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Gentleman
"Musik besteht aus Spirit"

Anfang der Nullerjahre sorgte Tilmann Otto alias Gentleman hierzulande mit Songs wie "Superior" für eine regelrechte Reggae-Welle. Mit der Retrospektive "The Selection" blickt der 42-Jährige jetzt auf sein bisheriges Schaffen zurück. Im Dlf spricht der Kölner über den Geist des Reggae und die Kollaboration mit einer Dancehall-Legende.

Tilmann Otto alias Gentleman im Gespräch mit Christoph Reimann |
    Tilmann Otto alias Gentleman (Bild: Kerstin Janse)
    Tilmann Otto alias Gentleman (Deutschlandradio/Kerstin Janse)
    Christoph Reimann: Die erste Platte, die erschien vor 18 Jahren und seitdem sind Sie ja ziemlich gut im Musikgeschäft. Und das ist eine Karriere, eine lange Karriere, die einfach nicht vielen vergönnt ist. Wenn Sie zurückblicken: Überrascht Sie das manchmal, dass es so lange so gut läuft?
    Tilmann Otto: Ich weiß nicht, ob Überraschung das richtige Wort ist, weil ich ja sehr langsam und stetig darin gewachsen bin und das nicht über Nacht kam. Ich glaube, das Wort, was es am ehesten beschreiben würde, wenn ich zurückblicke, ist Dankbarkeit. So, dass das schon so lange geht und ich find es immer wieder surreal auch zu sehen, wie weite Kreise das mittlerweile gezogen hat und an wie viele Orte ich mit der Musik gekommen bin.
    Reimann: Nicht nur in Deutschland, auch anderswo.
    Otto: Ja.
    "Musik ist eine Art von Therapie"
    Reimann: Und diese Dankbarkeit, tja, wie erklären Sie sich den Erfolg? Haben Sie dafür eine Antwort gefunden?
    Otto: Ich stelle mir die Frage gar nicht, mir das erklären zu können. Ich glaube, das interessiert mich auch gar nicht so. Ich versuche eher, meinem Bauch zu folgen, meiner inneren Stimme zu folgen und ich mache einfach unglaublich gerne Musik so. Das spiegelt ja ganz viel wider, es ist ja nicht nur, dass Du einen Song machst, sondern es ist ja wirklich was … Das hat a) eine Art von Therapie, einen Gedanken, ein Gefühl manifestieren zu können, zum anderen ist es Völkerverständigung, es ist so breit gefächert. Und dann kommt das Livespielen dazu und das Reisen und das Menschentreffen und das heißt, Du bist die ganze Zeit in so einem Fluss drin. Und deswegen werde ich anscheinend nicht müde. Ich glaube, Du blickst nur dann zurück, wenn Du anfängst, müde zu werden.
    Reimann: Musik als Therapie, haben Sie grade angesprochen. Haben Sie dafür ein Beispiel? Ein Stück, das Sie geschrieben haben, das Ihnen wirklich geholfen hat?
    Otto: Ich glaube, das hilft mir die ganze Zeit, um besser klarzukommen, um einfach in meinem Zentrum zu bleiben …
    Reimann: Aber womit hadern Sie?
    Otto: Was heißt, womit ich hadere? Also, ich weiß nicht, ob ich hadere. Ich bin eher nicht so der Mensch, der groß darüber nachdenkt, wenn er Musik macht. Ich glaube eher, es ist einfach irgendwo auch ein positiver Automatismus, der stattgefunden hat. So wie das Essen und das Schlafengehen muss ich Musik machen. Und wenn ich das nicht tue oder wenn mir auffällt, dass ich länger keine Musik gemacht habe oder kein Konzert gespielt habe, dann fange ich an zu hadern mit mir selber. Weil ich einfach mich einfach irgendwie unwohl fühle, so. Und ich weiß wenig mit mir anzufangen. Und in dem Moment, wo ich im Musikmachen bin – was ja immer was sehr Momentanes auch ist, Musik machen heißt ja: im Moment zu sein. Ich glaube, es gibt nichts, was so direkt in die Birne geht. Weil es gibt nicht das Morgen und das Gestern – es gibt nur diesen Moment des Musikmachens. Und der hält einen einfach sehr lebendig so.
    Überspielung oder positiver Automatismus?
    Reimann: Konzerte haben Sie auch gerade eben angesprochen. Was ja auffällt: Dass Sie jetzt diese ganzen großen, im deutschsprachigen Raum, diese Festivals nicht mitmachen. Sie sind erst dann im November, glaube ich, wieder hierzulande zu sehen. Woran liegt das? Denn eigentlich … diese Festivals sind einfach für Musiker inzwischen eine riesen Einnahmequelle.
    Otto: Ich habe sie ja letztes Jahr gespielt und vorletztes Jahr, als das Album rausgekommen ist. Mit Ky-Mani Marley haben wir, mehr oder weniger, die ganzen großen Dinger abgegrast. Ich habe aber das Glück und das Privileg, dass ich so international spiele. Es ist immer auch die Gefahr der Überspielung, wenn ich jetzt jedes Jahr auf den selben Festivals spielen würde, was ich ja auch nicht kann, weil das nicht im Interesse des Promoters ist. Dann kennt man es irgendwann. Und ich glaube, es ist ganz wichtig, auch sensibel genug zu sein, sich nicht zu überspielen und zu gucken: Ich habe in Deutschland in den letzten Jahren viel gespielt, jetzt lege ich den Fokus eher auf Frankreich und mache in Deutschland eher mal eine Pause.
    Reimann: Einer Ihrer größten Hits – wenn nicht der größte Hit – ist "Superior". Ich nehme an, das ist der Song, den wollen doch dann immer wieder alle Leute hören, auf den Konzerten. Wie fühlt sich das für Sie an? Ist das für Sie nicht vielleicht ein bisschen überspielt?
    Otto: Nee, ist es nicht. Weil in dem Moment, wo der Song gewünscht wird, ist auch eine gewissen Dankbarkeit da. Und dann ist es immer wieder frisch. Also ich kann tatsächlich auch an andere Dinge denken, während ich den Song performe – das ist bei neuen Songs nicht so.
    Reimann: Das hört sich nach Autopilot an.
    Otto: Ja, aber es gibt auch einen – das habe ich vorhin ja auch gesagt – so einen positiven Automatismus. Das heißt, ich kann mich komplett auf die Leute einlassen. Ich kann wirklich mit den Leuten kommunizieren, während ich singe. Ich kann irgendwie jemand auf die Bühne holen, der die Strophe für mich singt und so. Ja, es ist einfach ein positiver Automatismus. Aber ich glaube, es wäre viel verwerflicher, die Songs jetzt nicht zu spielen, nur weil ich davon müde bin. Aber man muss sich immer vor Augen halten, dass die Zuschauer den Song ja nicht so oft gehört und gesungen haben.
    "In Kingston komme ich eher ans Ziel"
    Reimann: Wir haben gerade schon ein bisschen gesprochen über Erfolg im Ausland. Sie reisen regelmäßig nach Jamaika. Ich glaube, mit 17 Jahren waren Sie zum ersten Mal da?
    Otto: Mit 18!
    Reimann: Mit 18. Und dann machen Sie auch da Musik tatsächlich? Nicht nur zum Urlaub machen?
    Otto: Nee, also Jamaika ist nicht unbedingt das Land, wo ich jetzt Urlaub machen würde. Ich mache immer – oder Urlaub finde ich auch so ein komisches Wort – aber ich fahre immer gerne in Länder, die ich noch nicht kenne. Jamaika ist aber das Mutterland von der Musik, zu der ich mich so hingezogen fühle. Und Kingston ist einfach eine Stadt, wo eine unglaubliche Kreativität und ein unfassbarer Input auch ist – und wo ich eher ans Ziel komme, als wenn ich bei mir im Studio bin.
    Reimann: Was bedeutet das, das Ziel?
    Otto: Ja, dass ich weniger nachdenke, dass ich intuitiver handele, dass ich umgeben bin, von ganz vielen Produzenten, anderen Künstlern, anderen Musikern, die auch alle ihrem Bauchgefühl folgen. Und hier ist dann oft eher der Zweifel, weil einfach das Feedback so ein bisschen fehlt.
    Reimann: Weil die Reggae-Szene vielleicht auch zu klein ist in Deutschland?
    Otto: Ja, wenn es überhaupt eine gibt.
    "Der kölsche Jung singt in Patois"
    Reimann: Und wie hat man Sie da aufgenommen, in Jamaika? Ich meine, Sie, der weiße Deutsche, der dann auch mal Reggae versuchen wollte.
    Otto: Ich glaube, so mit 18 ist man in so einer gewissen Naivität drin, die einem auch hilft so. Ich glaube, ich würde manche Sachen von damals gar nicht mehr machen so. Und ich glaube, das hilft einem, dieses Jungsein und nicht groß nachdenken, sondern einfach seiner Leidenschaft zu folgen. Wenn ich jetzt rückblicke und mir auch so Videoaufnahmen – die wenigen, die es von damals noch gab – dann finde ich das auch ganz schön bizarr und surreal. Und kann es mir manchmal gar nicht erklären, warum jetzt der kölsche Jung nach Jamaika fliegt und dann in jamaikanischem Patois singt. Und dann wird es noch bizarrer: Dass es dann auch noch erfolgreich ist so. Und da hört es dann auch bei mir auf. Sondern, ich glaube, es ist ganz wichtig, immer auch das richtige Team um sich zu haben – und das ist in Jamaika. Ich habe da Songwriter, Produzenten, andere Künstler, die mich unglaublich inspiriert haben und inspirieren. Und dementsprechend bin ich in so einem Fluss drin, wenn ich in Kingston bin.
    "Wir sind auf einer Wellenlänge"
    Reimann: Was sehr beeinruckend ist: Auf dieser Best-Of-Platte ist ein Song, den haben Sie gemacht zusammen mit Sean Paul, also einer Dancehall-Größe. Wie war die Zusammenarbeit?
    Otto: War gut!
    Reimann: Und man trifft sich wirklich? Oder schickt man da nur so mp3-Files hin und her?
    Otto: Nee, wir haben uns ja oft … Ich kenne ihn ja schon ewig, wir haben damals eine Tour gehabt, 2001, eine Soundsystem-Tour, also eine Tour mit DJ und nicht mit einer Band. Und haben uns da kennengelernt und sind uns immer wieder, auf allen möglichen Festivals der Welt über den Weg gelaufen. Und wir respektieren uns menschlich und auch musikalisch. Er ist einfach ein sehr, sehr am Boden gebliebener, sympathischer, empathischer Mensch, der unglaublich erfolgreich ist und ich habe irgendwann, als es darum ging, zwei exklusive Songs für meine Best-Of zu suchen … Wen könnte ich denn da fragen? Und was will ich für einen Sound haben? Ich wollte so eine Dancehall-Nummer haben, habe in mein Telefonbuch geguckt und hatte seine Nummer noch. Ich hab ihn angerufen und es war ganz unkompliziert. Er sagte: Sehr gerne. Ich habe ihm den Song geschickt und er hat – in Kanada, glaube ich – dann aufgenommen und mir die Files zurückgeschickt. Also wir haben es nicht zusammen im Studio aufgenommen, aber dadurch, dass wir uns kennen und auf einer Wellenlänge sind, war das auch relativ unkompliziert.
    Reimann: Es gibt ja recht viele dieser Feature-Songs jetzt auf dem Best-Of "The Selection". Von Tanya Stephens bis Udo Lindenberg ist eigentlich alles dabei. Wie kommen diese Zusammenarbeiten zustande? Ist das … Ich dachte mir, vielleicht ist das auch ein bisschen willkürlich: Udo Lindenberg?
    Otto: Willkürlich ist, finde ich, Willkür finde ich schön so. Ich glaube, was man nicht so machen kann und sollte ist: den Masterplan haben. Sondern das ist was, was oft sehr spontan entsteht. Und es passiert so gegenseitig. Ich glaube nicht, dass das so ein Ding ist: Ich will jetzt mit dem Typen oder mit der Dame einen Song machen – und dann passiert das. Sondern es muss wirklich auf einer ganz natürlichen Ebene passieren. Und so ist es immer passiert. Und ich bin generell jemand, der einfach gern mit anderen Menschen zusammenarbeitet, zusammen singt, zusammen produziert. Mit allen, mit denen ich einen Song zusammen gemacht habe, ist auch ein freundschaftliches Verhältnis. Das ist ganz, ganz wichtig. Es gibt viele, die ich musikalisch respektiere, menschlich aber vielleicht nicht so riechen kann. Und dann macht es auch keinen Sinn, da eine Kollabo anzustreben.
    "Die Suche nach sich selbst"
    Reimann: Sie haben gesagt in einem Interview: "Im Reggae gibt es eine zentrale Botschaft, die sich nicht verändert. Eine Philosophie, eine Einstellung zum Leben." Was ist das in Ihren Augen?
    Otto: Ich glaube, das ist – was auch in der Rastafari-Bewegung immer groß geschrieben wird – die Suche nach sich selbst, um es mal einfach auszudrücken. Eben versuchen, ein besserer Mensch zu sein, bewusster zu leben. Und ich finde auch, das Spirituelle wird immer so … Das ist ja spirituell. Ich glaube, wenn wir nicht spirituell wären, könnten wir überhaupt gar keine Musik machen, weil Musik aus Spirit besteht und so. Aber es hat für mich immer eine große Anziehungskraft gehabt, so ein Text von Bob Marley, von Peter Tosh, Jacob Miller, Garnett Silk, also Musik, die eine universelle Botschaft hat, womit sich viele identifizieren können. Und dann gibt es natürlich das Spezifische, das Rastafari-Ding, womit ich mich nicht immer hundertprozentig identifizieren kann. Aber ich strebe immer eher danach, mich an den Gemeinsamkeiten festzuhalten und nicht an den Unterschiedlichkeiten.
    Reimann: Sagt Tilmann Otto alias Gentleman. Vielen Dank für das Gespräch!
    Otto: Danke für das Interesse!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.