Ein Kongress in Ain Suchna am Roten Meer. Thema der Ärzte, die hier an diesem Wochenende zusammengekommen sind: weibliche Genitalverstümmelung. Auf diesem Kongress soll eine Stellungnahme erarbeitet werden, die die schreckliche Praxis öffentlich verurteilt.
Abdelhamid Attia, Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie, 60 Jahre alt, gepflegte Erscheinung, höfliches, kultiviertes Auftreten. Der Professor ist Respektsperson durch und durch, dabei zugewandt im Gespräch. Ihm ist anzumerken, wie wichtig ihm seine Arbeit ist, wie wichtig sein Anliegen. Abdelhamid Attia kämpft an gegen weibliche Genitalverstümmelung - und das seit mehr als neun Jahren.
"Es ist eine kulturelle Tradition. Die Kultur der Menschen aber zu verändern, das ist sehr schwierig. Wir haben daher damit begonnen, sehr grundsätzlich dagegen anzugehen. Und dabei einigen Erfolg gehabt. Nicht die Erfolge, die wir uns wünschen. Aber wir bewegen uns. Nach vorne. Und darauf sind wir stolz."
Genitalverstümmelung zum Verbrechen erklärt
Was Abdelhamid Attia auf seine bescheidene Art lediglich "einigen Erfolg" nennt, ist weit mehr als nur das. Der Nationale Bevölkerungsrat, mit dem auch er intensiv zusammenarbeitet, verfolgt seit gut einem Jahr eine neue Strategie. Sie bringt erstmals die zuständigen Institutionen der Gesellschaft zusammen: die Ministerien, das Parlament, die Justiz, Medien, Schulen, Universitäten, die Kirchen und Moscheen.
Im vergangenen September zahlte sich die Mühe aus: Das Parlament verschärfte bestehendes Recht, das, was einst nur "Vergehen" war, ist jetzt "Verbrechen", das strikt geahndet werden soll.
Und auch die Religionsvertreter wurden noch einmal sehr deutlich: Für die grausame Praxis gebe es keine religiöse Begründung, heißt es, weder im Christentum noch im Islam. Und: Die islamische Lehreinrichtung El Azhar ging noch einen Schritt weiter: Sie sprach ein klares Verbot aus.
Bleiben die Ärzte: 82 Prozent der Eingriffe werden heute von medizinischem Personal vorgenommen. Anders als früher, als es die Hebammen und Barbiere waren, die Glasscherben und Rasierklingen nahmen und dann: Asche, um die Blutung schrecklicher Wunden zu stillen.
Aufklärung auf dem Land
Ländlich ist es hier, rechts und links der Straße Felder, fast eine Idylle mit Eseln, Wasserbüffeln und viel Grün. Mit unzähligen Dörfern und kleinen Städten. Auf dem Weg ins Fayoum, der größten Oase Ägyptens. Zusammen mit Aktivisten einer hier ansässigen NGO, zusammen aber auch mit Iman Siddiq Riad. Sie ist Psychologin und arbeitet für den Nationalen Bevölkerungsrat.
Staat und Zivilgesellschaft zu Gast im kommunalen Gesundheitszentrum von Abouksa. Heute geht es um die Beschneidung von Mädchen. Etwa 50 Frauen haben sich eingefunden, Frauen und mit ihnen viele kleine Kinder. Sie sitzen auf Plastikstühlen, – die meisten mit buntem Kopftuch und in langem Gewand, manch eine komplett verhüllt, in schwarzer Abaya, mit Augen, die gerade noch auszumachen sind.
Die Referentin aus dem Fayoum hat es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Die Beschneidung sei verboten, erklärt sie, und doch werde das Verbotene praktiziert, vor allem hier auf dem Land. Weil es angeblich gut sei für die Moral der Mädchen, weil es sie angeblich schöner mache. Es wird diskutiert und wild durcheinander geredet.
Die Psychologin Iman kommt der Referentin zur Hilfe, will die Frauen überzeugen. "Die Religionen sind gegen die Beschneidung," wirft sie ein, "denn sie ist grausam, tut furchtbar weh, ist absolut unnötig!" Und dann zitiert die protestantische Christin aus dem Koran ...
"Im Koran steht: 'Der Mensch wurde auf ganz vorzügliche Weise geschaffen!' – Was bedeutet das? Dass auch du vorzüglich bist! Warum also verstümmelt Ihr Eure Mädchen?" - "Die Männer wollen es!" rufen die Frauen dazwischen. - "Ach, schiebt es doch nicht auf die Männer! Die Beschneidung ist Sache der Frauen, das war schon immer so. Ihr seid verantwortlich!"
Die Referentin schaltet sich ein: "Ihr wisst jetzt, dass es verboten ist. Und dass es heute sehr harte Strafen gibt? Auch für die Eltern? Denkt darüber nach!"
Ein weiterer wichtiger Etappensieg
Der Kongress der Ärzte wird ein Erfolg.
Professor Abdelhamid Attia verliest die Schlusskundgebung. Damit ist amtlich: Die hier versammelten Ärzte – unter ihnen viele von Rang und Namen - haben unterzeichnet, haben sich öffentlich und demonstrativ gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen gewandt, haben – in Absprache mit dem Obersten Rat der Universitäten - entschieden, auch in der Lehre das Tabu zu brechen, die grausame Praxis im Curriculum aufzuarbeiten.
Ein weiterer wichtiger Etappensieg - auf einem langen Weg, den die ägyptische Gesellschaft noch zu gehen hat.