Lennart Pyritz: Welche Rolle könnten "am Erbgut operierte" Nutzpflanzen künftig für die Welternährung spielen?
Armin Scheben: Dazu ist es, glaube ich, wichtig, erst mal festzustellen, dass die Menschen ja schon seit 10.000 Jahren Pflanzen genetisch verändert haben und damit erst die heutigen ertragreichen und schädlingsresistenten Sorten gezüchtet werden konnten. Das Problem, das wir jetzt haben, ist, dass die Anbaufläche für Nutzpflanzen eben begrenzt ist und der Großteil der Fläche schon genutzt ist.
Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung, sodass wir etwa in 30 Jahren unsere Erträge aus dem Ackerbau verdoppeln müssen, um weiterhin alle zu ernähren. Dazu kommt dann eben, dass der Klimawandel zu gewissen Risiken im Ackerbau führt, das heißt, Witterungsbedingungen könnten sich schlagartig ändern, extreme Wetterereignisse wie Dürren können häufiger auftreten. Und das heißt, wir brauchen auch stresstolerantere Nutzpflanzen. Und all diese Herausforderungen bedeuten eben, dass herkömmliche Methoden zur Nutzpflanzenverbesserung beschleunigt werden müssen.
"Wir brauchen Nutzpflanzen, die höhere Erträge bringen"
Pyritz: Welche Eigenschaften der Pflanzen könnten denn konkret genetisch verändert werden, um diese Probleme, die Sie jetzt geschildert haben, durch steigende Temperaturen oder vermehrte Dürrephasen, zu umgehen oder denen zu begegnen?
Scheben: Also, vor allem brauchen wir Nutzpflanzen, die höhere Erträge bringen und gleichzeitig weniger Dünger und weniger Pestizide benötigen. Beispielsweise kann man die Dürretoleranz von Pflanzen erhöhen, was vor allem Entwicklungsländern, die stark vom Klimawandel betroffen werden, helfen kann, da es hier keine künstliche Bewässerung gibt wie zum Beispiel im deutschen Ackerbau. Andere Eigenschaften, die verändert werden können, sind zum Beispiel die Reifedauer, damit wichtige Fenster in der Entwicklung von Pflanzen verschoben werden können, um sie dann anzupassen an steigende Temperaturen, und zuletzt ist eine ganz wichtige Eigenschaft die Resistenz gegen Krankheitserreger.
Gentechnische Methoden sind genauer als die der herkömmlichen Züchtung
Pyritz: Wo liegen da die Vorteile dieser Genomchirurgie gegenüber traditioneller Züchtung? Das haben Sie eben schon mal kurz gestreift.
Scheben: Bei der herkömmlichen Züchtung wird das Erbgut verändert durch Strahlung, UV oder radioaktiv, durch Chemikalien oder durch sogenannte spontane Mutation, also spontane Veränderungen beim Erbgut, die bei Kreuzungen von Pflanzen herbeigeführt werden. Und die Herausforderung bei diesen konventionellen Züchtungsmethoden ist, dass sie relativ ungezielt sind. Man kann sich vorstellen, wenn man eine Pflanze einfach bestrahlt, dann erscheinen viele zufällige Mutationen und viele von diesen sind auch unerwünscht.
Gentechnische Methoden, vor allem neuere gentechnische Methoden wie die der Genomeditierung wie CRISPR/Cas9 nutzen einen viel präziseren Mechanismus. Das heißt, Genomeditierung über CRISPR/Cas9 ermöglicht es, mittels einer Art molekularen Schere ganz gezielt einzelne Buchstaben der DNA zu verändern. Das heißt, wir haben nicht diese zufälligen Mutationen überall im Genom, sondern wir entscheiden uns für beispielsweise ein Gen, verändern dieses dann gezielt. Und das ermöglicht es viel schneller, zu Veränderungen von gewünschten Eigenschaften zu kommen.
"Wir haben noch ein sehr großes Unwissen"
Pyritz: Wenn man mit diesen neuen Methoden etwas im Erbgut der Pflanze verändert, woher weiß man oder wie lange dauert es, bis man wirklich weiß, was man damit im Lebenszyklus der Nutzpflanze verändert hat? Wie groß ist da der Erfahrungsschatz?
Scheben: Also, natürlich ist eine der Schwierigkeiten bei der Veränderung des Erbguts, dass wir noch ein sehr großes Unwissen haben, was die genetischen Zusammenhänge im gesamten Erbgut von Pflanzen generell haben. Allerdings besteht hier nicht wirklich ein Unterschied zwischen der modernen Gentechnik und der herkömmlichen Züchtung, auch hier wissen wir nicht, was die Veränderung letzten Endes für Konsequenzen haben können. Wir wissen aber aus einem Erfahrungsschatz von 10.000 Jahren der Pflanzenzüchtung und der Veränderung von pflanzlichem Erbgut, dass wir durchaus keine unwägbaren Risiken eingehen, auch wenn wir Gene verändern, wo wir vielleicht nicht hundertprozentig wissen, was genau passiert.
"Wir brauchen eine öffentliche Debatte, die faktenbasiert ist"
Pyritz: Das ganze Thema hat ja nicht nur eine wissenschaftliche, sondern eben auch eine politische, gesellschaftliche oder sogar ethische Dimension. Für wie realistisch halten Sie es denn, dass solche mit moderner Gentechnik veränderten Pflanzen in Zukunft tatsächlich weiträumig auch in armen Agrarländern Anwendung finden?
Scheben: Dazu will ich erst einfach sagen, dass bereits jetzt weiträumig auch in Entwicklungsländern transgene Pflanzen, also Pflanzen, die mit früherer Gentechnik verändert worden sind, angebaut werden. Über 90 Prozent der weltweit angebauten Baumwolle ist gentechnisch verändert, wird vor allem in Amerika und in Indien angebaut, und aus der stellen wir unsere Kleidung her. Bei der Einführung der modernen gentechnischen Methoden und der Nutzung von verbesserten Pflanzen durch zum Beispiel CRISPR/Cas9 in Entwicklungsländern ist vor allem wichtig, dass Kleinbauern in Entwicklungsländern den Zugang zu diesem verbesserten Saatgut haben. Aber dazu braucht erst mal der Kleinbauer einen Kredit. Und hier können die Regierungen von Entwicklungsländern, aber auch die Industriestaaten helfen, dass Kleinbauern diese Möglichkeiten haben. Wir brauchen hier also eine öffentliche Debatte, die faktenbasiert ist, die nüchtern ist und offen mit neuen Möglichkeiten umgeht und sowohl mögliche Risiken nicht runterspielt als auch die Chancen nicht untertreibt.
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