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Genossenschaften
Unternehmensziel: solidarisch und nachhaltig wirtschaften

Im 19. Jahrhundert entstand die Genossenschaft - im Agrar-, Banken-, Wohnungs- und Kultursektor. Menschen zahlen dabei anteilig Geld für ein gemeinsames Projekt. Wo sich der Staat zurückzieht, scheint heute mehr denn je bürgerschaftliches Engagement in dieser Rechtsform gefragt zu sein.

Von Tobias Barth und ist Luca Schooss Neves |
Häuser der denkmalgeschützten Gartenstadt Falkenberg in Treptow Akazienhof, Architekt Bruno Taut , Berliner Bau und Wohnungsgenossenschaft.
Berliner Bau und Wohnungsgenossenschaft: Häuser der denkmalgeschützten Gartenstadt Falkenberg in Treptow (imago / Sven Lambert)
Ein Dorfladen im sächsischen Falkenau: In den Regalen Zahnpasta neben Süßwaren, in den Kühltheken Wurst und Käse, neben der Kasse eine Lottostelle und das Sparkassen-Logo. Der Name des Geschäftes in dem 2.000-Seelen-Ort lässt aufhorchen. Keine Neonreklame für eine große Kette prangt über dem Eingang, sondern ein schlichtes Schild: "Unser Laden Falkenau eG". eG steht für eingetragene Genossenschaft. Vor zwölf Jahren taten sich einige Falkenauer zusammen, um den eigenen Laden zu gründen.
"Die großen Firmen, das hat der Bürgermeister zum damaligen Zeitpunkt verhandelt, hat ein paar große Lieferanten angeschrieben, EDEKA, Simmel, Aldi und was zur Verfügung auf dem Markt stand, und die hatten sich negativ geäußert."
Thilo Walter war Außendienstler im Handel. Nun hat er wieder Arbeit in dem idyllisch gelegenen Ort zwischen Chemnitz und Freiberg.
"Der Vorteil der Genossenschaft ist auf alle Fälle der – das ist ja der Grundgedanke von Schulze-Delitzsch mit gewesen, der den Genossenschaftsgedanken mit gegründet hat vor vielen Jahren – die Gemeinsamkeit. Dass eine Genossenschaft den Charakter in sich trägt, dass alle mitbestimmen können und dass es ein transparenter Umgang miteinander ist. Das ist der Vorteil. Das Wichtige daran ist aber, dass alle sich da beteiligen, auch sich da befleißigen, das muss man auch mal so hart sagen."
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Agrar-Genossenschaften in Mecklenburg - Erfolgreich jenseits der Bauernhofidylle Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) sicherten in der DDR die Lebensmittelversorgung. Auch nach der Wende konnten die Agrarbetriebe dank ihrer Größe mithalten. Heute punkten sie mit Bio-Anbau und nachhaltiger Bewirtschaftung.
Der Laden ist auf Dauer angelegt
Gut 400 Falkenauer sind Mitglieder in der Genossenschaft, jeder fünfte Einwohner also. Die einen engagieren sich mehr, die anderen weniger. Aber: Der Laden läuft. Etwa 5.000 Artikel bietet er an, in guten Monaten macht er nach eigenen Angaben mehrere 10.000 Euro Umsatz.
50 Euro kostet die Mitgliedschaft in der Genossenschaft, eine Einlage, die zum Grundstock beiträgt für die Existenz des Dorfladens.
Die Falkenauer Bürger helfen sich selbst, ihr Unternehmen löst ein soziales Problem, es gehört nur ihnen, sie haben es auf Dauer angelegt. Damit wäre der Dorfladen wohl ganz nach dem Geschmack des Sozialreformers Hermann Schulze-Delitzsch gewesen. Der Jurist und Liberale, der im 19. Jahrhundert lebte, gilt als einer der Urväter der deutschen Genossenschaftsbewegung. Mehr über ihn erfährt man im Deutschen Genossenschaftsmuseum in Delitzsch bei Leipzig. Museumsleiter Thomas Keiderling:
"1846/47 ist die Ernte ausgefallen, also zunächst erst mal gab es einen ganz schlechten Sommer, das können wir uns heute kaum noch vorstellen, dass es nicht heiß ist, sondern da hat es nur durchgeregnet. Dann gab es auch noch durch Schädlingsbefall kaum Getreide und Kartoffeln, und dann hat er gesagt zusammen mit anderen, wir kaufen Getreide auf, wir verteilen Brot an Hungernde, hat einen entsprechenden Verein gegründet und der hat so eingeschlagen, dass er hier sehr populär wurde."
1849 entstand die erste deutsche Produktivgenossenschaft
1849 gründete der damals 41-jährige Wohltäter die erste deutsche Produktivgenossenschaft. Und zwar in der Delitzscher Kreuzgasse 10, damals Haus eines Schumachers, heute Genossenschaftsmuseum.
Es war die Zeit, als die industrielle Revolution Fahrt aufnahm und mit ihr das Fabrikwesen und das Monopolkapital. Handwerk verlor seinen "Goldenen Boden" und das traf die bis dahin unabhängigen Meister und Gesellen aller Gewerke.
"Die Sache war ja, dass es eben nicht nur die sozial schwächste Schicht war, sondern, dass eben auch den Mittelstand betraf. Und das war das Erschreckende."
Enrico Hochmuth aus Leipzig hat als Kulturwissenschaftler über das Genossenschaftswesen publiziert.
"Und Schulze-Delitzsch meinte, es kann ja nicht sein, dass hoch qualifizierte Handwerker plötzlich Hunger leiden müssen. Und das war eigentlich der konkrete Ausgangspunkt, um zu sagen, wir müssen denen Instrumente in die Hand geben, wo sie mit ihrer eigenen Hände Arbeit sich ernähren können und damit natürlich auch wiederum ein selbstbewusster Teil der Gesellschaft werden und der Gesellschaft auch wieder insgesamt was zurückgeben, die Gesellschaft mitformen dadurch."
Mengenrabatt beim gemeinsamen Einkauf
Wald-Genossenschaft - Erholungsgebiet in Bürgerhand Nicht selten wird öffentlicher Wald an private Investoren verkauft, die der Rendite wegen große Flächen einfach abholzen. Anders in Remscheid: Dort haben engagierte Bürgerinnen und Bürger 2013 eine Wald-Genossenschaft gegründet, die erste und bislang einzige dieser Art in Deutschland.
Die Assoziation der Schuhmacher half den Handwerkern, sich am Markt zu behaupten. Mengenrabatt beim gemeinsamen Einkauf sparte Kosten für Leder und Garn und auch beim Verkauf ließ sich im Verbund mehr erreichen als allein. Gemeinsam mietete man Kojen auf der Leipziger Messe und konnte so Aufträge bis nach Amerika akquirieren.
"Aber Schulze, der merkte schon recht schnell, dass das in gewisser Weise noch zu kurz gegriffen war. Denn um Rohstoffe in solchen Mengen einkaufen zu können und auch in neue Technologien, auch als Handwerker, zu investieren, braucht man natürlich Kapital. Das hatte der Einzelne nicht, das hatte selbst die Gemeinschaft nur in beschränktem Maße. Und hier griff dann die Idee der genossenschaftlichen Kreditwirtschaft."
Für viele Gemeinschaftsprojekte ist das Kapital der Knackpunkt: Und auch da hilft das Modell Genossenschaft. Ganz aktuell gut zu beobachten in Erfurt, beim Kulturquartier. Die Genossenschaft in Gründung versucht, das seit Jahren leer stehende alte Schauspielhaus wiederzubeleben.
"Wir stehen ja jetzt hier in dieser Wandelhalle-Süd, wir haben hier so unglaublich wunderschöne Räume in diesem Haus, die ganz hell sind. Und das ist ja dieser Charme auch dieses Gebäudes und des Theaters, dass du hier diese großen Foyerflächen hast, wo man sich einfach auch schön aufhalten kann."
Grundkapital sammeln für ein neues Kulturquartier
Inga Hettstedt engagiert sich seit Jahren für das Kulturquartier. Die Grundidee: tausend Leute finden, die je 1.000 Euro Genossenschaftsanteile zeichnen. Mit diesem Grundkapital einen Kredit aufnehmen und das alte Schauspielhaus zu einem neuen Kulturort machen – für die Off-Theaterszene, für ein nichtkommerzielles Radio, für Programmkino und Kleinkunst.
"Für Kauf und Sanierung von Haus und Grundstück brauchen wir 5,5 Millionen Plusminus. Und deswegen haben wir gesagt: eine Million Euro Eigenanteil, viereinhalb Millionen Euro Kredit. Und davon können wir das hoffentlich - aber dafür ist der Businessplan ja da - quasi stemmen. Also das Haus kaufen und sanieren."
Von den erhofften eine Million Euro sind Stand Januar 2020 mehr als 820.000 Euro zusammengekommen. Das bürgerschaftliche Engagement der vielen Genossenschaftler, hat auch dazu geführt, dass es durchaus interessierten Investoren erschwert wurde, das Areal spekulativ zu verwerten. Denn der Erfurter Stadtrat beschloss, dass ein Verkauf des Geländes zwingend an eine kulturelle Nutzung gebunden sein muss. So wurde das verhindert, was auch in Erfurt wie vielerorts der Gang der Dinge ist: Abriss oder Umbau, Vermarktung als profitable Lofts oder Eigentumswohnungen.
Raiffeisen gründete die erste Genossenschaftsbank
200. Geburtstag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen - Der Begründer der Genossenschaftsbewegung Hilfe zur Selbsthilfe für mehr Wohlstand und Mitsprache: Um das auf Dauer zu sichern, sollten sich Arbeiter und Bauern in Vereinen zusammenschließen - so die Idee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Aus diesen Vereinen gingen später die Genossenschaften hervor. Vor 200 Jahren wurde Raiffeisen geboren.
Im Kultursektor sind Genossenschaften eher die Ausnahme. In der Landwirtschaft und im Bankensektor dagegen ist die Rechtsform ein sehr verbreitetes Eigentümermodell. Das hat viel zu tun mit der rheinischen Traditionslinie des Genossenschaftswesens, die von Friedrich Wilhelm Raiffeisen zeitgleich mit Schulze-Delitzsch aus Sachsen begründet wurde. Als Bürgermeister von Heddersdorf bei Neuwied am Rhein sah Raiffeisen die Armut der Bauern. Viele hatten kein Geld, um sich genügend Acker oder Saatgut zu kaufen. Wucherzinsen trieben manchen Landmann in den Ruin.
Der Sozialreformer setzte auf das Solidarprinzip: Tun sich die Armen zusammen, so sein Gedanke, können sie sich selbst helfen. 1862 entsteht im Westerwald ein Vorschussverein, die erste Genossenschaftsbank. Heute sind in Deutschland etwa 900 Banken als Genossenschaft organisiert, unter Namen wie Volksbank, Raiffeisenbank oder Sparda. Bekannt für ihr gesellschaftliches Engagement ist die GLS-Bank. Nach eigenen Angaben ist die 1974 in Bochum gegründete Genossenschaft die erste Ökobank der Welt:
"Unser Ziel ist es wirklich, die Bedürfnisse der Menschen und eben nicht eines einzelnen Menschen, sondern der Menschen zu fördern, zu befriedigen. Das heißt in der Praxis: Wenn wir zum Beispiel aus der Kreditperspektive denken, bevor wir eine Kreditanfrage prüfen, ob sie überhaupt wirtschaftlich tragfähig ist, gucken wir immer: Wie sozial-ökologisch ist das Thema?"
Bank mit Gemeinwohlanspruch
Ina von der Heyden ist Regionalleiterin Firmenkunden bei der GLS-Bank Berlin. Die aus dem anthroposophischen Spektrum heraus gegründete Bank behauptet sich mit ihrem Gemeinwohl-Anspruch. Die GLS Gemeinschaftsbank hat heute 60.000 Mitglieder und fast 250.000 Kunden. Für die Bankmitglieder ist das Genossenschaftsmodell gelebte Demokratie in der Unternehmensstruktur. Genossenschaften, so das Fazit von Ina von der Heyden, ziehen eine zunehmend wieder auf Gemeinsinn orientierte Jugend an.
Raiffeisen-Genossenschaften - "Sicheres Wohnen ein Leben lang" Einzelne schließen sich zusammen, um gemeinsam mehr zu erreichen: Die Idee der Genossenschaft geht auf Friedrich Wilhelm Raiffeisen zurück, der am 30. März 1818 geboren wurde. 200 Jahre später ist das Prinzip wieder modern.
"Ich merke, dass viele, viele junge Menschen auch gerade wieder zurück zu diesen Werten finden, weil es eben einfach werteorientiert ist. Das ist eine Denkweise. Wenn ich eine Genossenschaft gründe, gebe ich ja einen Teil, wenn ich jetzt Inhaber bin oder Inhaberin, dann gebe ich ja einen Teil meiner Lenkungsmacht, meiner Lenkungsposition ab, indem ich einfach sage ich stelle es jedem frei mitzuentscheiden. Und das ist eine sehr werteorientierte Denkweise. Und diese Denkweise kommt Gottseidank immer mehr wieder zurück."
Die Zahl der genossenschaftlich organisierten Unternehmen lag 2018 nach Angaben des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bei etwa 7.600 – in den Fünfziger Jahren waren es noch mehr als 25.000. Dennoch sind heute insgesamt 22 Millionen Deutsche Mitglieder – damit gibt es sechsmal mehr Genossenschaftlerinnen als Aktionäre. Große Tradition und viel Zuspruch hat die Rechtsform in der Wohnungswirtschaft. Dort leisten solche Unternehmen viel für das Gemeinwohl:
"Ja, auf jeden Fall. Gerade in den letzten Jahren, wo es viele Privatisierungen der öffentlichen Wohnungsbestände gab, waren die Genossenschaften immer ein Anker der Stabilität bei den Mieten. Sie haben eben nicht die Mieten überdurchschnittlich erhöht und sie haben gegenüber ihren Mietern größtenteils ihre Aufgabe schon erfüllt. Das muss man sagen. Es gibt ja auch fast 200.000 genossenschaftliche Wohnungen in Berlin. Das ist schon ein sehr großer Bereich. Das haben sie getan in der Zeit, wo der Staat seinen Aufgaben nicht nachgekommen ist."
Diskrepanz zwischen Vorständen und Mitgliedern
Rouzbeh Taheri sitzt in seinem kleinen Büro in Berlin-Neukölln. Er ist Sprecher der Initiative "Deutsche Wohnen enteignen!". Mit ihrer Kampagne hat sie maßgeblich zum umstrittenen Mietendeckel in Berlin beigetragen. Überraschenderweise machten sich gerade die großen Genossenschaften zum Sprachrohr der Wohnungseigentümer und plakatierten gegen den Mietendeckel.
"Ich wohne selber in einer solchen Genossenschaft und kenne auch die Diskrepanz zwischen dem, was der Vorstand verkündet und der Stimmung bei den Mitgliedern der Genossenschaft, meinen Nachbarn. Ich kenne keinen einzigen Nachbarn, der gegen den Mietendeckel ist. Der Vorstand macht trotzdem Werbung gegen den Mietendeckel. Da sieht man, dass da bei den Genossenschaften eine große Kluft besteht, zwischen dem, was die Mitglieder denken und das was der Vorstand verkündet. Es hat mich trotzdem in dieser Heftigkeit überrascht und es ist für mich auch unverständlich."
Volksbegehren "Deutsche Wohnen enteignen" - "Berlin ist eine reine Mieterstadt" Die anhaltenden Mietsteigerungen seien für viele Berliner nicht mehr zu stemmen, sagte Michael Prütz, Mit-Initiator des Volksbegehrens "Deutsche Wohnen enteignen", im Dlf. Etwaige Entschädigungszahlungen zu leisten, sei für den Berliner Landeshaushalt "kein Problem".
Aus Sicht von Rouzbeh Taheri berührt der Mietendeckel die Genossenschaften kaum. Er glaubt eher an ein ideologisches Problem.
"Viele der großen Genossenschaften verstehen sich als normaler Teil der Immobilienwirtschaft und haben vergessen, weshalb sie eigentlich mal gegründet worden sind. Nicht nur, um günstige Mieten anzubieten, sondern auch um den Genossenschaftsgedanken, solidarischen Gedanken, auch in der Gesellschaft weiterzuverbreiten und davon haben sich leider viele Vorstände anscheinend verabschiedet."
Große Organisationen, kurzfristige Ziele
"Große Organisationen neigen zu Oligarchien, sie neigen zu Bürokratien, sie neigen also zur Entfernung von den Leuten, die unten sind. Sie neigen dazu, sich dem Markt anzupassen, kurzfristige Ziele eher anzustreben zu Lasten der langfristigen Ziele."
Wilhelm Kaltenborn ist Autor des Buches "Schein und Wirklichkeit", das sich kritisch mit Genossenschaften auseinandersetzt:
"Die Entfernung zwischen dem einzelnen Mitglied und der Spitze ist gewaltig gewachsen. Das sind nicht mehr fünf Zentimeter, das sind fünf Kilometer. Also von genossenschaftlicher Demokratie kann man da nicht mehr reden."
Ein Beispiel für diese Entfremdung im genossenschaftlichen Sektor brachte das Bundeskartellamt ans Licht. Mitte Januar verhängte es Bußgelder in Höhe von 155 Millionen Euro gegen Großhändler von Pflanzenschutzmitteln, darunter auch mehrere Genossenschaften. Eigentlich hätten diese Unternehmen die Interessen ihrer Mitglieder, also der Bauern, wahren sollen. Stattdessen trafen sie Preisabsprachen zum eigenen Vorteil. Der Fall zeigt: Wenn die Firmen so groß sind, dass Mitarbeiter und Genossen nicht mehr regelmäßig persönlich Kontakt haben, drohen sich die einzelnen wirtschaftlichen Interessen zu verselbstständigen. Kritiker fordern daher einen neuen Demokratisierungsschub im Genossenschaftswesen, so auch Rouzbeh Taheri von der Berliner Initiative "Deutsche Wohnen enteignen":
"Das hat immer zwei Seiten. Diese Entkopplung wurde einmal gesetzlich gefördert. In den 70er Jahren und in den 2000er Jahren gab es ja Änderungen des Genossenschaftsgesetzes, wo die Einflussmöglichkeit der Mitglieder auf die Vorstände verringert wurde – mit Absicht, damit die Vorstände freier agieren können. Diese gesetzlichen Änderungen müssen rückgängig gemacht werden. Auf der anderen Seite braucht es auch eine aktivere Mitgliedschaft bei den Genossenschaften. Wir bemerken, dass gerade auch im Rahmen dieser Debatte um den Mietendeckel viele Mitglieder aktiver geworden sind. Es ist immer noch zu wenig, aber es bewegt sich da was. Und versuchen auch, ihre Rechte wahrzunehmen. Es ist aber schwierig, weil man auf den Vorstand direkt gar keinen Einfluss hat."
Boom mit Bürgerwindparks oder Solaranlagen
Ausschreibungspflicht bei Solaranlagen - Kaum Chancen für Energiegenossenschaften Besitzer von Solaranlagen brauchten sich lange Zeit über den Absatz des selbst produzierten Stroms keine Sorgen machen. Doch die Bundesregierung will weg von der garantierten Vergütung und wer eine größere Solaranlage bauen will, muss an einer entsprechenden Ausschreibung teilnehmen. Ein Verlierer des neuen Verfahrens scheint schon festzustehen.
Dennoch: Die Novelle 2006 brachte vor allem Vorteile für Kleingenossenschaften. Statt bislang sieben reichten nun drei Gründerinnen, die Liste der Förderzwecke wurde auch auf Soziales und Kulturelles ausgeweitet. Und noch etwas war neu: Mehrere selbstständige Unternehmen können sich nun zusammenschließen, um gemeinsame Geschäftsbereiche wie Marketing, Verwaltungsaufgaben oder Versicherungsfragen genossenschaftlich zu organisieren. Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband verzeichnete prompt einen Anstieg der Gründungen. Waren es 2006 etwa 50, so stieg die Zahl in den Folgejahren auf das Fünffache. Neue Genossenschaften entstanden vor allem, weil Bürgerwindparks oder Solaranlagen boomten. 2016 aber sank die Zahl der Neugründungen bei diesem Prüfverband wieder auf den Tiefstand von 23.
Mit der jüngsten Novelle von 2017 sollte das Genossenschaftsgesetz praxisgerecht modernisiert werden – wieder profitieren Kleingenossenschaften, zum Beispiel von geringerem Aufwand für die Prüfungen.
Eine solche Kleingenossenschaft ist die SoWo in Leipzig. SoWo steht für Solidarische Wohnungsgenossenschaft. Inzwischen sanieren die Mitglieder das vierte Haus – in einem Gründerzeitviertel. Mitbegründer und Vorstandsmitglied Tobias Bernet:
"Das ist wirklich eine Geschichte wie sie der überhitzte Wohnungsmarkt schreibt. Und genau so ein Fall wo ich sagen würde, dafür haben wir eben diese Genossenschaft gegründet. Das ist halt ein Haus, was von einer Erbengemeinschaft, also ich sage jetzt mal wirklich Alteigentümer, vor acht Jahren oder so verkauft wurde an einen Immobilienunternehmer, der dann hier immer mehr einfach keine neuen Mietverträge mehr ausgegeben hat, wenn jemand ausgezogen ist und so weiter. Und wahrscheinlich darauf gesetzt hat, das es halt irgendwann leer ist und dann kann man es richtig durchsanieren und halt entsprechend auch dann wesentlich teurer vermieten oder wahrscheinlich eher verkaufen als Eigentumswohnung beziehungsweise verkaufen an jemanden, der dann dieses Konzept macht, war glaube ich am Ende sein Plan."
Bodenpreise und Eigentumsfrage
Die Wohnungsgenossenschaft um Tobias Bernet tat sich mit den letzten verbliebenen Mietern zusammen. Gemeinsam machten sie dem Eigentümer ein Kaufangebot und bekamen den Zuschlag.
Für die Genossenschaftler der SoWo ist es wichtig, das Wohnungsproblem nicht nur für sich selbst zu lösen. Ihnen geht es darum – ganz im Sinne des alten Genossenschaftsgedankens – ein Beispiel dafür zu geben, wie man ein grundsätzliches Problem der Gesellschaft praktisch angehen kann:
"Gerade Wohnungsbaugenossenschaften können aber tatsächlich schon sehr viel sozialverträglicher wirtschaften langfristig betrachtet und bei einer gewissen Größe, weil man einfach die, die Entschuldungseffekte, die damit einhergehen, wenn man ein Haus dreißig, vierzig Jahre nicht weiterverkauft und bei einer gewissen Eigentümerschaft, jetzt konkret einer Genossenschaft bleibt, dann ja irgendwann der Preis für den Grund und Boden, der ist irgendwann abbezahlt, der ist irgendwann weg. Das ist ja das, was gerade das Wohnen in Städten krass teuer macht, das einfach diese Bodenpreise explodieren."
Eine Straße in der Gartenstadt Hellerau in Dresden. Gelb gestrichene Häuser mit grünen Türen und Fensterläden.
Immaterielles Weltkulturerbe - Wo die Genossenschaftsidee in Deutschland weiterlebt
"Einer für alle und alle für einen" – so lautet der Wahlspruch der Genossenschaften. Denn der Mensch und nicht das Kapital soll im Mittelpunkt stehen. Seit kurzem ist die Idee der Genossenschaften von der UNECO als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt worden. In über 100 Ländern gibt es 800 Millionen Genossenschaftsmitglieder.
Die Bodenpreise und damit die Eigentumsfrage stehen seit Beginn der vor mehr als 150 Jahren implizit im Zentrum. Nur geht es anders als bei radikal-sozialistischen Vergesellschaftungen nicht um Enteignung, sondern um gemeinschaftlichen Erwerb. Das ist es, was die Genossenschaftsidee so attraktiv macht. Auch für die Große Koalition. Laut ihrem Koalitionsvertrag wollen Union und SPD "Genossenschaften als nachhaltige und krisenfeste Unternehmensform in den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen stärken. Dazu benötigen wir Maßnahmen, die eine starke Mitgliederbeteiligung unterstützen und kleineren Genossenschaften Orientierungshilfen bieten."
Das tut wohl not. Wo sich der Staat aus vielen Lebensbereichen zurückgezogen hat und wo die Privatwirtschaft Lücken hinterlässt, ist mehr denn je bürgerschaftliches Engagement gefragt. Sei es in der ländlichen Versorgung, auf dem Wohnungsmarkt oder im Kulturbereich. Die Rechtsform der Genossenschaft kann das auf eine solide Grundlage stellen.