Dürfen Menschen Vererbungsregeln verändern, die seit Millionen von Jahren das Leben auf der Erde regelten? Dürfen wir Malaria-Mücken ausrotten, indem wir ihre DNA umschreiben? Die jüdische Philosophin und Bioethikerin Laurie Zoloth sieht darin kein Problem. Im Gegenteil. Sie befürwortet die Ausrottung von Moskitos, weil dadurch Malaria endgültig besiegt werden könnte. Laurie Zoloth:
"Können wir Gott spielen? In der jüdischen Tradition lautet die Antwort, ja. Wir sollen so handeln, wie Gott das in der Welt tun würde. Wir sollen eingreifen, wenn Menschen krank sind. Wir sollen sie vor Naturkatastrophen schützen. Das kommt daher, weil in der jüdischen Tradition Natur nicht heilig ist. Sollen wir das Aidsvirus oder schwarze Pocken ausrotten? Dabei haben wir überhaupt keine Bedenken. Das gleiche gilt für Bakterien. Wenn wir ein universelles Impfmittel hätten, würden wir das in einer Minute tun. Das wäre auch eine genetische Manipulation des Menschen."
Im Gegensatz zur jüdischen Philosophin beurteilt der katholische Weihbischof Anton Losinger die Ausrottung einer ganzen Spezies als zu riskant und zu weitgehend:
"Es ist ein Riesenunterschied, ob man etwa in einem Haushalt ein Fliegenspray verwendet oder ob man sozusagen global eine eigene Gattung ausrottet. Denn die Nebenwirkungen etwa der Beseitigung einer Insektenspezies könnten dramatische Folgen haben, die ja weitergeht."
Keine reine Utopie mehr
Die unterschiedliche ethische Beurteilung der neuen Technologie ist dabei nicht nur eine Frage des religiösen Standpunktes. Laurie Zoloth gibt unumwunden zu, dass Amerikaner im Vergleich zu Europäern deutlich technikgläubiger sind. Um die vom Aussterben bedrohten Bienen zu retten, wird etwa in Europa diskutiert, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Amerikaner denken stattdessen darüber nach, sagt Laurie Zoloth, die Bienen genauso pestizidresistent zu machen wie Saatgut:
"Honigbienen in den USA sterben aus. Alle Kolonien kollabieren. Ich glaube, das passiert weltweit. Wir wissen nicht warum. Das ist das Problem, das wir angehen müssen. Wenn es eine genetische Lösung gäbe, dann würde ich sie einschlagen wollen."
Eine utopische Idee? Keineswegs. Agrarkonzerne denken inzwischen schon daran, weitere Schädlinge per Gene Drives auszurotten und die positiven Eigenschaften von Nützlingen wie Bienen weiter zu verbreiten. Während Christen auch darin ethische Probleme sehen, sei das für Juden ganz anders, urteilt Zoloth.
"Im jüdischen Denken ist es kein Problem, die Natur zu verändern. Weil die Natur moralisch neutral ist. Die Welt ist im Wesentlichen unfertig und zerbrochen. Es ist unsere Aufgabe sie zu reparieren. Im Christentum ruft diese Vorstellung Angst hervor. Die Natur wird als Quelle der Gesetzgebung herangezogen. Im jüdischen Denken ist das ganz anders. Die Idee ist vielmehr, ja, mach es. Du kannst das jüdische Gesetz, du kannst religiöse Gebote einhalten, solange du Gerechtigkeit im Blick behältst."
Wobei auch Zoloth zugibt, dass nicht unbedingt die Gerechtigkeit für die Wahl der Mittel ausschlaggebend ist, sondern oft Wirtschaftsinteressen. Den derzeit heftig ausgetragenen Kampf großer Agrarkonzerne um die Nutzungsrechte an der neuen Genom-Editing Technologie, lehnt Zoloth auch aus jüdischer Perspektive strikt ab. Solche Forschungsergebnisse sollten ihrer Ansicht nach allen Menschen zur Verfügung stehen.
Die Grenzen der Kasuistik
In der islamischen Welt seien solche modernen bioethischen Fragen bislang viel zu wenig diskutiert worden, urteilt der muslimische Arzt und Philosoph Ilhan Ilkilic:
"Und das ist auch meine klassische Kritik an der islamischen Rechtslehre. Die traditionelle islamische Rechtslehre ist sehr viel kasuistisch. Das heißt, in Bezug auf bestimmte Ereignisse leitet man moralische Bewertungen ab. Und dann, diese Technik benutzen sie auch für die moralische Bewertung der modernen medizinischen Techniken. Da haben wir, glaube ich, sehr viele Gemeinsamkeiten mit der jüdischen Ethik. Der Vorteil dabei ist, wenn ein Arbeiter bei einer bestimmten Fabrik fragt, ja, ich bekomme keine Kinder, darf ich jetzt In-vitro-Fertilisation benutzen oder nicht, dann bekommt er sofort eine Antwort. Aber auf der anderen Seite, wenn die Anwendungsformen so kompliziert sind, dann ist diese kasuistische Methode meiner Meinung nach nicht sehr ausreichend."
Beim Genom Editing gehe es zudem um mehr als nur um mögliche Risiken der Anwendung. Der islamische Bioethiker Martin Kellner fürchtet vor allem einen moralischen Dammbruch.
"Wie man jetzt sieht zum Beispiel beim Saatgut, dass Saatgut unfruchtbar gemacht wird. Dass sämtliche Bauern ihr Saatgut bei bestimmten Firmen kaufen müssen und so weiter. All das sind wirtschaftliche Prozesse, die stattfinden auf der Welt, und die Gefahr besteht, dass wir bestimmte ethisch hoch anständige Ziele als Türöffner verwenden für Dinge, die weniger anständig sind."
Eine Kritik, die Laurie Zoloth nicht gelten lassen will. Es sei eine bewusste Entscheidung gewesen, Veränderung an der Keimbahn von Lebewesen nicht vererbbar zu machen. Deshalb hätten sich Bioethikerinnen wie sie selbst dafür eingesetzt, genmanipuliertes Saatgut unfruchtbar zu machen.
Selbstmord-Gen und Selbstmord-Bauern
"Wenn sie ein Selbstmord-Gen eingefügt haben, das heißt ein Gen, das Saatgut unfruchtbar macht, dann ist das eine Sicherheitsmaßnahme. Das kritisieren die Leute heute. Das ist das, was wir am Anfang wollten. Die meisten Bauern in den USA legen inzwischen Geld zur Seite, um Saatgut jedes Jahr neu zu kaufen. In der kommerziellen Landwirtschaft in den USA wird Saatgut im Folgejahr nicht wieder angebaut."
Genau hier wird das Problem deutlich: Das, was aus ethischen Überlegungen und aus Risikoabwägungen zunächst gewollt war, führte zu ungeahnten negativen Konsequenzen. Die völlige Abhängigkeit amerikanischer Bauern von Saatgutkonzernen ist dabei nur ein Problem. Die Auswirkungen dieser Genmanipulationen in anderen Ländern waren viel gravierender. In Indien bringen sich zum Beispiel jedes Jahr Zehntausende von Bauern um, weil sie es sich nicht leisten können, jedes Jahr Saatgut und die dazu gehörenden Pestizide neu zu kaufen. Die sozialen Konsequenzen von grundlegenden Entscheidungen müssen mehr bedacht werden, mahnt deshalb Weihbischof Anton Losinger:
"Deswegen muss man, sowie die Wissenschaft das ausdrückt, eine klare Technikfolgenabschätzung immer zuvor erledigen, bevor man Anwendungen solcher neuen Techniken will."
Noch bevor gesellschaftliche Debatten darüber stattgefunden haben, versuchen Saatgutkonzerne inzwischen Kulturpflanzen zu vermarkten, deren Erbgut durch "Genom Editing" neue Eigenschaften erhalten hat. Bislang gelten solche "editierten" Pflanzen sogar als gentechnikfrei, weil die Pflanzen-DNA zwar "umgeschrieben" wird, aber dabei keine artfremden Gene mehr eingebracht werden müssen. Die Manipulation ist also nicht mehr nachweisbar. Der Saatgut Experte der Schweizer Bürgerbewegung "Public Eye" fürchtet, dass so über die Hintertür bald auch überall in Europa Gen-Weizen und Gen-Mais erst auf die Felder und dann auf die Teller kommen. Genom-Editing ermögliche ein Traumszenario für Biotechnologiefirmen, sagt Francois Meienberg: Sie melden Patente auf gentechnisch veränderte Kulturpflanzen an, geben diese aber gleichzeitig als "gentechnikfrei" aus.
"Und das heißt, insbesondere wenn das dann wichtige Erfindungen sind, könnte das durchaus sehr negative Konsequenzen haben. Zum Beispiel jetzt vielleicht Sorten, welche ganz gut sind, um gegen Dürre oder Hitze, im Klimawechsel gut zu bestehen, wenn das von einer Firma beherrscht wird, sind alle anderen Firmen abhängig."
Einigen Wissenschaftlern und Bioethikern gehen die Fortschritte beim Genom Editing inzwischen deutlich zu schnell. Deshalb haben sie ein Moratorium gefordert. Zunächst müssten die Umweltauswirkungen, die sozialen Konsequenzen und die ethischen Fragen diskutiert werden.