In Nigeria liegen die Nerven blank. Wegen der Anschläge der Terrorsekte Boko Haram trauen sich viele Menschen eigentlich kaum noch auf die Straße. Doch gehen sie auf die Barrikaden – gegen die Regierung. Durch den Stopp der Benzinsubventionen haben sich die Spritpreise verdoppelt, auch Nahrungsmittel werden teurer. Und das in einem Land, in dem viele Menschen von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen.
"Wir haben keine Angst mehr vor Euch. Ihr könnt den Krieg gerne haben, wir werden kämpfen, bis zum letzten Blutstropfen!"
Occupy Nigeria: In Lagos blockieren Demonstranten die Stadtautobahn, Autoreifen brennen, wichtige Häfen sind lahmgelegt, Flüge gestrichen, Geschäfte geschlossen. Der Generalstreik geht weiter – und eskaliert. Bei Zusammenstößen mit der Polizei starben bisher mindestens zehn Menschen. Im Zentrum der Kritik: Präsident Goodluck Jonathan. Immer weniger Nigerianer vertrauen ihrem Staatsoberhaupt. Jonathan habe Nigeria kein Glück gebracht, sondern nichts als Unheil – bad luck eben.
Eigentlich hat der Präsident gute Absichten. Acht Milliarden Dollar will er einsparen und in die marode Infrastruktur des Landes stecken. Doch viele fürchten, dass das Geld nicht in Straßen und Krankenhäuser wandert, sondern vielmehr in die Taschen korrupter Politiker. Sie wissen, dass das Ölland Nigeria auch ohne die acht Milliarden ein reiches Land sein könnte - wenn der Reichtum nur besser verteilt wäre:
"Was wir in diesem Land durch Korruption verlieren, ist etwa viermal so hoch wie das, was wir durch den Subventionsstopp gewinnen! Die müssen diese Korruption ernsthaft angehen. Wenn nicht, dann machen wir dieses Land unregierbar!""
Doch unregierbar erscheint Nigeria schon jetzt. Die Proteste werden immer härter, außerdem bekommt die Regierung die Terrorsekte Boko Haram nicht in den Griff. Bei islamistischen Anschlägen wurden allein seit Weihnachten mehr als 100 Menschen getötet. Der Staat wirkt hilflos, gelähmt, und die Angst geht um. Und dann taucht auch noch dieses Video im Internet auf: Imam Abubakar Shekau, der Anführer von Boko Haram, verteidigt darin die Angriffe auf Christen und erklärt, es handele sich um Rache für Anschläge auf Muslime.
Im Video trägt der bärtige Sektenchef ein weißes Gewand, darüber eine grüne kugelsichere Weste. Im Hintergrund sind zwei Kalaschnikow-Gewehre zu sehen. Der Terror hat ein Gesicht. Der Boko Haram-Führer warnt Präsident Jonathan, Nigerias Sicherheitskräfte in den Norden zu schicken: Selbst das Militär könne seine Gruppe nicht besiegen.
Die offiziellen Vertreter des Islam in Nigeria lehnen die Gewalt der Sekte ab. Sheikh Fuad Adeyemi, Sprecher des Rats für islamische Angelegenheiten, versucht, die Lage zu beruhigen.
""Es ist sehr traurig, niemand wollte das, keine Religion sät eine solche Gewalt. Wir mögen unsere Unterschiede haben, aber am Ende beten wir alle zum gleichen Gott. Dies ist eine Herausforderung für uns alle. Wie wollen wir in diesem Land zusammenleben? Wir verurteilen diese Anschläge aufs Schärfste!"
Doch jeden Tag überschlagen sich die Meldungen von neuen Anschlägen auf Christen, gleichzeitig nehmen die Spannungen zwischen den Religionsgruppen zu, Zehntausende Menschen sind auf der Flucht. Ayo Oritsejafor, Vorsitzender der Vereinigung der Christen Nigerias, gießt Öl ins Feuer. Der evangelikale Priester spricht von einer "Kriegserklärung" gegen die Christen und droht mit einer - wie er sagt - "angemessenen Antwort".
"Als Christen haben wir entschieden, unser Schicksal in die eigene Hand zu nehmen – wir werden uns gegen diese sinnlosen Mordattacken selbst verteidigen!"
Mit jedem Anschlag werden die Risse in Nigerias komplizierter Gesellschaft tiefer. Während Boko Haram weiter Kirchen angreift, brennen inzwischen auch Moscheen und Koranschulen. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas hat ein regelrechtes Terrorjahr hinter sich, immer wieder waren Christen und Muslime Opfer religiös motivierter Gewalt. Opfer der Sekte Boko Haram, und Opfer der blutigen Gemetzel in Nigerias Middle Belt – in Kaduna oder Jos, wo die Trennlinie verläuft zwischen dem christlichen Süden und dem muslimischen Norden. Doch diesen Konflikt rein religiös zu deuten, greife zu kurz, erklärt der Imam Mohammed Ashafa. Es gehe nicht um Gott, sondern um Macht, um Politik, um Korruption, um Ölreichtum, Land und Wasser.
"Viele unserer Politiker haben nichts zu bieten. Wenn sie einem guten Argument nichts entgegensetzen können, sagen sie Dinge wie: 'Ich wurde benachteiligt, weil ich Moslem bin.' 'Ich wurde ausgestoßen, weil ich Christ bin.' Und dann wiegeln sie ihre Gemeinde mit negativen Stereotypen auf. Religion kann eine große Wirkung entfalten. Sie kann mehr Energie enthalten als eine Atombombe."
Das weiß auch Boko Haram – und macht mit Religion Politik. Die selbst ernannten Taliban Nigerias wollen nicht nur das islamische Recht der Scharia durchsetzen und die Christen aus dem Norden verjagen, sie wollen vor allem die Regierung schwächen. Möglicherweise sogar mit Unterstützung von mächtigen Geschäftsleuten und Militärs. Präsident Jonathan vermutet Helfershelfer von Boko Haram sogar in seiner eigenen Regierung - und ruft den Notstand aus.
Jonathan vergleicht die dramatische Lage schon mit der Phase vor dem Biafra-Krieg der späten 60er-Jahre, spricht vom Terror als einem Krebsgeschwür. Nigeria ist krank, und der Staat hat keine wirksame Medizin. Boko Haram spaltet das sensible Sozialgefüge Nigerias - auf dem Rücken der Religion und auf dem Rücken der Menschen. Das Projekt Nigeria drohe zu scheitern, fürchtet sogar Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka. Spritsubventionen seien da gegenwärtig Nigerias geringstes Problem.
"Wir sehen, wie das Land möglicherweise in einen Bürgerkrieg schlittert. Wir kennen die Pogrome, die es zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen gegeben hat. Wir wissen, dass sie aufgehetzt und manipuliert wurden - durch korrupte Politiker, die ihre Spuren verwischen, indem sie Chaos säen. Terroristen können einfach Gotteshäuser angreifen und wehrlose Menschen töten, und niemand stoppt diese Leute. Unsere Nation steht am Scheideweg. Das lässt sich nicht mehr leugnen."
"Wir haben keine Angst mehr vor Euch. Ihr könnt den Krieg gerne haben, wir werden kämpfen, bis zum letzten Blutstropfen!"
Occupy Nigeria: In Lagos blockieren Demonstranten die Stadtautobahn, Autoreifen brennen, wichtige Häfen sind lahmgelegt, Flüge gestrichen, Geschäfte geschlossen. Der Generalstreik geht weiter – und eskaliert. Bei Zusammenstößen mit der Polizei starben bisher mindestens zehn Menschen. Im Zentrum der Kritik: Präsident Goodluck Jonathan. Immer weniger Nigerianer vertrauen ihrem Staatsoberhaupt. Jonathan habe Nigeria kein Glück gebracht, sondern nichts als Unheil – bad luck eben.
Eigentlich hat der Präsident gute Absichten. Acht Milliarden Dollar will er einsparen und in die marode Infrastruktur des Landes stecken. Doch viele fürchten, dass das Geld nicht in Straßen und Krankenhäuser wandert, sondern vielmehr in die Taschen korrupter Politiker. Sie wissen, dass das Ölland Nigeria auch ohne die acht Milliarden ein reiches Land sein könnte - wenn der Reichtum nur besser verteilt wäre:
"Was wir in diesem Land durch Korruption verlieren, ist etwa viermal so hoch wie das, was wir durch den Subventionsstopp gewinnen! Die müssen diese Korruption ernsthaft angehen. Wenn nicht, dann machen wir dieses Land unregierbar!""
Doch unregierbar erscheint Nigeria schon jetzt. Die Proteste werden immer härter, außerdem bekommt die Regierung die Terrorsekte Boko Haram nicht in den Griff. Bei islamistischen Anschlägen wurden allein seit Weihnachten mehr als 100 Menschen getötet. Der Staat wirkt hilflos, gelähmt, und die Angst geht um. Und dann taucht auch noch dieses Video im Internet auf: Imam Abubakar Shekau, der Anführer von Boko Haram, verteidigt darin die Angriffe auf Christen und erklärt, es handele sich um Rache für Anschläge auf Muslime.
Im Video trägt der bärtige Sektenchef ein weißes Gewand, darüber eine grüne kugelsichere Weste. Im Hintergrund sind zwei Kalaschnikow-Gewehre zu sehen. Der Terror hat ein Gesicht. Der Boko Haram-Führer warnt Präsident Jonathan, Nigerias Sicherheitskräfte in den Norden zu schicken: Selbst das Militär könne seine Gruppe nicht besiegen.
Die offiziellen Vertreter des Islam in Nigeria lehnen die Gewalt der Sekte ab. Sheikh Fuad Adeyemi, Sprecher des Rats für islamische Angelegenheiten, versucht, die Lage zu beruhigen.
""Es ist sehr traurig, niemand wollte das, keine Religion sät eine solche Gewalt. Wir mögen unsere Unterschiede haben, aber am Ende beten wir alle zum gleichen Gott. Dies ist eine Herausforderung für uns alle. Wie wollen wir in diesem Land zusammenleben? Wir verurteilen diese Anschläge aufs Schärfste!"
Doch jeden Tag überschlagen sich die Meldungen von neuen Anschlägen auf Christen, gleichzeitig nehmen die Spannungen zwischen den Religionsgruppen zu, Zehntausende Menschen sind auf der Flucht. Ayo Oritsejafor, Vorsitzender der Vereinigung der Christen Nigerias, gießt Öl ins Feuer. Der evangelikale Priester spricht von einer "Kriegserklärung" gegen die Christen und droht mit einer - wie er sagt - "angemessenen Antwort".
"Als Christen haben wir entschieden, unser Schicksal in die eigene Hand zu nehmen – wir werden uns gegen diese sinnlosen Mordattacken selbst verteidigen!"
Mit jedem Anschlag werden die Risse in Nigerias komplizierter Gesellschaft tiefer. Während Boko Haram weiter Kirchen angreift, brennen inzwischen auch Moscheen und Koranschulen. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas hat ein regelrechtes Terrorjahr hinter sich, immer wieder waren Christen und Muslime Opfer religiös motivierter Gewalt. Opfer der Sekte Boko Haram, und Opfer der blutigen Gemetzel in Nigerias Middle Belt – in Kaduna oder Jos, wo die Trennlinie verläuft zwischen dem christlichen Süden und dem muslimischen Norden. Doch diesen Konflikt rein religiös zu deuten, greife zu kurz, erklärt der Imam Mohammed Ashafa. Es gehe nicht um Gott, sondern um Macht, um Politik, um Korruption, um Ölreichtum, Land und Wasser.
"Viele unserer Politiker haben nichts zu bieten. Wenn sie einem guten Argument nichts entgegensetzen können, sagen sie Dinge wie: 'Ich wurde benachteiligt, weil ich Moslem bin.' 'Ich wurde ausgestoßen, weil ich Christ bin.' Und dann wiegeln sie ihre Gemeinde mit negativen Stereotypen auf. Religion kann eine große Wirkung entfalten. Sie kann mehr Energie enthalten als eine Atombombe."
Das weiß auch Boko Haram – und macht mit Religion Politik. Die selbst ernannten Taliban Nigerias wollen nicht nur das islamische Recht der Scharia durchsetzen und die Christen aus dem Norden verjagen, sie wollen vor allem die Regierung schwächen. Möglicherweise sogar mit Unterstützung von mächtigen Geschäftsleuten und Militärs. Präsident Jonathan vermutet Helfershelfer von Boko Haram sogar in seiner eigenen Regierung - und ruft den Notstand aus.
Jonathan vergleicht die dramatische Lage schon mit der Phase vor dem Biafra-Krieg der späten 60er-Jahre, spricht vom Terror als einem Krebsgeschwür. Nigeria ist krank, und der Staat hat keine wirksame Medizin. Boko Haram spaltet das sensible Sozialgefüge Nigerias - auf dem Rücken der Religion und auf dem Rücken der Menschen. Das Projekt Nigeria drohe zu scheitern, fürchtet sogar Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka. Spritsubventionen seien da gegenwärtig Nigerias geringstes Problem.
"Wir sehen, wie das Land möglicherweise in einen Bürgerkrieg schlittert. Wir kennen die Pogrome, die es zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen gegeben hat. Wir wissen, dass sie aufgehetzt und manipuliert wurden - durch korrupte Politiker, die ihre Spuren verwischen, indem sie Chaos säen. Terroristen können einfach Gotteshäuser angreifen und wehrlose Menschen töten, und niemand stoppt diese Leute. Unsere Nation steht am Scheideweg. Das lässt sich nicht mehr leugnen."