Weltweit leben nach Schätzungen der UN rund 200 Millionen Frauen und Mädchen, die dieser oder einer ähnlichen Prozedur ausgesetzt wurden. Und über vier Millionen weitere laufen jährlich Gefahr, verstümmelt zu werden.
Betroffen sind vor allem Menschen, die aus dem nördlichen Afrika stammen. In Ländern wie Somalia, Ägypten, Eritrea, Sudan sind so gut wie alle Mädchen und Frauen betroffen – um die 90 Prozent. Aber auch in südostasiatischen Ländern und dem Mittleren Osten sind Genitalverstümmelungen dokumentiert.
Inhalt
- Warum sprechen wir nicht von "Beschneidung"?
- Wie stark ist weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland verbreitet?
- Was erzählen in Deutschland lebende Betroffene von weiblicher Genitalverstümmelung?
- Was unternimmt die deutsche Regierung gegen weibliche Genitalverstümmelung?
- Was kann im Kampf gegen Genitalverstümmelung helfen?
Warum sprechen wir nicht von "Beschneidung"?
Der oft verwendete Begriff Beschneidung – in Anlehnung an die Vorhautbeschneidung – verharmlost die schmerzhafte Prozedur mit verheerenden Folgen. International hat sich daher der Begriff Female Genital Mutilation (FGM) durchgesetzt, in Deutschland spricht man von (weiblicher) Genitalverstümmelung.
Wie stark ist weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland verbreitet?
Laut einer aktuellen Dunkelzifferschätzung der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes leben in Deutschland über 100.000 Mädchen und Frauen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind. Aufgrund der Zuwanderung steigt die Zahl seit Jahren. Es habe sich "herumgesprochen hat, dass hier in Deutschland drohende Genitalverstümmelung ein Asylgrund ist und die Frauen deshalb sagen: Wir gehen mit unseren Töchtern nach Deutschland, dann bleiben sie verschont“, so
die Vorsitzende von Terre des Femmes Godula Kosack
.
Doch auch wenn Familien schon in zweiter Generation oder länger in Deutschland leben, halten manche an der archaischen Tradition fest.
Nach einer Schätzung von „Terre des Femmes“
sind zwischen knapp 2.000 und 17.000 Mädchen, die in Deutschland geboren wurden, akut gefährdet. Damit gehört Deutschland zu den vier Ländern in der Europäischen Union, in der die meisten Mädchen und Frauen betroffen oder gefährdet sind. Noch schlimmer ist die Situation in Frankreich, Belgien und den Niederlanden.
Wie viele Familien tatsächlich in den Ferien in ihre Heimat reisen, um die Töchter dort „beschneiden“ zu lassen, ist allerdings schwer zu ermitteln. Selten kommt es zu Strafanzeigen, in den Communitys herrscht Verschwiegenheit. Fälle von Genitalverstümmelung in Deutschland selbst sind der Polizei nicht bekannt. Aktivistinnen gehen aber davon aus, dass sie auch hierzulande im Verborgenen stattfinden, denn in EU-Ländern mit noch größeren Herkunftscommunitys wie Belgien, den Niederlanden oder Frankreich gibt es diese laut Terre des Femmes.
Was erzählen in Deutschland lebende Betroffene von weiblicher Genitalverstümmelung?
Fadumo Korn wuchs in einer Nomadenfamilie in Somalia auf: Mit sieben Jahren musste sie sich der traumatisierenden Prozedur unterziehen. Morgens in der Dämmerung habe ihre Mutter sie aus dem Dorf zu einer alten Frau geführt, die im Schatten eines Baumes auf sie wartete, erinnert sie sich. Vor ihr auf einem Tuch lagen Akaziendornen, eine Dose mit übelriechenden Kräutern und eine Rasierklinge. „Ich bin mit Stachel genäht worden“, sagt Fadumo Korn.
Folgen der Genitalverstümmelung für die Betroffenen
In Somalia werden den Mädchen ohne Betäubung die äußeren Genitalien weggeschnitten und sie werden zugenäht, bis nur noch eine winzige Öffnung von der Größe einer Kaffeebohne bleibt: So soll die Jungfräulichkeit des Mädchens garantiert werden – oft eine Voraussetzung für eine Heirat. Es ist eine sehr alte Tradition, befolgt seit Generationen. Die Frauen leiden Qualen: Der Urin und die Periodenblutung kann nicht abfließen, es bilden sich Infektionen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation stirbt eine von zehn Frauen bei der Prozedur. 15 Prozent sterben an den langfristigen Folgen. Und die, die überleben, leiden oft ein Leben lang. Denn die Beschneiderinnen – es sind immer Frauen – haben meist keine medizinischen Kenntnisse. Sie traktieren die Mädchen mit stumpfen Skalpellen, Dornen oder verdreckten Glasscherben.
In Somalia werden den Mädchen ohne Betäubung die äußeren Genitalien weggeschnitten und sie werden zugenäht, bis nur noch eine winzige Öffnung von der Größe einer Kaffeebohne bleibt: So soll die Jungfräulichkeit des Mädchens garantiert werden – oft eine Voraussetzung für eine Heirat. Es ist eine sehr alte Tradition, befolgt seit Generationen. Die Frauen leiden Qualen: Der Urin und die Periodenblutung kann nicht abfließen, es bilden sich Infektionen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation stirbt eine von zehn Frauen bei der Prozedur. 15 Prozent sterben an den langfristigen Folgen. Und die, die überleben, leiden oft ein Leben lang. Denn die Beschneiderinnen – es sind immer Frauen – haben meist keine medizinischen Kenntnisse. Sie traktieren die Mädchen mit stumpfen Skalpellen, Dornen oder verdreckten Glasscherben.
Fadumo Korn hatte Glück: Ihre Geschichte wendete sich zum Guten, als ihr Onkel sie zu sich nahm. Ein gebildeter Mann, der in Somalias Hauptstadt Mogadishu lebte. Er schickte das junge Mädchen in die Schule und mit knapp 16 Jahren nach Europa, zu entfernten Verwandten. Inzwischen lebt Fadumo Korn seit über 40 Jahren in Deutschland. Sie ist Dolmetscherin und Autorin und arbeitet bei einer Organisation, die für eine bessere Gesundheitsversorgung von Migrantinnen eintritt.
2012 gründete sie in Frankfurt am Main den Verein "Nala", der betroffene Mädchen und Frauen berät und unterstützt. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Bildung. „Wenn ein Mädchen ausgebildet ist, sodass sie für ihren Lebensunterhalt aufkommen kann und nicht auf das Heiraten angewiesen ist, dann ist diese Gefahr auch gebannt“, sagt sie. „Wenn ich als Frau nur Überlebenschancen habe, wenn ich verheiratet werde, dann wird die Frau zur Ware. Diese Ware hat einen Preis und der Preis ist die Jungfräulichkeit.“
Was unternimmt die deutsche Regierung gegen weibliche Genitalverstümmelung?
In Deutschland ist weibliche Genitalverstümmelung seit 2013 verboten, Mädchen dafür ins Ausland zu bringen, ebenfalls. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft und der Entzug der Aufenthaltserlaubnis. Im Februar 2021 stellte die damalige Familienministerin Franziska Giffey (SPD) daher einen Schutzbrief der Bundesregierung vor: Ein blaues Heft mit dem Bundesadler auf der Vorderseite. Übersetzt in 16 Sprachen werden darin die strafrechtlichen Konsequenzen in Deutschland deutlich gemacht. Damit, so die Ministerin damals, könnten Familien, wenn sie auf Heimatbesuch sind, dem sozialen Druck etwas entgegensetzen.
Die weibliche Genitalverstümmelung beenden wird dieses Formular nicht, dennoch meinen Frauenrechtlerinnen in Deutschland wie Godula Kosack, dass der Schutzbrief Wirkung zeigen wird. Aus dem Bundesfamilienministerium kam seit dem Schutzbrief von Franziska Giffey im Jahr 2021 aber keine weitere Initiative. Die aktuelle Ministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) hat sich dazu bislang nicht geäußert. Bei Frauenrechtlerinnen herrscht deshalb Enttäuschung.
Was kann im Kampf gegen Genitalverstümmelung helfen?
Wirklich helfen im Kampf gegen Genitalverstümmelung können vor allem Aufklärung und andere Lebensumstände für Frauen und Mädchen. Denn häufig ist das Festhalten an der Tradition das Ergebnis sozialen Drucks in den entsprechenden Kulturen, weil viele Männer dort nur ein beschnittenes Mädchen zur Frau nehmen. Aus Sicht der Familien geschieht dies oft aus einem Fürsorgegedanken: In Gesellschaften, in denen Frauen weniger wert sind als Männer und Mädchen keine Chance auf Bildung haben, sichert ihnen allein eine Heirat das Überleben.
Ein Problem in Deutschland sind auch fehlende Kenntnisse zum Thema: Viele Behörden, Lehrerinnen, Sozialarbeiter, Ärztinnen und Erzieher wissen nicht, wie man mit einem gefährdeten Mädchen umgeht und dass es Beratungs- und Hilfsangebote gibt. Auch im Medizinstudium wird Genitalverstümmelung nicht thematisiert.
Das ist auch ein Problem in Asylverfahren: Zwar ist FGM seit 2013 als geschlechtsspezifische Verfolgung ein anerkannter Fluchtgrund – in der Praxis wissen das jedoch viele der Betroffenen laut Terre des Femmes nicht. Immer wieder komme es auch zu Fällen, in denen Männer die Befragung der Frauen durchführen oder Betroffene nicht ernst genommen würden. Expertinnen fordern daher, dass die Mitarbeitenden im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für das Thema besser sensibilisiert werden. Und Terre des Femmes drängt auf einen bundesweiten Aktionsplan und eine flächendeckende Versorgung mit psychosozialen, medizinischen und juristischen Beratungsstellen.
Die Parlamentarische Staatssekretärin Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) verweist auf einen Arbeitskreis im Bundesfamilienministerium, an dem Bund, Länder und Nichtregierungsorganisationen beteiligt sind. Dort arbeite man an vielen neuen Aufklärungsaktionen und an der Schulung von Pädagogen, Ärztinnen, Hebammen und Behörden.
(Quellen: lkn, Ina Rottscheidt, Deutschlandradio, orchidproject.org, Terres des Femmes)