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Genscher: Vaclav Havel war das Symbol der Freiheit

Dem ehemaligen Staatsoberhaupts Tschechiens, Vaclav Havel, sei es zu verdanken, dass die Welt heute nicht mehr in Europa geteilt sei, sagt Hans-Dietrich Genscher, ehemaliger Bundesaußenminister und FDP-Ehrenvorsitzender. Europa sei ärmer geworden durch seinen Tod.

Hans-Dietrich Genscher im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Schriftsteller, Dramaturg und Dissident, dann 1989 wurde er der erste nichtkommunistische Präsident der Tschechoslowakei, anschließend bis zum Jahr 2003 Staatsoberhaupt von Tschechien. Vaclav Havel wurde 75 Jahre alt. Seine letzten Jahre waren von einer schweren Krankheit geprägt. Dennoch zeigte er sich bis zuletzt aktiv. Der Künstler und Politiker, der wie kein zweiter für das neue demokratische, freie Tschechien stand und steht. Aufgeschlossen, liberal und weltläufig interessiert, so dass er als Staatschef sogar die Rolling Stones auf der Prager Burg empfing. Trauer um Vaclav Havel. Ein deutscher Politiker, der ein ganz besonders enges Verhältnis zu Vaclav Havel gepflegt hat, ist Hans-Dietrich Genscher, jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Hans-Dietrich Genscher: Guten Morgen.

    Müller: Herr Genscher, wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Havel gehabt?

    Genscher: Das ist schon über ein Jahr her. Aber in Gedanken sind meine Frau und ich oft bei ihm gewesen, weil wir uns immer wieder gefragt haben, wie mag es ihm gehen. Denn er hatte ja diese schreckliche Krankheit, die ihn am Ende auch dahingerafft hat. Wenn Sie die Reaktionen sehen in Europa, so kann man bei diesem großen Mann sagen, Europa trauert und Europa ist ja auch ärmer geworden, nicht nur das tschechische Volk. Dieser Vaclav Havel war einer der ganz Großen unserer Zeit. Ich sage bewusst nicht Politiker oder Staatsmann, das war er auch, aber er war eben auch ein Mann des Geistes, ein Mann der Väter, ein Mann des Wortes, ein Mann, der Menschen fesseln und beeindrucken, aber vor allem ermutigen konnte. Und das ist ein Verlust, den man in seinen Auswirkungen gar nicht beschreiben kann, wenn wir jetzt sagen müssen, er wird jetzt nicht mehr zu uns sprechen. Aber durch das, was er getan hat, spricht er noch zu Generationen in Europa.

    Müller: Sie haben ja viele, viele Jahre engen Kontakt zu Vaclav Havel gehabt. Sie sagten, der letzte liegt ungefähr ein Jahr zurück. Hat er mit Ihnen offen über seine Krankheit gesprochen?

    Genscher: Ja. Ich habe ihn sogar einmal, als es ihm sehr schlecht ging, in seinem Krankenzimmer besucht. Aber für ihn war diese Krankheit kein Thema, sondern für ihn hieß das Thema, was kann ich noch tun, solange diese Krankheit es mir erlaubt, und das ist, glaube ich, auch ein Zeichen seiner großen inneren Stärke und Überzeugungskraft. Dieser Mann war ein Beispiel.

    Müller: Was hat Sie besonders beeindruckt, gerade jetzt mit dem Blick auf das, was Sie gesagt haben? Sie haben ihn zunächst als Mensch, als Persönlichkeit vorgestellt, weniger als Politiker.

    Genscher: Ja, er war das Symbol der Freiheit. Er war als junger Mann schon beteiligt: 1968 im Prager Frühling. Damals waren Walter Scheel und ich in Prag. Ihm sind wir damals nicht begegnet, aber einemn seiner engsten Mitstreiter, dem späteren Außenminister Jirí Dienstbier, trafen wir damals sowie andere führende Leute des Prager Frühlings. Das waren alles Leute, die beseelt waren davon, den Kommunismus zu überwinden, und dann war er der Mann, der durch seine Persönlichkeit, durch das, was er sagte, gehört wurde. Selbst als er in den Kerkern des Systems festgehalten wurde, sind seine Worte nach außen gedrungen, und das hat so vielen Menschen Mut gemacht - nicht nur in der damaligen Tschechoslowakei, auch in Polen, in der DDR, in Ungarn, überall und auch in Russland. Und ich glaube, man kann heute sagen, dass wir nicht mehr eine zweigeteilte Welt haben, die in Europa geteilt war, das ist ganz wesentlich diesem großen Mann, dieser großen Persönlichkeit zu verdanken.

    Müller: Zuerst stand Vaclav Havel, Herr Genscher, ja für den Widerstand im kommunistischen Tschechien beziehungsweise in der kommunistischen Tschechoslowakei. Anschließend stand er an der Spitze der neuen Demokratie, des demokratischen Aufbruchs. Wusste er, dass das eine ganz schwierige Aufgabe sein wird?

    Genscher: Er war sich dessen voll bewusst. Ich werde nicht vergessen: ich traf ihn ja schon vor dem Systemwandel in Prag in der deutschen Botschaft in Prag und dann, gar nicht sehr viel später, war ich mit Richard von Weizsäcker, der einen Staatsbesuch dort in Prag abstattete, auf der Burg mit ihm. Dort trafen wir den Staatspräsidenten der neuen damals noch Tschechoslowakei. Das zeigt, da war der Mann aus dem Widerstand auf die Brücke getreten, er hatte Verantwortung für den Neuanfang in seinem Land übernommen und es war ein Segen für die Tschechoslowakei. Wenn Sie bedenken: Es bedurfte der manischen Kraft, der Autorität eines solchen Mannes, dass das Auseinandergehen zwischen Tschechen und Slowaken in einer so vorbildlichen und friedlichen Form sich vollzogen hat, und das alles wird bleiben, wenn wir uns an Vaclav Havel erinnern.

    Müller: Wie jeder Politiker in der Demokratie, oder jedenfalls wie die meisten in der Demokratie, Hans-Dietrich Genscher, hat Vaclav Havel ja einen bestimmten Kurs gefahren. Er hat ihm auch, gerade im Laufe der Jahre seiner Präsidentschaft, heftige Kritik eingebracht in Tschechien. War er zu moralisch rigoros?

    Genscher: Nein. Das kann man gar nicht stark genug sein. Aber wir Deutschen sind ihm zu besonderem Dank verpflichtet, denn er hat ja zur Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen so unendlich viel beigetragen. Er war es, der sich distanziert hat von der Vertreibung der Sudetendeutschen und damit vielen Menschen in unserem Land, die für die Versöhnung mit der Tschechoslowakei waren, dieses Problem vom Herzen genommen, dass ein Tscheche ausspricht, was damals geschehen ist. Nach all den schrecklichen Entscheidungen, die es vorher durch das Nazi-Regime dort gegeben hatte, reicht er uns die Hand zur Versöhnung. Das werden wir genauso wenig vergessen wie sein Eintreten für die Demokratie. Da entstand sofort ein Verhältnis zwischen dieser neuen Tschechoslowakei und zwischen dem vereinten Deutschland, wie es besser nicht hätte sein können.

    Müller: Aussöhnung mit den Deutschen - war das politischer Pragmatismus, oder war er ein Freund der Deutschen?

    Genscher: Es war für ihn vor allen Dingen ein Ausdruck einer historischen und moralischen Verantwortung, die er getragen hat, und es war natürlich auch das Ziel, ein einheitliches und geeintes Europa zu schaffen. Er war ein überzeugter Europäer und er wusste, dass die Aussöhnung auch der Tschechen mit den Deutschen eine der Voraussetzungen für die innere Einheit des neuen, des größeren Europas sein würde. Heute ist die Tschechoslowakei ein tragendes Mitglied der Europäischen Union.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Hans-Dietrich Genscher. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Genscher: Auf Wiederhören.

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