In den Büros der griechischen Startup-Firma Taxibeat an der Sinastraße, im schicken Athener Viertel Kolonaki. In der Kundenberatung haben Elli, Hari, Nikos und Gerassimos, junge Leute zwischen 20 und 30, auch heute viel zu tun: Ein Taxifahrer ruft an, weil er die Adresse des Kunden nicht findet, ein anderer möchte sein Profil auf den neusten Stand bringen.
Die Firmenzentrale ähnelt eher einem modernen Apartment als einem Büro. Ein hipper Konferenzraum mit einer großen, hellgrünen Couch und handgeschriebenen Notizen an den Wänden, eine farbenfrohe Küche, eine lange Couch mit Tischen im Flur, eine Bar mit schwarzen Hochstühlen. Wären da nicht die jungen Leute, die hinter einer Glaswand an ihren Computern arbeiten. Das Konzept des Unternehmens sei ganz einfach, erklärt Pressefrau Maria Mouzakiti:
"Mit unserer App kannst du von überall ein Taxi anfordern. Du brauchst nur auf ein Symbol zu klicken und schon hast du innerhalb weniger Minuten einen Fahrer vor deiner Tür. Für die Kunden ist das umsonst. Die Taxifahrer zahlen eine Provision an uns, das sind zehn Prozent des Fahrpreises. Dafür haben sie aber viel mehr zu tun: Statt auf der Suche nach Kunden die Straßen rauf und runter zu fahren oder stundenlang am Taxistand zu warten, werden sie über die App angefordert."
Die Idee dazu hatte der Gründer des Startups, Nikos Drandakis, vor vier Jahren; als er eines Tages auf den Athener Straßen lange nach einem freien Taxi Ausschau hielt - und keines finden konnte:
"Da hat er sich gedacht: 'Ich besitze doch ein Smartphone. Warum kann ich den Taxis nicht übers Internet mein Signal schicken, sodass sie sehen, wo ich bin?' So fing alles an. Zusammen mit drei Partnern beschloss er, die Entwicklung einer solchen App in die Wege zu leiten und wenige Monate später kam sie schon auf den Markt."
300.000 Griechen benutzen die Taxibeat-App
Was 2011 als Vier-Mann-Startup anfing, ist heute ein Unternehmen mit 35 Angestellten. Doch am Anfang sei es gar nicht so leicht gewesen, die Athener Taxifahrer zu überzeugen mitzumachen, erinnert sich Mouzakiti:
"Für die Taxifahrer war das etwas komplett Neues. Und wäre nicht die Krise, hätten sie bestimmt nicht so ein Interesse daran gehabt, mitzumachen. Mit der App bekommen sie nämlich nach jeder Fahrt eine Bewertung und alle anderen User können die Bewertungen sehen."
Bis zu fünf Sternchen kann ein Taxifahrer pro Fahrt bekommen. Darunter kann der Gast auch schreiben, warum er so zufrieden oder unzufrieden war. Ein Kontrollsystem, das im Internet mittlerweile weit verbreitet ist, für die Taxifahrer aber anfangs unvorstellbar war. Doch genau das war es, was die App bei den Smartphone-Nutzern so beliebt gemacht hat:
"Mittlerweile hat dieses System dazu geführt, dass die Taxifahrer bessere und freundlichere Dienstleister geworden sind. Es sind dieselben Leute, es ist derselbe Preis, aber dadurch, dass der Kunde den Fahrer bewertet, hat sich die Qualität auf dem griechischen Taximarkt enorm verbessert."
Taxibeat hat also mit seinem Produkt eine Marktlücke entdeckt und andere Unternehmen folgten. Heute gibt es gleich mehrere Taxi-Apps auf dem Markt, sagt Mouzakiti, doch das findet sie in Ordnung:
"Dadurch wächst doch unser Markt. Es ist nicht die andere Firma, die wir als Bedrohung sehen. Vielmehr stehen wir im Wettbewerb mit der Straße. Wir richten uns vor allem an die Kunden, die immer noch ihr Taxi auf der Straße rufen. Die wollen wir für uns gewinnen. Je mehr Taxiapps auf den Markt kommen, desto mehr verändern sich die Gewohnheiten der Menschen."
Über 300.000 Nutzer hätten die App von Taxibeat mittlerweile auf ihrem Handy - die Hälfte nutze sie regelmäßig. Und aus den anfänglich hundert Taxifahrern, die 2011 noch eher zögerlich mitmachten, sind mehr als 3.500 geworden - Tendenz steigend. Und das Unternehmen wächst auch über die griechischen Grenzen hinaus. Seit Kurzem ist es auch auf dem lateinamerikanischen Taximarkt aktiv. Dort sei es nicht so sehr die Qualität, die die Kunden suchten, sagt Mouzakiti, sondern die Sicherheit, die ihnen ein registrierter Fahrer gebe.
"Success Stories" machen anderen Jungunternehmern Mut
Solche "Success Stories", wie die erfolgreichen Startups im Branchenjargon genannt werden, machten anderen Jungunternehmern Mut, glaubt Giorgos Doukidis von der Wirtschaftsuniversität Athen. Im Innovationszentrum seiner Hochschule hilft der Wirtschaftsprofessor Studenten und Absolventen dabei, aus ihren Ideen erfolgreiche Startups zu machen:
"In Griechenland ist die Forschung auf einem sehr hohen Level, und jetzt mit der Krise hat ein Umdenken stattgefunden. Mittlerweile haben alle Universitäten Hochschulzentren für Innovation. Unsere Studenten nehmen an Wettbewerben teil, sie haben Ideen und versuchen, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Früher war das ganz anders: Damals wollten sogar unsere besten Studenten eine Stelle im Öffentlichen Sektor. Die Krise hat geholfen, dass sich das ändert."
Dreizehn Teams, alles Studenten oder Absolventen der Hochschule, fördert das Innovationszentrum derzeit. Sie dürfen von dort arbeiten, nehmen an Workshops teil und es gibt Fachleute, die ihnen bei ihren Problemen helfen: Von der Entwicklung und dem Design ihres Produkts bis zu Rechtsangelegenheiten und Finanzfragen. Aggeliki Karagiannaki arbeitet im Innovationszentrum und erklärt:
"Je nachdem, in welcher Phase sie sich befinden, haben unsere Studenten andere Bedürfnisse: Am Anfang ist es der Mentor, der ihnen hilft, überhaupt herauszufinden, was sie machen wollen. Dann brauchen sie Designer und Software-Entwickler. Und im fortgeschrittenen Stadium brauchen sie einen Juristen und einen Finanzberater."
Diese Dienstleistungen - im Wert von bis zu 10.000 Euro pro Gruppe - wurden bis jetzt von der EU mitfinanziert. Doch das europäische Förderprogramm sei nun ausgelaufen, erklärt Karagiannaki:
"Wir versuchen nun, die Finanzierung aufrecht zu erhalten. Es gibt verschiedene andere europäische Programme, die uns helfen könnten. Viele Berater sind aber bereit, die Gruppen auch ohne Bezahlung weiter zu betreuen. Einige haben selber ein erfolgreiches Startup und wollen den jungen Leuten unter die Arme greifen. Also kommen sie und arbeiten ehrenamtlich."
Innovationszentren an den Unis bieten Hilfe für junge Gründer
Doch mit der Gründung eines Startups allein sei es nicht getan, betont Wirtschaftsprofessor Doukidis. Das Problem sei für viele Jungunternehmer eher, ein schon gegründetes Startup auch noch nach zwei, drei Jahren am Leben zu erhalten.
"Das Image Griechenlands ist in diesen Zeiten der Krise nicht gerade das beste. Es ist also schwer für die Startups, an Investitionen aus dem Ausland zu kommen. Erst wenn ein Startup sich bewährt hat und gezeigt hat, dass es ein gutes Produkt hat, das international erfolgreich sein kann und dass es Leute beschäftigt, die in der Branche einen Namen haben, erst dann trauen die Investoren einem Startup. Das Startup 'Workable' zum Beispiel hat vor kurzem eine Finanzierung in Höhe von 16 Millionen Euro bekommen. Das Team aber, das dahintersteckt, hatte vor Jahren bereits ein anderes sehr erfolgreiches Startup gegründet und gilt in der Branche als top! Deshalb sind sie auch an das Geld gekommen - auch wenn sie aus Griechenland kommen."
Davon sind die meisten seiner Studenten aber noch weit entfernt. Sie arbeiten noch an der Umsetzung ihrer Idee oder sind gerade erst mit ihrem Produkt auf den Markt gegangen und freuen sich über die ersten Kunden. So auch Stefanos Prokos. Der 30-Jährige sitzt an einem der Tische des Großraumbüros und arbeitet an seinem Laptop. Er findet, dass die Startups im IT-Bereich die Lösung für junge Griechen wie ihn sind:
"Das traditionelle Unternehmertum kann man in Griechenland vergessen. Entweder gehst du ins Ausland oder du machst etwas Eigenes und da bietet sich der Technologie-Sektor an. Du brauchst keine Waren, kein Lager. Wenn du das Know-how hast, setzt du deine Idee um und wenn alles gut läuft, kannst du sogar ins Ausland expandieren."
Jungunternehmer trotzen dem Brain Drain
Zusammen mit drei Freunden hat Stefanos eine Handyapp namens "Frink" entwickelt. Ein Wortspiel aus den Worten Free und Drink - auf Deutsch in etwa "Gratis-Getränk". Registrierte User können täglich auf das Shaker-Symbol der App klicken undGetränke in teilnehmenden Bars gewinnen. Für die Nutzer sei das umsonst, die Bars zahlten für jedes Gratis-Getränk, das über die App geht, einen Euro. Trotzdem lohne es sich für die Unternehmen, sagt Prokos:
"Wer ein Gratis-Getränk gewinnt, geht meistens nicht alleine in die Bar, er nimmt auch seine Freunde mit. Und es ist wahrscheinlich, dass er noch einen zweiten Drink zu sich nimmt. Für die Bars ist das eine preiswerte Marketingstrategie. Schon mit dem zweiten Getränk hat die Bar sowohl die Kosten fürs erste Getränk als auch unsere Provision gedeckt."
Die App sei seit Oktober auf dem Markt und komme vor allem bei jungen Griechen extrem gut an, freut sich der Student:
"Wir wollen unsere App nun auch in anderen Städten anbieten: In Giannena, Chania, Thessaloniki, vor allem dort, wo es viele Studenten gibt, denn die sind unsere Hauptzielgruppe. Und wir kooperieren jetzt schon mit Unternehmen, die uns helfen sollen, in sechs weitere Länder zu expandieren: nach Portugal, Polen, Irland, Zypern, Russland und Mexiko."
Ins Ausland expandieren, ohne selber die Heimat verlassen zu müssen, das findet Stefanos Prokos genial. Wie so viele seiner Kommilitonen, habe auch er eine Zeit lang darüber nachgedacht, auszuwandern, sagt er. Der sogenannte Brain Drain ist auch in Griechenland spürbar. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat haben allein zwischen 2009 und 2014 rund 20.000 gut ausgebildete Griechen ihre Heimat verlassen - zehn Mal so viele wie in guten Zeiten. Doch Stefanos Prokos hat sich entschlossen zu bleiben:
"Das hier ist mein Land, hier bin ich zuhause, hier sind meine Freunde. Griechenland ist ein tolles Land zum Leben. Viele meiner Freunde, die zum Beispiel nach Großbritannien gegangen sind, haben dort zwar gut verdient, aber ihr Leben war so öde, dass sie schnell wieder zurückgekehrt sind. Ich will das für mich nicht. Ich will glücklich sein, also bin ich hier geblieben."
Auf der Suche nach Investoren
Insgesamt 12.000 Euro haben die vier Freunde bisher in ihr Startup gesteckt, erzählt der Jungunternehmer, jeder 3.000. Keine Riesensumme, sagt er, aber auch keine Peanuts. Um nun, wie geplant, auch auf dem ausländischen Markt Fuß zu fassen, reiche ihr eigenes Kapital aber nicht, räumt Stefanos Prokos ein. Einige Investoren habe er schon kontaktiert. Das sei auch gar nicht so schwer. Schließlich sei das Ziel der Investoren, aus ihrem Geld noch mehr Geld zu machen. Die entsprechenden Kontaktdaten seien deshalb meistens leicht im Netz zu finden. Das bedeute aber gleichzeitig, dass man nicht der Einzige sei, der sich an sie wende:
"Diese Leute bekommen täglich hunderte Anfragen. Aus all diesen Bewerbern musst du derjenige sein, der heraussticht, sodass du in die nächste Runde kommst und dann in die übernächste. Sie machen zwar einen sehr zugänglichen Eindruck, stellen sich zum Beispiel mit ihrem Vornamen vor. Der Punkt ist aber: Du musst derjenige sein, der den Deal mit ihnen auch abschließt."
Einfacher sei es deshalb, sich erst einmal in Griechenland umzusehen, zum Beispiel beim Fonds "Openfund", der ausschließlich in griechische Technologie-Startups investiert. Giorgos Tziralis, einer der Gründer des Fonds, erklärt, warum:
"Nach meiner Doktorarbeit wollte ich mein Wissen in die Praxis umsetzen und ein Startup gründen. 2007 habe ich dann das sogenannte 'Open Coffee' ins Leben gerufen. Das sind Treffen der griechischen Startup-Szene. Da haben wir gemerkt: Wir sind eine tolle Community mit innovativen Ideen, aber am Ende scheiterten wir alle. Uns wurde schnell klar, warum: Es gab keine Möglichkeiten, an Investitionen zu kommen. Wir haben also versucht, das Problem zu lösen, indem wir selbst einen Fonds gegründet haben."
Damals war Tziralis erst 27 Jahre alt und sein Partner 24. Nicht gerade ein Alter, indem dir jemand seine Millionen anvertraut, sagt er und lacht:
"Wir mussten also die Investoren überzeugen, was am Anfang sehr schwer war. Aber so langsam konnten wir die ersten für unsere Idee gewinnen, ihre Investitionen haben sich gelohnt und das Ganze ist ins Rollen gekommen."
Als sie 2009 den Fonds gründeten, verfügten sie über eine halbe Million Euro und konnten insgesamt zehn Startups unterstützen - darunter auch die Firma Taxibeat, erinnert sich der heute 33-Jährige. Seit 2012 gibt es den zweiten "Openfund". Dieser kann noch mehr Geld in griechische Startups stecken, erklärt Tziralis:
"Wir verfügen nun insgesamt über ein Kapital in Höhe von 15 Millionen Euro. Unser Fonds ist ein sogenannter Jeremie-Fund. Das bedeutet, dass rund 70 Prozent des Kapitals vom Europäischen Investitionsfonds kommen. Den Rest haben 16 private Investoren beigesteuert. Die meisten haben einen Bezug zu Griechenland; haben zum Beispiel griechische Wurzeln oder wohnen hier. Sie sind Reeder oder andere Unternehmer oder sie haben mit Hedgefonds zu tun."
"Openfund" investiert in griechische Technologie-Startups
Natürlich haben auch sie eigene Interessen:
"Sie investieren, weil sie davon profitieren wollen, ganz klar. Und bisher haben wir eine sehr gute Performance abgeliefert. Mit unserer Rendite gehören wir zu den sehr guten europäischen Fonds."
Dadurch wächst auch der Druck. Damit Openfund seinen guten Ruf behält, müssen Tziralis und seine Partner bei der Auswahl der Startups, die sie unterstützen wollen, besonders vorsichtig sein:
"Wir geben nur Personen Geld, an die wir wirklich glauben. Sie müssen sehr ehrgeizig sein und sehr fokussiert auf das, was sie machen wollen. Und sie müssen sich in der Branche, in der sie tätig werden wollen, gut auskennen. Wir wollen attraktive Produkte unterstützen, die sinnvoll sind. Wenn unsere Investoren zufrieden und glücklich sind, dann wird auch der Kreis derjenigen, die in Griechenland investieren wollen, größer."
"Wir geben nur Personen Geld, an die wir wirklich glauben. Sie müssen sehr ehrgeizig sein und sehr fokussiert auf das, was sie machen wollen. Und sie müssen sich in der Branche, in der sie tätig werden wollen, gut auskennen. Wir wollen attraktive Produkte unterstützen, die sinnvoll sind. Wenn unsere Investoren zufrieden und glücklich sind, dann wird auch der Kreis derjenigen, die in Griechenland investieren wollen, größer."
Tziralis ist zuversichtlich, dass er, wenn das Geld dieses Fonds erschöpft ist, einen neuen Fonds gründen kann – mit weitaus mehr Kapital:
"Unsere Erfolgsbilanz ist bisher sehr positiv. Wir sind also jetzt bereit, den nächsten Schritt zu wagen. Und ein griechisches Technologieunternehmen aufzubauen, das in den kommenden Jahren einen Wert in Höhe von einer Milliarde Euro erreicht. Das ist unsere Vision und wir glauben, dass sie sehr realistisch ist."
Über eine Geldspritze von Openfund würde sich auch Stefanos Prokos freuen. Es müssten ja nicht gleich Unsummen sein, sagt er mit Humor. Doch bei mehr als 500 neuen IT-Startups im Jahr ist die Konkurrenz enorm. Stefanos Prokos weiß das. Egal was passieren mag, sagt er, jeder Euro, den er bisher in sein Startup gesteckt habe, sei das Risiko wert:
"Die Chancen stehen gegen uns, da mache ich mir nichts vor. Es ist wahrscheinlicher, dass wir unser Geld verlieren, als dass wir damit den Durchbruch schaffen. Aber auch, wenn wir nicht das nächste Facebook oder das nächste Instagram werden. Gewinner werden wir so oder so sein: Wir sammeln gerade so eine Riesenerfahrung, dass, sollte diese Idee sich nicht bewähren, unser nächster Versuch bestimmt größeren Erfolg haben wird."
Dass Griechenland Jungunternehmern keine Steuerbefreiungen oder sonstige Erleichterungen biete, wie es in anderen Ländern der Fall ist, sei zwar schade. Aber zu sagen, dass der Staat sich überhaupt nicht kümmere, sei auch falsch:
"Wir zum Beispiel, wir bekommen in diesem Innovationszentrum eine enorme Unterstützung von der Wirtschaftsuni und die ist schließlich auch staatlich. Sie stellt den Raum und unterstützt uns bei jeder Schwierigkeit. Das ist doch die Art der Hilfe, die junge Unternehmen wirklich brauchen."
Und von denen Griechenland am Ende vielleicht auch profitieren wird.