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Gentechnik-Pflanzen
Zulassungsprüfung "sehr industriefreundlich"

Bei der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen würden gesetzliche Anforderungen sehr einseitig und industriefreundlich ausgelegt, sagte Angelika Hilbeck von der ETH Zürich im Dlf. Das Prüfverfahren habe immer zum Ziel, Anbau oder Zulassung zu ermöglichen - zulasten des Umweltschutzes.

Angelika Hilbeck im Gespräch mit Uli Blumenthal |
Gewächshaus zur gentechnischen Pflanzenzüchtung von Getreide
"Die Auslegung läuft eher antragstellerfreundlich. Wo angesetzt werden müsste, ist, dass man das Ding viel mehr aus der Perspektive einer Vorsorge näher betrachtet", sagte Angelika Hilbec von der ETH Zürich im Dlf (imago stock&people)
Unter dem Titel RAGES – Risikoabschätzung von gentechnisch veränderten Organismen in der EU und der Schweiz – untersuchte eine aktuelle Studie die Zulassungsprüfung von Gentechnikpflanzen im Zeitraum 2016 bis 2019. Die Ergebnisse zeigen – so die Autoren –, dass die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, die gesetzlichen Anforderungen an die Zulassungsprüfung von gentechnisch veränderten Pflanzen nicht erfüllen. Beteiligt an der Studie war Dr. Angelika Hilbeck. Sie arbeitet am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich.
Uli Blumenthal: Seit Jahren gibt es ja Kontroversen darüber, ob die Arbeit der EFSA ausreichend ist bei der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen. Warum sind die Standards der EFSA bei der Risikoabschätzung und -bewertung ungenügend?
Angelika Hilbeck: Diese Diskussion gibt es in der Tat seit vielen Jahren – also seitdem ich dabei bin, das sind schon eher Jahrzehnte –, und sie drehen sich im Wesentlichen immer wieder um bestimmte Punkte der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen. Und die verläuft in der Regel von der EFSA aus unserer Perspektive einseitig und ist sehr industriefreundlich. Sie hat immer im Ziel, Anbau oder Zulassung zu ermöglichen, und das geht unserer Meinung nach zulasten der Pflicht, die sie auch hat, den Schutz der Umwelt und der Menschen, die in unseren Augen nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Arbeitsweise der EFSA in der Kritik
Blumenthal: Der Abschlussbericht dieses Projektes bescheinigt ja der EFSA, nicht alle relevanten Risiken werden geprüft, sondern vor allem nur diejenigen, die sich mit möglichst einfachen Mitteln untersuchen lassen. Das heißt also, Sie greifen doch schon direkt die Arbeitsweise der EFSA an.
Hilbeck: Ja, das tun wir, das tun wir auch schon seit sehr Langem. Das ist jetzt nicht das erste Mal, dass wir sie dafür kritisieren und ihre Praxis anklagen und anprangern, weil die Probleme, die wir erkannt haben und die wir sehen, eben einfach nicht geschlossen werden und nicht rigoros angegangen werden, weil dies natürlich dann im Umkehrschluss dazu führen würde, dass die Antragsteller deutlich, ich würde nicht mal sagen umfassendere Tests und Experimente machen müssten, aber sie müssten sie anders machen. Und schon das alleine, da herrscht natürlich auf der Antragstellerseite natürlich eine Verweigerungshaltung, und wir klagen an, dass die EFSA ihr Ohr eher denen leiht als dem Vorsorgeprinzip, das wir eigentlich für das höchste Gut halten.
Portraitaufnahme von Dr. Angelika Hilbeck vom Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich
Dr. Angelika Hilbeck: "Nicht das erste Mal, dass wir die Praxis der EFSA anklagen und anprangern." (Angelika Hilbeck, privat)
Blumenthal: Können Sie mal ein Beispiel geben für diese unzureichende Tiefe bei der Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen, wo Sie sagen, da ist die EFSA – formulieren wir es mal so – zu oberflächlich und industriefreundlich?
Hilbeck: Ja, da kann ich Ihnen mehr wie eins geben, ich würde Ihnen gerne zwei geben, wenn ich darf – das betrifft die beiden gängigen Anwendungen der gentechnisch veränderten Pflanzen, die wir im Moment auf dem Markt haben: Das sind ja einmal die Pflanzen, die resistent gemacht wurden gegen Totalherbizide, und zum anderen Pflanzen, die ein eher bakterielles Insektizid selber produzieren. In der ersten Kategorie, was wir seit Jahrzehnten anklagen und jetzt auch die Auswirkungen davon sehen, ist, dass zum Beispiel bei Herbizid-resistenten Pflanzen die Anwendung und die Konsequenzen, die sich aus der Anwendung des Totalherbizids ergeben, ausgeschlossen werden von der Risikoanalyse der gentechnisch veränderten Pflanzen. Wir haben es hier also mit einer, was wir eine reduktionistische Art und Weise nennen, wie diese Risikoabschätzung gemacht wird.
Da wird dann für die Risikoabschätzung nur die gentechnisch veränderte Pflanze selbst angeschaut, die an sich ein neues Enzym produziert, aber das Risiko entsteht aus dem Gesamtpaket gentechnisch veränderte Pflanze und einseitige übermäßige und eskalierende Anwendung des entsprechenden Totalherbizids. Diese Herbizide werden ja appliziert auf die Pflanze, und die Pflanze nimmt diese Substanzen auf und hat sie jetzt in immer höherem Maße in ihren Ernteprodukten. Und da sehen wir einfach eine Zunahme der Konzentration der Rückstände, die eben nicht entsprechend in der Pestizidregulierung abgeklärt werden. Diesen Reduktionismus, diese Teilung dessen, dass man nur eine Pflanze anschaut, aber nicht das Herbizid dazu, und in der Herbizidzulassung nur eine idealisierte Anwendung von Herbiziden sieht, klafft eine Riesenlücke, die man einfach schließen muss, wenn einem wirklich am Schutz von Tieren, die ja in der Regel diese Futtermittel fressen, oder auch Menschen, die das über die Nahrungskette auch zu sich nehmen. Und die EFSA legt dies nach wie vor eher im Sinne der Antragsteller aus oder versteckt sich auch hinter diesen Gesetzesbestimmungen, sagt, wir dürfen das gar nicht anschauen.
"Aufwandmenge wird geprüft, die nicht der Realität entspricht"
Blumenthal: Aber wenn ich die Risikobewertung sozusagen sehr eng fasse vonseiten der EFSA, dann ermöglicht das ja andererseits auch möglicherweise präzisere Antworten, als wenn ich so weit greife. Also das hat auch Vorteile, wenn ich so ganz konkret die Risiken von gentechnisch veränderten Pflanzen in bestimmten Gebieten untersuche, oder aus Ihrer Sicht doch nicht?
Hilbeck: Natürlich! Es ist sehr praktisch, deshalb macht man es ja auch. Sie können dann das Gesamtrisiko in lauter kleine Einzelteile zerlegen, Sie schauen sich dann die Einzelaspekte entkontextualisiert an, also nicht im Kontext, in dem sie in der realen Welt vorkommen, sondern für sich selber, und gehen dann davon aus, dass Sie am Ende das Gesamtrisiko sich aus der Summe der Teile ergibt. Dem ist aber nicht so. Das kann man so machen, da kann man auch präzise Antworten kriegen, nur die bilden dann nicht die Realität entsprechend ab. Und darum geht es uns.
Beispielsweise werden in Rückstandsbemessungen, was in Pflanzen, Herbizid-resistenten Pflanzen vielleicht übrig bleibt als Rückstand, Feldversuche gemacht, und diese Feldversuche werden aber mit einer Aufwandmenge an Herbiziden gemacht, die vollkommen unrealistisch ist. Wir wissen, dass die Aufwandmenge in der realen Welt ein Mehrfaches von dem ist, und dadurch sind natürlich dann auch die Residuen, die Rückstände in den Pflanzen, ein Mehrfaches. Dennoch wird abgeprüft für die Zulassungsverfahren eine Aufwandmenge, die einfach nicht mehr den Realitäten entspricht.
Blumenthal: Welche Veränderungen, aus Ihrer Sicht, sind denn erforderlich bei der Risikoprüfung von gentechnisch veränderten Pflanzen durch die EU-Kommission oder die EFSA, wo sehen Sie da Ansatzpunkte? Nur die Frage, dass sie zu industriefreundlich ist?
Hilbeck: Na ja, am Ende ist das eben so, die Gesamtabschätzung ist im Sinne der Industrie, die Auslegung läuft eher anwender- und antragstellerfreundlich. Wo angesetzt werden müsste, ist, dass man das Ding viel mehr aus der Perspektive einer Vorsorge näher betrachtet, mit dem Schutzgedanken im Kopf und nicht mit der Ermöglichung und der Zulassungsfreundlichkeit im Kopf. Und wenn Sie die Vorsorge im Kopf haben und sich sagen, wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass uns dort etwas entgeht, dass wir etwas übersehen, dass wir vielleicht eine zu hohe Rückstandsmenge für unbedenklich erklären, als sie es tatsächlich ist, dann stellen Sie andere Fragen, und dann schauen Sie die Dinge auch eher mit anderen Perspektiven an, also beispielsweise in ihrer Kombination.
Das wäre ja der nächste Punkt, den wir beklagen, dass diese Pflanzen heute ja längst nicht mehr nur als Einzelgenpflanzen vorkommen, sondern dass diese unterschiedlich gentechnisch eingeführten Eigenschaften kombiniert sind. Das heißt, Sie haben heute Pflanzen, die produzieren mehrere bakterielle Insektengifte und sie sind resistent gegen ein, zwei oder drei Totalherbizide, das heißt, Sie haben dort ein Rückstandspotpourri in den geernteten Produkten, und die müssten eigentlich in ihrer Kombination abgeprüft werden. Werden sie aber nicht, sie werden immer noch maximal, wenn überhaupt, einer Einzelsubstanzprüfung unterzogen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.