Ralf Krauter: Was haben Sie dort erlebt?
Katrin Zöfel: Während hier noch hin und her überlegt wird, geht es in China tatsächlich schon richtig los mit dieser Art von Forschung. Da ist eine echte Aufbruchsstimmung zu spüren. Das hat mehrere Gründe: Wissenschaft an sich wird massiv gefördert in China, das gilt als zukunftsträchtig. Die Regierung schafft dafür ideale Rahmenbedingungen. Auch internationale Kontakte für die Forschung werden erleichtert. Während es für mich als Journalistin schwer war, ein Visum für die Reise zu dieser Konferenz zu bekommen, können Wissenschaftler aus den USA oder Europa inzwischen relativ problemlos nach China reisen. Außerdem sind jetzt mit CRISPR-Cas und anderen Methoden die Techniken da, die man braucht, um Primaten genetisch zu manipulieren, das ging bisher nur mit Mäusen oder Ratten. Und zu guter Letzt sind in China die Hemmungen, die wir in Deutschland und in Europa haben, wenn es um Versuche mit Affen geht, schlicht und einfach nicht vorhanden.
Affen gelten als Dinge, nicht als Lebewesen
Ralf Krauter: Werden denn in China die Tierschutz-Standards so eingehalten, wie man sie in Deutschland für richtig halten würde?
Katrin Zöfel: Die kurze Antwort ist Nein. Aber man muss etwas genauer hinschauen. Einerseits ist das Verhältnis zu Tieren in China und auch in Japan anders als bei uns. Affen gelten eher als Dinge, nicht als Lebewesen. Weil die chinesischen Forscher aber international in der obersten Liga mitspielen wollen, haben sie einen starken Anreiz, die europäischen oder auch die amerikanischen Standards einzuhalten. Sonst klappt das nicht mit prestigeträchtigen Kooperationen. Gerade auf der Konferenz ging es darum, eine Kooperation zu festigen zwischen dem Institut in Shenzhen, dem "Shenzhen Institutes of Advanced Technologies", und dem amerikanischen Mc Govern Institute of Brain Research am MIT in Boston. Wenn es mit diesen Kooperationen etwas werden soll, dann müssen die internationalen Standards auch in China gelten. Ob das für deutsche Verhältnisse dann wirklich gut genug wäre, steht auf einem anderen Blatt. Genauso wie die Frage wie lange es dauert, bis die internationalen Standards tatsächlich flächendeckend umgesetzt sind.
Ralf Krauter: Sie haben von einer Aufbruchsstimmung gesprochen. Warum passiert das gerade jetzt?
Katrin Zöfel: Das liegt vor allem daran, dass es jetzt die Methoden gibt, die nötig sind. Das sind zum einen vor allem Fortschritte in der Stammzellbiologie und der in vitro-Fertilisation. Ganz normalen Affenmuttertieren werden zum Beispiel manipulierte Embryonen eingesetzt. Das hat noch vor ein paar Jahren nicht geklappt. Und zum anderen geht es um Methoden wie CRISPR-Cas, also diese neuen Genscheren, die sehr präzise in einzelnen Zellen Gene verändern können. Und drittens greifen die Forscher auf Wissen aus Großprojekten wie dem Human Genome Project zurück.
Versuche mit Affen sollen endlich Fortschritte bringen
Ralf Krauter: Was wollen die Forscher erreichen?
Katrin Zöfel: Sie hoffen, dass sie so endlich bei Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Autismus oder Schizophrenie weiterkommen können. Es gibt da ja einen regelrechten Stau, obwohl seit Jahrzehnten geforscht wird, gibt es kaum Fortschritte. Bei Schizophrenie zum Beispiel funktionieren alle Medikamente nach einem einzigen Wirkprinzip, und das ist uralt. Es werden auch nur manche Symptome bekämpft, nicht alle. Für Autismus gibt es gar kein Medikament, und auch bei Alzheimer ist die Bilanz extrem dünn: von 244 Wirkstoffe fielen zwischen 2002 bis 2012 243 in klinischen Versuchen durch. Das ist eine Fehler-Quote von mehr als 99 Prozent.
Ralf Krauter: Und da sollen Versuche mit Affen jetzt helfen?
Katrin Zöfel: Ja, das ist die Erwartung der Forscher. Das Gehirn von Affen ist dem menschlichen ähnlicher als das von Mäusen. Und in der Forschung am Menschen ist ein Problem, dass man oft erst sehr spät merkt, dass eine Krankheit da ist. Wenn die Symptome richtig spürbar werden, ist im Hirn schon sehr viel Schaden entstanden, der Mechanismus, wie das anfängt, lässt sich so nicht klären. Wenn man jetzt aber einen Affen hat, der ein Parkinson-Gen trägt, von dem man also weiß, dass er wahrscheinlich krank wird, kann man viel früher anfangen genau hinzuschauen, was im Gehirn des Tiers geschieht. Die Hoffnung ist, dass man so verstehen kann, wie die Mechanismen sind, die hinter den Krankheiten stecken.
Ralf Krauter: Weiß man denn schon genug über die Genetik dieser Krankheit?
Katrin Zöfel: Das ist eine gute Frage. Bei einzelnen Krankheiten wie Huntingtons ist es ganz klar ein Gen, das die Krankheit auslöst. Wenn man das in Affen einschleust, bekommt man Tiere, die die Krankheit entwickeln. Ganz eindeutig. Bei Autismus kennt man auch ein Gen, das eine bestimmte Form der Krankheit auslöst. Aber es ist schon nicht mehr so einfach, denn es ist nicht klar, ob das, was man an den Affen lernt, die diese eine Mutation tragen, etwas aussagt über Autismus an sich, oder doch nur über den einen Sonderfall. Ähnliches gilt für Schizophrenie oder Parkinson. Man muss also schon genau hinschauen, was die Versuche aussagen und was nicht.
Ein Weißbuch für die Forschung
Ralf Krauter: Wie wird das weitergehen?
Katrin Zöfel: Es ist ganz klar, dass diese Art von Forschung in China, Japan, aber auch in den USA und in Europa vorangetrieben werden wird. Auf der Konferenz ging es den Initiatoren vor allem auch darum, dass sich Forscher selbst Regeln setzen, welche Versuche sie wie und warum machen wollen. Aus den Diskussionen soll eine Art Weißbuch für das Feld werden. In ein paar Monaten soll es fertig sein.
Ralf Krauter: Waren denn Deutsche da?
Katrin Zöfel: Ein Doktorand aus einem deutschen Labor war da. Von den etablierten Forschern war keiner dabei. Einige waren eingeladen, das weiß ich, aber hingefahren ist keiner. Vorher in meiner Recherche zur Forschung mit genetisch veränderten Affen habe ich mit einigen gesprochen: viele tauchen gerade ab, und gehen so geräuschlos wie möglich ihrer Arbeit nach, weil sie nicht wie der Tübinger Forscher Nikos Logothetis vergangenes Jahr in den Fokus von Tierschützern geraten und zum Aufgeben gezwungen werden wollen. Andere wie der Frankfurter Professor Wolf Singer oder der Leiter des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen Stefan Treue exponieren sich und gehen in die Offensive. Sie wollen der Öffentlichkeit erklären, warum und wie aus ihrer Sicht Affenforschung in Deutschland auch weiterhin notwendig wäre. Vielleicht sind die deutschen Forscher gerade einfach sehr mit sich und der Debatte hier beschäftigt.