Ralf Krauter: Genome-Editing, darunter versteht man neue Verfahren auf Basis selektiver Genscheren, genannt CRISPR-Cas, mit deren Hilfe es möglich ist, das Erbgut von Lebewesen aller Art nach Lust und Laune umzuschreiben. Weil die neuen Methoden zur Genomeditierung so mächtig sind, wird über ihre Chancen und Risiken kontrovers diskutiert. Es gibt sogar Experten, die sagen, verglichen mit den politischen und gesellschaftlichen Fragen, die das Genome-Editing aufwirft, sind die Diskussionen über Nordkoreas Atomraketen Peanuts. Die heutige Jahrestagung des Ethikrats in Berlin steht ganz im Zeichen des Genome-Editing. Das Beratungsgremium hat sich nämlich zum Ziel gesetzt, die naturwissenschaftlichen, medizinischen und ethischen Aspekte des Themas auszuloten. Auf welcher dieser drei inhaltlichen Ebenen derzeit am meisten Diskussionsbedarf besteht, das habe ich vor, den Molekularbiologen Professor Jörg Vogel von der Uni Würzburg gefragt, der in Berlin dabei ist und sich schon länger intensiv mit dem Thema befasst.
Jörg Vogel: Ich glaube, auf der ethischen. Wir wissen von einer naturwissenschaftlichen Seite her, dass CRISPR-Cas ein hervorragendes Werkzeug ist, um Genome zu verändern und damit Krankheiten zu heilen. Es ist nicht nur wichtig in der Medizin. Der Erfolg speist sich natürlich auch daraus, es ist in der Biotechnologie schon jetzt ein ganz wichtiges Werkzeug geworden, das Gleiche gilt auch für die Pflanzenzüchtung. Diese Bereiche, Biotechnologie, Pflanzenzüchtung haben ihre eigenen ethischen Probleme oder auch regulatorischen Probleme. Das muss man einfach wissen, dass die Organismen CRISPR-Cas erzeugt werden, nicht zwangsläufig als gentechnische Organismen eingestuft werden, obwohl sie durch Gentechnik erzeugt worden sind. Und dann gilt es natürlich abzuschätzen, wie schnell und wie sicher kann denn eigentlich CRISPR-Cas9 in der Medizin angewendet werden, also wann und unter welchen Bedingungen sollte es diesen Einsatz geben.
"Es ist nicht so, dass man das in der Garage machen kann"
Krauter: Sie haben schon gesagt, die CRISPR-Cas-Technik ist ein sehr mächtiges neues Werkzeug in den Händen der Genforscher, Mediziner, Entwicklungsbiologen, weil sie eben das Erbgut von Lebewesen auf einmal sehr einfach und sehr gezielt, schnell verändern können, zum Beispiel, um bestimmte Erbkrankheiten zu behandeln. Was glauben Sie denn, wenn wir mal ein bisschen nach vorn schauen, welche konkreten medizinischen Anwendungen dieser Technik könnten in fünf oder zehn Jahren möglich sein?
Vogel: Ich glaube, es sind vor allem die Krankheiten, die man auch in den letzten zehn, 20 Jahren schon versucht hat, über Gentherapie zu heilen. Da muss man auch ein bisschen auf die Begrifflichkeiten aufpassen. Genomchirurgie ist eigentlich nichts anderes, wenn sie am Menschen angewandt wird oder an menschlichen Zellen, auch somatischen Zellen, ist nichts anderes als eine Gentherapie. Sie nutzt die gleiche Infrastruktur, die gleichen Vektoren zum Beispiel, mit denen man früher versucht hat, andere Faktoren/Strukturen? einzufügen in menschliche Zellen, um die dann zu reparieren oder zumindest so zu verändern, dass sie wieder ihre natürliche Funktion ausüben können. Und da ist natürlich auch eine ganze Menge an Infrastruktur schon mal da. Da gibt es also auch klinische Studien, die jetzt eigens für bestimmte Krankheiten, die jetzt einfach mit CRISPR-Cas9 noch mal durchgeführt werden können und dann hoffentlich zu besseren Erfolgen führen, die zum Beispiel verhindern, dass man an der falschen Stelle im Genom etwas einbaut oder zusätzlich irgendwo Veränderungen vornimmt, die dann dazu führen könnten, dass eine Gentherapie zwar im Prinzip funktioniert hat, aber eine andere Krankheit wie etwa Krebs darüber entsteht. Und die Krankheiten, die da so im Mittelpunkt stehen, sind vor allem monogenetische Krankheiten. Das sind Krankheiten, wo man ganz klar sagen kann, da gibt es einen Abschnitt in der DNA, der ist defekt. Da ist zum Beispiel ein Enzym, das nicht die Funktion ausüben kann, die es eigentlich ausüben sollte, und deswegen ist der Patient krank.
Krauter: Das heißt, die Hoffnung ist, bisherige Methoden der Gentherapie jetzt viel zielgerichteter einsetzen zu können und mit weniger Nebenwirkungen letztlich bessere Erfolge erzielen zu können, als das bislang der Fall war?
Vogel: Genau. Das ist eigentlich das, weshalb auch diese CRISPR-Cas9-Methode so erfolgreich sein kann, weil viele andere Probleme in den letzten zehn, 20 Jahren schon gelöst worden sind. Wie bringt man solche molekularen Scheren oder Genscheren, wie sie auch immer genannt werden, wie bringt man die in die richtigen Körperzellen ein? Wie stellt man sicher, dass dort nur in den gewünschten Organen eine Veränderung hergestellt wird et cetera. Und es kommt natürlich noch dazu, dass in den letzten zehn Jahren unglaubliche Erfolge in der Stammzellforschung erzielt worden sind. Wir können eben jetzt auch den Körperzellen entnehmen, die ex vivo, so nennt man das, verändern und dann in den Körper wieder einbringen. Und da bieten sich neue Behandlungstätigkeiten.
Krauter: Nun ist es ja so, dass Kritiker fürchten, dass die Weiterentwicklung der CRISPR-Cas-Technologie früher oder später dazu führen könnte, dass rote Linien überschritten werden. Wie groß sehen Sie diese Gefahr denn, dass eben zum Beispiel doch Eingriffe in die menschliche Keimbahn gemacht werden könnten, was eine Mehrheit der Forscher ja derzeit nach eigenem Bekunden eigentlich gar nicht will.
Vogel: Es ist nicht nur so, dass die Mehrheit der Forscher das nicht will, sondern es ist auch so, dass die Eingriffe in die Keimbahn eigentlich gar nicht so viele Krankheiten jetzt der erfolgreichste Weg wäre. Aber es gibt natürlich auch Entwicklungen momentan, gerade mit der pränatalen Diagnostik kann man relativ früh nachschauen, ob Embryonen sich gut entwickeln. Damit sind bestimmte Erbkrankheiten vielleicht auch leichter zu behandeln. Ich glaube nicht, dass diese Keimbahntherapie jetzt wirklich das akute Problem ist, das wir haben.
Krauter: Jetzt hat der Ethikrat ja letztlich die Aufgabe, die politischen Entscheider auch zu beraten. Hätten die Entscheider denn bei all der Euphorie um die neuen Möglichkeiten, die dieses Verfahren bietet, tatsächlich noch die Chance, da auf die Bremse zu treten, oder ist der Zug nicht vielleicht sowieso schon abgefahren, weil irgendwo dann doch wahrscheinlich vieles ausprobiert werden wird?
Vogel: Es muss ja immer Gründe geben, warum irgendwas ausprobiert wird, und ich denke nicht, dass es momentan viele Gründe gibt, eine Keimbahntherapie auszuprobieren. Das ist auch nicht ganz so einfach. Es ist nach wie vor nicht so, dass man das in der Garage, zu Hause hinterm Gartenzaun machen kann. Da braucht man eine sehr gute medizinische und molekularbiologische Infrastruktur dafür. Und vielleicht sollte ich betonen, dass auch, wenn die ethischen Grundlagen in anderen Gesellschaften anders sind als in Deutschland und es ja auch noch nicht mal in den USA ein explizites Verbot einer Keimbahntherapie gibt, sind die Sorgen natürlich überall gleich, und zwar die Grundsorge, dass man eine Veränderung in das Genom eines zukünftigen Menschen einführt, deren Risiko man noch nicht abschätzen kann und die dann eben auch nicht mehr aus dem zukünftigen Menschen zu entfernen ist und damit eben auch an die Nachfahren weitergereicht wird. Und das sind natürlich Zeiträume für eine Risikoabschätzung – wir reden ja über Generationen, nach denen man vielleicht sagen könnte, ist das Ganze jetzt gut gelaufen oder nicht. Ich glaube, diese Überlegung, die gibt es in allen Ländern, in denen solch eine Keimbahntherapie grundsätzlich technisch möglich ist.
"Die gesetzliche Grundlage ist eindeutig"
Krauter: Reicht das denn aus Ihrer Sicht, dass die Forscher sich jetzt quasi mehrheitlich global zu einem Moratorium für solche Keimbahntherapieexperimente entschieden haben, oder müsste die Politik nicht doch konkrete Maßnahmen treffen, speziell in Deutschland? Und welche könnten das denn sein?
Vogel: Es ist nicht ganz so, dass global die Schleusen offen sind für eine Keimbahntherapie und nur in Deutschland wäre diese verboten. Auch wenn sie woanders vielleicht nicht als Prinzip ausgeschlossen ist, gibt es doch so strenge Regularien, dass man das nicht einfach mal so nebenbei machen kann. Was viel wichtiger ist an einem Moratorium, ist der Fakt, dass man damit auf eine brisante Entwicklung hinweist – und CRISPR-Cas9 ist natürlich brisant mit Bezug auf die möglichen Folgen für die Gesellschaft, dass man die Gesellschaft einbindet. Und das ist eben das, was Wissenschaftler machen müssen, dass sie eine verantwortungsvolle Diskussion führen müssen über sowohl die Chancen als auch die Risiken solcher neuen Technologien. Und das können wir insofern von unserer Seite abdecken, dass wir erklären, was die molekularbiologischen Grundlagen sind und welche Entwicklungen da in den nächsten Jahren absehbar sind. Und da gibt es eine ganze Menge.
Krauter: Also Ihr Appell an die Politik wäre: Informiert euch, macht euch kundig, aber akuten Handlungsbedarf sehen Sie jetzt erst mal nicht.
Vogel: Ich glaube, die gesetzliche Grundlage ist eindeutig. Für die Art von Keimbahntherapie, wie man sie mit CRISPR-Cas erreichen könnte, gibt es momentan keine Zulassung in Deutschland. Man müsste es illegal machen, und das ist auch nicht so ganz einfach. Und es geht gar nicht nur um einen Dialog nur mit der Politik. Es geht einfach auch um einen Dialog mit der Gesellschaft, denn die Probleme die wir haben mit CRISPR-Cas9, sind auf der ethischen Seite ja überhaupt nicht neu. Das sind dieselben Betrachtungen, die wir anstellen müssen, die wir auch schon bei der Gentherapie hatten und die wir eben auch schon bei der Gentechnik haben. Wir können uns da nicht einfach weiter wegducken als Gesellschaft.
Krauter: In Sachen Bioethik auf Tauchstation gehen, das ging lange gut, ist in Zeiten von Genome-Editing aber keine wirklich gute Idee mehr, findet Jörg Vogel von der Universität Würzburg.
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