Archiv

Gentrifizierung in Berlin
Von Mieterfrust und Straßenschlachten

"Bambiland", so hieß ein unbebautes Grundstück in Berlin-Friedrichshain, das viele Jahre von der linken Szene genutzt wurde. Inzwischen sind dort Eigentumswohnungen entstanden. Weil Linksautonome immer wieder randalieren, muss das Gelände inzwischen bewacht werden. Politiker und Anwohner suchen nach einer Balance zwischen Verdrängung und Veränderung der Stadtteile.

Von Thomas Weinert |
    Polizisten vor einem Haus mit Graffiti
    Polizisten vor der Rigaer Str. 94 in Friedrichshain: Das besetzte Haus und der illegale Räumungsversuch hätten das Thema "Verdrängung" auch in der radikalen Szene wieder in den Mittelpunkt gerückt, berichten Anwohner. (imago / Christian Mang)
    "Der Besprechungspunkt gemäß 21 Absatz 3 Rigaerstraße auf Antrag Fraktion von Bündnis 90 Die Grünen, Fraktion Die Linke und Piratenfraktion..."
    Abgeordnetenhaus von Berlin am 21. Juli des letzten Jahres. Innenausschuss. Dauer der Aussprache: Drei Stunden! Thema: Ein aus Sicht der Opposition unangemessener Polizeieinsatz im Sinne der Gentrifizierung. Definition laut Duden:
    "Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird."
    Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, schimpfte damals:
    "Der Anlass war die Räumung der Rigaer Straße 94 am 22. Juni. War das richtig, dass die Polizei ohne Rechtsgrundlage dort geholfen hat? Die politisch wichtigste Frage für meine Fraktion ist natürlich, und ich glaube, da sind wir uns wohl alle relativ einig: Wie man den Konflikt in der Rigaer Straße nachhaltig befrieden kann. Wie man dafür sorgt, dass die Sympathiestraftaten mit der Rigaer 94 endlich aufhören, dass deeskaliert wird und dass man sich nicht gegenseitig weiter aufputscht."
    Nach einem Sondereinsatz der Berliner Polizei zur Räumung eines besetzten Hauses im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg machten die Oppositionsparteien nun parlamentarisch Front gegen die Gentrifizierung in der Hauptstadt. Im Mittelpunkt der Kritik: der damalige Innensenator der CDU, Frank Henkel. Er habe mit Polizeigewalt das zu korrigieren versucht, was die Stadtentwicklungspolitik versäumte: In Zusammenarbeit mit den Bezirken nachhaltige und abgestimmte Bebauungspläne zu entwickeln, Schulen und Kitas gleichberechtigt neben Luxusobjekten, bezahlbare Mieten gleichberechtigt neben Umwandlungen in Eigentum.
    "Ich sage Ihnen aber auch, was mich sehr gestört hat...(Zwischenruf)…das waren die Äußerungen am Einsatztag selbst am 22. Juni. Ich habe als oberster Dienstherr in der Tat ein Problem damit, wenn Abgeordnete rumlaufen und erzählen, der Innensenator lasse jetzt seinen Frust in der Rigaer Straße aus…"
    Hubschrauber über dem Kiez
    Sympathiestraftaten? Frust auslassen? Für die Menschen, die in der Rigaer Straße wohnen, sind das Begriffe, die zu harmlos klingen. Sandra Knape, die die Hubschrauber über ihrem Kiez hat kreisen sehen, spricht von beängstigenden Szenen…
    "Wir müssen sagen, dass die Eskalation entstanden ist mit dem damaligen Polizeieinsatz unter Herrn Henkel, der hier in einer Art und Weise, mit Hundertschaften muss man sagen, unverhältnismäßig versucht hat, ja auch illegal, eine Räumung durchzuführen in einem Verhältnis, dass, ja schon krankhaft war und daraufhin natürlich sich eine Front gebildet hat und das Thema Verdrängung wieder massiv in den Mittelpunkt gerückt hat, auch in der radikalen Szene, sodass wir dann plötzlich mit unserem Neubau, der dann natürlich sichtbar war zu diesem Zeitpunkt, auf einmal eine sehr einfache Angriffsfläche waren."
    Sandra Knape lebt schon seit vielen Jahren in Friedrichshain. Weil sie die hohen Mieten nicht mehr zahlen wollte, hat sie mit Nachbarn eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet und quasi in Eigenverantwortung ein Mehrfamilienhaus in der Rigaer Straße gebaut. Ein Großteil der mehr als 40 Wohnungen wird derzeit nach und nach bezogen. Und ausgerechnet dieses Gebäude - vor einer ehemals ungenutzten Brache und als schlichter Lückenschluss zwischen Vorderhäusern - ist nun Zielscheibe von gewaltbereiten Gentrifizierungsgegnern. In den Fenstern der unteren Stockwerke sind große und kleine Löcher zu sehen, das Haus wurde beschossen mit Steinschleudern und als Waffen umgebauten Feuerlöschern. Nach dem erwähnten Großeinsatz der Polizei im vergangenen Jahr zur Räumung des Hauses schräg gegenüber zielen sogenannte Linksautonome nun direkt auf die, die man in normalen Gegenden Nachbarn nennt. Auch selbstgebastelte Bitumenbomben kommen zum Einsatz.
    "Das hier ist alles Bitumen…."
    Frage Autor: "Das kriegt man nicht mehr weg?"
    "Ne, das kriegt man nicht mehr weg."….
    Der schwarze Teer an den frisch gestrichenen Hauswänden sieht ähnlich bedrohlich aus wie die Löcher in den Fenstern. Sandra Knape, eine freundliche, zierliche blonde Frau, bleibt dennoch gelassen, wenn sie auf die vielen bunten Flecken schaut, die Farbbeutelattacken auf der Fassade hinterlassen haben.
    "Also die Farbdinger stören uns ja gar nicht, wir haben kein Problem damit. Aber ich meine, das ist echt Zerstörung."
    "Bambiland" hieß dieses Eckgrundstück früher im Kiez. Es war lange ein eingezäuntes Stück Brache mit Sträuchern. Im Nachbarhaus, das ebenfalls neu auf "Bambiland" errichtet wurde, sind vor einigen Monaten Vermummte in die Tiefgarage eingedrungen und haben Autos beschädigt. Auf die Wände sprühten sie "Eat the Rich!"
    Rund-um-die Uhr Bewachung der Baustelle
    "Reich" seien sie nun wirklich nicht, sagt Knape. Die Zinsen seien eben niedrig derzeit und Bauen im Kiez sei besser als Miete zahlen. Wohnraum weggenommen hätten sie auch niemandem, ganz im Gegenteil, hier wurde Wohnraum geschaffen. Wegen der Attacken in der Nachbarschaft habe nun aber die Versicherung eine Rund-um-die Uhr Bewachung ihrer Baustelle gefordert: eine zusätzliche finanzielle Belastung für die Familien, die hier bereits leben oder bald einziehen wollen. Und auch die Sicherheitsleute sind bereits zur Zielscheibe von weiteren Angriffen geworden. Diese Spirale der Gewalt scheint niemand stoppen zu können.
    "….Aufruhr….ej Leute, Lautstärke ist kein Argument …. Lasst ausreden….bringt sonst nichts…. Ich habe gefordert, dass man endlich plant!"
    Auch bei einer Bürgeranhörung zu den Neubauprojekten in der Rigaer Straße hat sich Sandra Knape zu Wort gemeldet. Eingeladen hatte der neu ins Amt gewählte Bezirks-Baustadtrat Florian Schmidt von Bündnis 90/Die Grünen. Der Tagesspiegel zitiert ihn jüngst mit der Frage: "Wie kaufen wir Friedrichshain-Kreuzberg zurück?" Doch auf der Veranstaltung erhitzen sich die Gemüter der Anwohner, als Schmidt zugeben muss, dass in der Vergangenheit die Entscheidungen aus dem Senat stets über denen aus den Bezirken standen. Die Bezirke müssten zu neuem Selbstbewusstsein finden in Fragen der Stadtentwicklung und sich deutlicher zu Wort melden bei absehbaren Fehlentwicklungen. "Ja, das ist schon gut", sagt Knape über die Veranstaltung. Aber der Baustadtrat sei leider auch sehr schlecht informiert gewesen über die Details der Projekte.
    Auch Inka Burckhardt, eine Nachbarin von Sandra Knape, hat sich ganz bewusst entschieden für dieses Neubauprojekt….
    "…weil mir auch das Projekt an sich von der Bauart gut gefallen hat und ich das Gefühl hatte, das kann auch ein guter Anfang werden für eine Straße, in der Häuser luftig frei stehen. Denn dieses Projekt bedeutet, dass man hier nirgends mehr weiter im Hof oder irgendwo was verbauen kann. Was im Moment eben sehr viel passiert auch um uns hier herum."
    Demonstration gegen die Räumung eines besetzten Hauses in der Rigaer Straße in Berlin Friedrichshain am 9. Juli 2016.
    Am 9.Juli 2016 nahmen in Berlin Friedrichshain mehrere hundert Menschen an einer Demonstration gegen die Räumung eines besetzten Hauses in der Rigaer Straße teil. (dpa / Maurizio Gambarini)
    Sie habe sogar Kontakt aufgenommen zu einer Anti-Gentrifizierungsinitiative, "Nordkiez Lebt!". Doch zunächst erzählt sie von Nachbarn, dass diese…
    "…von Freunden gehört haben, dass sie nicht zu Besuch kommen wollen, weil sie Angst haben hier zu parken. Nach den Vorfällen in der Tiefgarage und auch nach der Nacht vor einigen Monaten, Wochen."
    "Das hat ja auch was zu tun mit Kommunizieren, also den Leuten erklären, warum sie hier sind, wo der Unterschied ist, ich sage jetzt mal, zu diesem Investorenbild, das sie offensichtlich haben?"
    "Ja, ich habe den Kontakt aufgenommen, weil ich daran interessiert bin in einer Straße zu wohnen, in der ein intaktes Milieu wieder aufgebaut wird, weil ich ja weiß, dass das Milieu zurzeit ziemlich gestört ist , habe ich diesen Kontakt aufgenommen, um auch zu sagen, ich bin bereit hier auch gegen Gentrifizierung mitzuwirken, weil ich eben in dieses Projekt gezogen bin, wo nichts abgerissen werden musste, ganz bewusst."
    Vermummte und gewaltbereite Gentrifizerungsgegner haben kurz nach dem Interview mit Sandra Knape und Inka Burkardt wieder in der Rigaer Straße zugeschlagen und verletzten Zivilfahnder der Polizei. 40 Einsatzkräfte waren schließlich nötig, um die Lage wieder zu beruhigen. Anklagen wegen Landfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung folgten. Auch am vergangenen Wochenende wurde es wieder gewalttätig in der Rigaer Straße in Friedrichshain.
    "Muss ich leider bejahen."
    Antwortet dann auch Katrin Lompscher, linke Bausenatorin von Berlin, als sie von den Kollegen des RBB gefragt wird, ob sie inzwischen von Begriffen wie Millieuschutzgebieten, Vorkaufsrechten oder Modernisierungsumlagen träume? - Millieuschutzgebiet? Warum ist denn das ein Thema in Berlin?
    "Berlin ist, im Gegensatz zu vielen anderen Metropolen, einkommensarm und das macht die Sache besonders schwierig. Also wenn wir hier besser bezahlte Jobs hätten, wenn wir hier höhere Renten hätten, dann könnten wir auch mit dieser Mietentwicklung sozusagen ein bisschen entspannter umgehen. Ist aber nicht."
    Und zwar nicht erst seit neuestem. Um gewisse Milieus zu schützen – und da geht es durchaus nicht um die reichen - ist in so genannten Millieuschutzgebieten die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen genehmigungspflichtig, ebenso wie die Nutzungsänderung von Gebäuden. Außerdem kann das Land Berlin von einem Vorkaufsrecht bei Immobilienverkäufen Gebrauch machen, um aus Spekulationsblasen etwas die Luft rauszunehmen. Das Problem bisher war allerdings: Es fehlte der Wille zur praktischen Umsetzung, insbesondere in den Bezirken. Daher will Lompscher zum einen die für Stadtentwicklung zuständigen Abteilungen dort personell verstärken …
    Wohnungsmieten um zehn Prozent gestiegen
    …zum anderen auch den inhaltlichen Austausch fördern, für bestimmt Dinge Handreichungen machen. Aktuelles Beispiel ist: Wie nimmt man das Vorkaufsrecht konkret wahr? Friedrichshain-Kreuzberg hat da die ersten Erfahrungen gesammelt"…
    … indem zum Beispiel das "Neue Kreuzberger Zentrum" am Kottbusser Tor an die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag verkauft wurde und nicht an einen privaten Investor. Die Stadt hatte ihr Vorkaufsrecht ausgeübt bei solchen Objekten des sozialen Wohnungsbaus. Das juristische und planerische Know-How, das ein Bezirk für die Anwendung eines solchen Vorkaufsrechtes benötige, gelte es nun an andere Bezirke in Berlin weiterzugeben, betont die Senatorin.
    "Hier entstehen exklusive Eigentumswohnungen" steht auf einem Werbebanner im Bezirk Mitte in Berlin.
    Immer mehr unbezahlbarer Wohnraum in Berlin? Innerhalb von zwei Jahren stiegen die Mieten um zehn Prozent. Bei Gewerbemieten war es manchmal eine Verdoppelung. (picture alliance / dpa / Foto: Wolfram Steinberg)
    Auch die drastische Erhöhung der Zweitwohnungssteuer oder die Durchsetzung des Zweckentfremdungsverbots sind aktuelle berlintypische Maßnahmen, um mehr bezahlbare Wohnungen in den Markt zu bringen. So will Katrin Lompscher verhindern, dass sich finanzkräftige Nicht-Berliner immer breiter machen in der Stadt und Touristen in vermieteten Privatwohnungen übernachten.
    Der neue Mietspiegel von Berlin dokumentiert das Dilemma: Um zehn Prozent stiegen Wohnungsmieten innerhalb von nur zwei Jahren, bei Gewerbemieten ist auch schon mal glatt eine Verdoppelung der Mieten drin.
    "Also, wir müssen zwei Dinge tun. Zum einen die Umsetzung verbessern, dessen, worauf wir hier in Berlin Einfluss haben. Und wir müssen zweitens natürlich auch immer wieder politisch den Finger da in die Wunde legen, da wo wir an bundesgesetzliche Grenzen stoßen."
    Einen solchen Vorstoß im Bundesrat macht nun Lompschers Kollegin Ramona Pop, die neue Wirtschaftssenatorin von Bündnis 90/Die Grünen. Sie will das Gewerbemietrecht strengeren Regeln unterwerfen und somit auch kleinen Geschäften oder privaten Kitas beim Thema Gentrifizierung zur Seite stehen:
    "Herr Weinert: Frau Pop!"
    Die Jüngste aus der neuen rot-rot-grünen Senatsriege ist eine freundliche, zugewandte Politikerin und antwortet sofort mit dem Koalitionsvertrag auf die Frage, warum nun just aus Berlin eine Bundesratsinitiative kommt zu einer Reform des Gewerbemietrechts. Stichwort: Wachsende Stadt. Jährlich wächst Berlin um rund 60.000 Einwohner.
    "Die wachsende Stadt braucht Flächen für Wohnungsbau, aber eben auch für Gewerbe und da wollen wir die Flächen, die wir für Gewerbe haben in der Stadt auch sichern, weil Gewerbe eben auch wirtschaftliche Dynamik bedeutet natürlich. Und auf der anderen Seite sehen wir eben, dass das Gewerbemietrecht, gerade, wenn eine Stadt wächst und wenn es enger wird, nicht den notwendigen Schutz bietet."
    Geschichten von der kleinen Näherei, die sich die Mieten in einer Neuköllner Einkaufsstraße nicht mehr leisten kann, der Blumenladen in Schöneberg, der der zigsten Kneipe weichen muss; Geschichten wie diese rufen immer wieder Bürgerinitiativen und Nachbarschaftsvereine auf den Plan, die sich gegen diese Art der Verdrängung und Veränderung ihrer Stadtteilstruktur wehren. Berlins Stadtteile – die Kieze – gelten als sehr spezifisch und eigenständig in ihrem Charakter, aber als Ganzes ist Berlin dann doch vergleichbar mit Hamburg, Leipzig, Stuttgart und München:
    "Ich glaube, das Berliner Problem ist ein Problem, dass alle deutschen Großstädte inzwischen haben. Was wir auf dem Wohnungsmarkt erlebt haben, erleben wir jetzt auch ein Stück weit auf dem Gewerbemietmarkt."
    Verdrängung und Zurückdrängung
    Da die Regelungen des Milieuschutzes beim Thema Gewerbe nicht greifen, will Berlin sich nun bundesweit Bündnispartner suchen für eine angepasste Gesetzgebung. Und diese Partner zu finden verspricht sich Ramona Pop nicht nur auf den Parteischienen, sondern durch gemeinsame Interessen der großen Städte:
    "Gerade die Großstädte kennen die Problematik, sie kannten es eben auf ihrem Mietmarkt, was die Wohnungen angeht. Und das kennen sie inzwischen auch auf dem Gewerbemietmarkt. Alle Phänomene, die wir gerade hier auch beschrieben haben, Verdrängung, Zurückdrängung auch von Gewerbeflächen. Und insofern hoffe ich da auf Bündnisse mit anderen Großstädten. Davon gibt es ja einige in Deutschland und zwar parteipolitisch unterschiedlichster Couleur. Und es wäre auch gut, wenn die Bundesregierung, ganz gleich, welche Farbe diese hat, sich auch der Probleme der Großstädte annehmen würde."
    Berlin hinkt anderen deutschen Städten beim Thema Gentrifizierung um Jahre hinterher, etwa in dem Ausmaß, wie die so genannte Immobilienblase brauchte, um sich auch in der Hauptstadt aufzupumpen. Was München, Stuttgart, Frankfurt und Hamburg schon hinter sich haben, das greift jetzt auch an der Spree: Die steigenden Immobilienpreise verführen zur Spekulation und vertreiben Menschen aus ihren angestammten Wohngebieten. Jan Hebecker dazu, Chefanalyst bei Immobilienscout 24 und Klaus Peter Hesse vom Zentralen Immobilienausschuss:
    "Wenn wir die Preise beobachten in den Großstädten, dann ist es tatsächlich so, dass es Überhitzungen gerade bei den Neubauten nach meiner Einschätzung nach gibt oder bei den in den letzten fünf Jahren gebauten Wohnungen, die so einen neuen Standard haben. Wenn ich vor 2010 gebaut habe, dann kann ich heute fast das Doppelte dafür bekommen."
    "Also es ist richtig, dass es in einzelnen Segmenten nur noch gewisse Mietsteigerungen geben wird. Der Markt wird sich weiter anpassen und wird weiterhin gucken, wie die Bedarfe gedeckt werden. Aber ich sehe darin derzeit kein Problem. Im Grundsatz gehen wir davon aus, dass es auch in den nächsten Jahren weiterhin Nachfrage nach Immobilien in den Metropolregionen geben wird."
    "Wieviel soll ich denn verdienen, dass ich das bezahlen kann? Das ist doch übertrieben, damit fang ich gar nicht an. Immer immer mehr wollen Vermieter sanieren. Da ist es klar, dass Menschen ohne Kohle verlieren…"
    Fee sieht so aus, wie sie heißt: sehr freundlich. Bunte Haare, ein Lächeln im Gesicht. Wieder einmal ist Straßenfest vor ihrem Haus, Friedelstraße 54, Neukölln. "Friedel54" heißt im Erdgeschoss ihr Kiezladen. Ende des Monats droht die Räumungsklage durch einen Investor aus Luxemburg.
    …Bah!"
    Fee macht auch akustisch was her. Als die Musikanlage für ihren Rap ausfällt, da muss es auch a capella gehen. Immer wieder treffen sich Aktivisten mit Nachbarn und Demonstranten aus der ganzen Stadt vor dem Ladengeschäft, um Widerstand zu zeigen:
    "Heute machen wir eine Kundgebung hier, weil wir wollen nicht raus. Wir wollen hier bleiben. Wir sind ein soziales Zentrum, ein Kiezladen für die Nachbarschaft. Wir wollen, dass das weiterhin bestehen bleibt, weil das ein Anlaufpunkt ist."
    Der Kiezladen: Jeder gibt, was er kann
    Luise wohnt in dem Haus, in dem unten Fees Kiezladen ist. Als sie mit dem Hund spazieren geht, erzählt sie von den Holzdrucktechniken, die man dort lernen kann und von dem Essen, dass gekocht wird für die Nachbarn, die nicht so viel Geld haben. Jeder gibt, was er kann. Ein soziales Projekt eben. Luise ist nicht betroffen von der Räumung, es gehe nur um die Gewerberäume im Erdgeschoss. Der Vermieter habe vor einem Jahr gewechselt ….
    "… und da war besonders bei den älteren Wohnungen bisschen das Problem, dass die Erneuerungen machen wollten und dass die Preise relativ hoch gegangen sind."
    Was sind das für Leute, die diesen Kiezladen betreiben?
    "Das sind sehr nette Leute. Ich weiß wirklich nicht, was da so das Problem mit denen sein soll, weil negativ sind die mir nie aufgefallen. Was ich jetzt mitgekriegt habe, sind viele Runden durch die Mieter, …. Wir können da einmal durch den Park gehen, der Hund kommt mit."
    Und wie solidarisch ist die Hausgemeinschaft?
    "Sehr viele sind da aktiv mit beteiligt, auf jeden Fall. Zwei, drei aus dem Haus betreiben diesen Laden ja auch mit anderen zusammen und im Prinzip wüsste ich jetzt spontan niemanden in diesem Haus, der wirklich was gegen diesen Laden hätte oder sagen würde: ja, der soll raus!"
    "Haben Sie Angst vor so Zuständen wie in der Rigaer Straße, also wo ja wirklich massiv dann Polizei geräumt wurde und es auch gewalttätig wurde?"
    "Ne, eigentlich nicht."
    Vor der geplanten Räumung Ende des Monats planen die Betreiber von Friedel 54 wieder ein Straßenfest, wieder soll die Nachbarschaft zur Rettung des Projektes aktiviert werden. Ob es dabei ruhig bleiben oder zu Gewalt kommen wird wie in der Rigaer Straße, das weiß keiner. Aus dem Senat war zu hören, es gäbe einen letzten Vermittlungsversuch durch die Politik.
    Kann Stadtentwicklungspolitik die Auswüchse der Gentrifizierung korrigieren? Helfen Millieuschutzprogramme, Vorkaufsrechte der städtischen Wohnungsgesellschaften oder auch strengere Regeln im Gewerbemietrecht?
    Das wäre dann die Aufgabe von Katrin Lompscher. Als sie Anfang des Jahres zur Stadtentwicklungssenatorin ernannt wurde, da hieß es, sie habe jetzt ihren Traumjob - eine Einschätzung, die sie auch im persönlichen Gespräch bejaht. Für was wird sie sich in der laufenden Legislaturperiode besonders engagieren?
    "Insbesondere dafür, dass es eine Stadt für alle bleibt. Das ist mir wirklich wichtig und wenn ich sehe, wie sich die Stadt entwickelt hat, gerade jetzt in den letzten Jahren, wo so der Zuzug und der Boom die kapitalistischen Züge der Stadtentwicklung verstärkt – kann man ja auch mal beim Namen nennen – da habe ich das Gefühl, wir haben eine große Aufgabe und dieser Aufgabe stelle ich mich gern."
    Und was erwartet Sandra Knape von der Eigentümergemeinschaft in der Rigaer Straße von einer jetzt eher linken Stadtentwicklungspolitik? :
    "Also ich denke, wir haben ja genau deshalb uns getraut etwas Eigenes aufzubauen, weil wir so enttäuscht waren von der Berliner Mietenpolitik der letzten Jahre. Und wir sehen jetzt – in unseren Augen auch viel zu spät, durchaus auch ein Bemühen jetzt nach dem Regierungswechsel. Aber, es war sehr enttäuschend zu sehen, dass der Baustadtrat von Kreuzberg Friedrichshain nicht einmal darüber informiert war, was hier für verschiedene Neubauprojekte auf der Rigaer Straße sich befinden. Und dass, obwohl wir ja vorab schon sogar in seiner Bürgersprechstunde waren nach seinem Amtseintritt um ihn darüber zu informieren, dass es hier noch ein dazwischen gibt."