl dem BND offenbart und Informationen erfindet, sie setzt sich in den USA fort - vor allem in der CIA-Zentrale, wo diese Informationen nicht hinterfragt werden und führt schließlich in den Irak, wo amerikanische Teams nach Ende der Invasion mit hohem Aufwand, aber schließlich vergeblich nach biologischen Waffen suchen.
Obwohl sich die Kapitel dieses Buch logisch und meist chronologisch aneinanderreihen, alle Informationen schlüssig aufeinander aufbauen, gelingt es Drogin souverän, nicht in die große Falle zu tappen: den Bundesnachrichtendienst macht er ganz bewusst nicht zum Sündenbock der Amerikaner. Auch wenn der deutsche Titel seines Buch und die auf dem Umschlag grafisch angeordneten Begriffe eigentlich genau darauf schließen lassen:
Krieg-Akte-CIA-Irak-Verhör-BND-Asyl-Codename Curveball-Lügenquelle-Deutschland-Waffen-Amerika-Macht
"Wie ein Informant des BND den Irakkrieg auslöste" - der Untertitel legt sehr nahe, dass dem BND, also den Deutschen im Drama, das zum Irak-Krieg führte eine tragende Rolle zukam. Tatsächlich zeigt Drogin jedoch mit dem Finger auf die amerikanischen Dienste, vor allem die CIA:
Sie haben Warnungen der deutschen Dienste ignoriert. Die sagten, dass es sich um eine einzelne Quelle handelt, dass die Ergebnisse nicht bestätigt werden können, dass er einen Nervenzusammenbruch hatte und ein Hochstapler sein könne.
Im seinem Buch macht Drogin deutlich, dass der BND die Amerikaner nicht nur einmal, sondern wiederholt und immer eindringlicher vor den Informationen seiner Quelle warnte. Das fängt bei einem gemeinsamen Essen zwischen dem CIA-Europa-Chef Drummheller und dem BND-Residenten in Washington, Gradl, an und endet mit einem Brief, den der frühere BND-Chef und jetzige Innenstaatssekretär Hanning Ende 2002 im Zusammenhang mit "Curveball" an CIA-Chef Tenet geschrieben hatte.
Genau hier liegt allerdings einer der Schwachpunkte in Drogins Recherchen. Erstaunlicherweise zitiert er nur wenige Sätze aus Hannings Brief. In den Anmerkungen ist zu erfahren, dass er dem Autor nur "vorgelesen" worden sei. Dieses Schriftstück lag Drogin also nicht vor, als er sein Buch verfasste, obwohl der Brief zumindest aus deutscher Sicht von großer Bedeutung ist.
Es dürfte wohl kein Zufall sein, dass Hans Leyendecker in seinem Vorwort zu "Codename Curveball" breit auf den Brief eingeht und daraus ausführlich zitiert, offenbar um das Bild zu ergänzen. Nach Angaben des BND hat Drogin übrigens mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst nie direkt in Kontakt gestanden. Das hatte offenbar sein Mitarbeiter John Goetz übernommen, dessen Verdienste Drogin in seinem Buch dann auch ausführlich würdigt.
Trotz dieses Schwachpunkts bleibt der Pulitzer-Preisträger allerdings durchgehend bei seiner Linie. Er prangert die Fehler des BND zwar an, weist aber immer wieder darauf hin, dass Bush-Administration die schlecht belegten Informationen aus Deutschland zupass kamen, um die Irak-Invasion zu rechtfertigen.
So auch am Vorabend der berühmten Rede des amerikanischen Außenministers Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat im Februar 2002. Drogin schildert einen Dialog zwischen Powell und dem CIA-Chef:
Tenet garantierte ihm mehrfach, dass es sich um vollkommen zuverlässige Informationen handelte. Niemand sagte ein Wort über die Bedenken des BND. Und niemand warnte Powell, dass einer der Informanten, die Curveballs Angaben bestätigt hatten, als Betrüger erkannt worden war. Nach mehreren Probeläufen spielte Powell am späten Dienstagabend erstmals die gesamte Rede durch. Nach Beendigung der Simulation wandte er sich an Tenet: "George, Sie stehen vorbehaltlos zu diesen Informationen, richtig? Dies ist Ihre letzte Chance". "Vollkommen, Herr Minister!" antwortete Tenet.
Das war kurz vor der Invasion. Tenet selbst hat inzwischen seine Sicht der Dinge in einem Buch veröffentlicht. Auch der frühere CIA-Europa-Chef Tyler Drummheller berichtet in seinem Buch von seinen Erfahrungen. Drummheller kritisiert die amerikanischen Dienste darin übrigens ausdrücklich für dem rüden Umgang mit Ihren Partnern.
Anders als früheren CIA-Leuten geht es Bob Drogin aber um keine Rechtfertigung, sondern um eine Generalkritik an den 16 amerikanischen Geheimdiensten und den Kanälen, über die sie ihre Informationen an die Administration in Washington und den Präsidenten herantragen:
"Für mich ist das keine Sache von ein paar Leuten", so Drogin, "das System ist korrupt".
Bleibt abzuwarten, ob der gewählte amerikanische Präsident Barack Obama hier den Hebel ansetzt und Veränderungen einleitet. Wie hoch der Stellenwert der Geheimdienste in Washington ist, hat sich daran gezeigt, dass auch Obama - schon wenige Tage nach seiner Wahl - von der CIA unterrichtet wurde.
Deutsche Leser müssen eines an Drogins bemerkenswertem Buch in Kauf nehmen. Es ist zuallererst für Amerikaner geschrieben und das merkt man ihm an, zum Beispiel wenn Drogin den Flug des Irakers nach München schildert:
Im Kabinengang drängten sich rasch die Fluggäste, die sich aus den Sitzen erhoben und ihre überfüllten Taschen aus den Gepäckfächern wuchteten. Sie schlüpften in abgetragene Ledermäntel oder dicke Skiparkas und schoben müde Kinder zur Tür, um die Metalltreppen hinunter zu steigen. Rafid Alwan folgte ihnen, Flughafenpersonal in gelben Leuchtjacken eilte herbei. Fahrzeuge, die zur Warnung orange lackiert worden waren, transportierten zum Bersten mit Säcken gefüllte silberne Container ab. Große weiße Catering-Laster entluden Lieferungen und nahmen neue auf. Olivgrüne Kleinbusse flitzten hin und her.
So genau dürfte das vielleicht nicht einmal amerikanische Leser interessieren. Stilistisch versucht Drogin zu oft den Eindruck zu erwecken, als sei er überall dabei gewesen. Auch das lässt sich aber in Kauf nehmen, denn dafür löst kaum eine der 400 Seiten aus seinem Buch Langeweile aus.
Bob Drogin: Codename Curveball. Wie ein Informant des BND den Irak-Krieg auslöste, Econ Verlag, Berlin 2008
Konflikte zwischen verschiedenen Lagern und Abteilungen innerhalb derselben Behörde, Auseinandersetzungen zwischen der CIA und dem Militärgeheimdienst; Kollegen, die sich nicht leiden können oder die sich sogar bekämpfen; und schließlich Agenten, die einfach kaltgestellt werden - abgeschoben in einsame Büros - ohne Zugang zu nennenswerten Informationen.
Die Geschichte des irakischen Flüchtlings Rafid Ahmed Alwan, so Curveballs richtiger Name, beginnt jedoch in Deutschland, wo er sich auf der Suche nach Asyl dem BND offenbart und Informationen erfindet, sie setzt sich in den USA fort - vor allem in der CIA-Zentrale, wo diese Informationen nicht hinterfragt werden und führt schließlich in den Irak, wo amerikanische Teams nach Ende der Invasion mit hohem Aufwand, aber schließlich vergeblich nach biologischen Waffen suchen.
Obwohl sich die Kapitel dieses Buch logisch und meist chronologisch aneinanderreihen, alle Informationen schlüssig aufeinander aufbauen, gelingt es Drogin souverän, nicht in die große Falle zu tappen: den Bundesnachrichtendienst macht er ganz bewusst nicht zum Sündenbock der Amerikaner. Auch wenn der deutsche Titel seines Buch und die auf dem Umschlag grafisch angeordneten Begriffe eigentlich genau darauf schließen lassen:
Krieg-Akte-CIA-Irak-Verhör-BND-Asyl-Codename Curveball-Lügenquelle-Deutschland-Waffen-Amerika-Macht
"Wie ein Informant des BND den Irakkrieg auslöste" - der Untertitel legt sehr nahe, dass dem BND, also den Deutschen im Drama, das zum Irak-Krieg führte eine tragende Rolle zukam. Tatsächlich zeigt Drogin jedoch mit dem Finger auf die amerikanischen Dienste, vor allem die CIA:
Sie haben Warnungen der deutschen Dienste ignoriert. Die sagten, dass es sich um eine einzelne Quelle handelt, dass die Ergebnisse nicht bestätigt werden können, dass er einen Nervenzusammenbruch hatte und ein Hochstapler sein könne.
Im seinem Buch macht Drogin deutlich, dass der BND die Amerikaner nicht nur einmal, sondern wiederholt und immer eindringlicher vor den Informationen seiner Quelle warnte. Das fängt bei einem gemeinsamen Essen zwischen dem CIA-Europa-Chef Drummheller und dem BND-Residenten in Washington, Gradl, an und endet mit einem Brief, den der frühere BND-Chef und jetzige Innenstaatssekretär Hanning Ende 2002 im Zusammenhang mit "Curveball" an CIA-Chef Tenet geschrieben hatte.
Genau hier liegt allerdings einer der Schwachpunkte in Drogins Recherchen. Erstaunlicherweise zitiert er nur wenige Sätze aus Hannings Brief. In den Anmerkungen ist zu erfahren, dass er dem Autor nur "vorgelesen" worden sei. Dieses Schriftstück lag Drogin also nicht vor, als er sein Buch verfasste, obwohl der Brief zumindest aus deutscher Sicht von großer Bedeutung ist.
Es dürfte wohl kein Zufall sein, dass Hans Leyendecker in seinem Vorwort zu "Codename Curveball" breit auf den Brief eingeht und daraus ausführlich zitiert, offenbar um das Bild zu ergänzen. Nach Angaben des BND hat Drogin übrigens mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst nie direkt in Kontakt gestanden. Das hatte offenbar sein Mitarbeiter John Goetz übernommen, dessen Verdienste Drogin in seinem Buch dann auch ausführlich würdigt.
Trotz dieses Schwachpunkts bleibt der Pulitzer-Preisträger allerdings durchgehend bei seiner Linie. Er prangert die Fehler des BND zwar an, weist aber immer wieder darauf hin, dass Bush-Administration die schlecht belegten Informationen aus Deutschland zupass kamen, um die Irak-Invasion zu rechtfertigen.
So auch am Vorabend der berühmten Rede des amerikanischen Außenministers Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat im Februar 2002. Drogin schildert einen Dialog zwischen Powell und dem CIA-Chef:
Tenet garantierte ihm mehrfach, dass es sich um vollkommen zuverlässige Informationen handelte. Niemand sagte ein Wort über die Bedenken des BND. Und niemand warnte Powell, dass einer der Informanten, die Curveballs Angaben bestätigt hatten, als Betrüger erkannt worden war. Nach mehreren Probeläufen spielte Powell am späten Dienstagabend erstmals die gesamte Rede durch. Nach Beendigung der Simulation wandte er sich an Tenet: "George, Sie stehen vorbehaltlos zu diesen Informationen, richtig? Dies ist Ihre letzte Chance". "Vollkommen, Herr Minister!" antwortete Tenet.
Das war kurz vor der Invasion. Tenet selbst hat inzwischen seine Sicht der Dinge in einem Buch veröffentlicht. Auch der frühere CIA-Europa-Chef Tyler Drummheller berichtet in seinem Buch von seinen Erfahrungen. Drummheller kritisiert die amerikanischen Dienste darin übrigens ausdrücklich für dem rüden Umgang mit Ihren Partnern.
Anders als früheren CIA-Leuten geht es Bob Drogin aber um keine Rechtfertigung, sondern um eine Generalkritik an den 16 amerikanischen Geheimdiensten und den Kanälen, über die sie ihre Informationen an die Administration in Washington und den Präsidenten herantragen:
"Für mich ist das keine Sache von ein paar Leuten", so Drogin, "das System ist korrupt".
Bleibt abzuwarten, ob der gewählte amerikanische Präsident Barack Obama hier den Hebel ansetzt und Veränderungen einleitet. Wie hoch der Stellenwert der Geheimdienste in Washington ist, hat sich daran gezeigt, dass auch Obama - schon wenige Tage nach seiner Wahl - von der CIA unterrichtet wurde.
Deutsche Leser müssen eines an Drogins bemerkenswertem Buch in Kauf nehmen. Es ist zuallererst für Amerikaner geschrieben und das merkt man ihm an, zum Beispiel wenn Drogin den Flug des Irakers nach München schildert:
Im Kabinengang drängten sich rasch die Fluggäste, die sich aus den Sitzen erhoben und ihre überfüllten Taschen aus den Gepäckfächern wuchteten. Sie schlüpften in abgetragene Ledermäntel oder dicke Skiparkas und schoben müde Kinder zur Tür, um die Metalltreppen hinunter zu steigen. Rafid Alwan folgte ihnen, Flughafenpersonal in gelben Leuchtjacken eilte herbei. Fahrzeuge, die zur Warnung orange lackiert worden waren, transportierten zum Bersten mit Säcken gefüllte silberne Container ab. Große weiße Catering-Laster entluden Lieferungen und nahmen neue auf. Olivgrüne Kleinbusse flitzten hin und her.
So genau dürfte das vielleicht nicht einmal amerikanische Leser interessieren. Stilistisch versucht Drogin zu oft den Eindruck zu erwecken, als sei er überall dabei gewesen. Auch das lässt sich aber in Kauf nehmen, denn dafür löst kaum eine der 400 Seiten aus seinem Buch Langeweile aus.
Bob Drogin: Codename Curveball. Wie ein Informant des BND den Irak-Krieg auslöste, Econ Verlag, Berlin 2008