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Genugtuung für ein Diktatorensöhnchen

Seit einer Woche wird EU-Bürgern die Einreise nach Libyen verweigert. Und das liegt nicht an diplomatischen Verwerfungen zwischen der Europäischen Union und dem nordafrikanischen Land: die EU ist vielmehr in eine Auseinandersetzung zwischen Libyen und der Schweiz hineingezogen worden.

Von Doris Simon |
    Es ist der Stoff für einen saftigen Thriller: ein verwöhntes, amoklaufendes Diktatorensöhnchen in einem Luxushotel, ein beleidigter Wüstenpotentat, europäische Geschäftsleute als Geiseln. Eigentlich hätte die Europäische Union weiterhin entspannt zuschauen können bei dem Streit zwischen der Schweiz und Libyen, der im Sommer 2008 begann: In einem Fünf-Sterne-Hotel am Genfer See drehte Hannibal, einer der Söhne von Libyens Staatschef Gaddhafi, wieder einmal durch. Aber die dortige Polizei rief nicht etwa die libysche Botschaft an, so wie das die britischen Kollegen im Dezember in London taten, wo Hannibal seiner Frau Aline das Nasenbein gebrochen hatte. Die Schweizer steckten Gaddafi junior in Untersuchungshaft, eine ganz neue Erfahrung für den jungen Mann. Als dann auch noch im Internet Fotos von Hannibal in der Zelle auftauchten, war für Vater Gaddafi der Bogen überspannt: Zwei Schweizer Geschäftsleute wurden in Libyen festgesetzt. Alle Bemühungen um deren Freilassung blieben seither vergebens.

    Daraufhin sorgte die Schweizer Regierung dafür, dass 188 Libyer, die sie der Beteiligung an der Verschleppung der Schweizer Geiseln verdächtigt, nicht mehr in die Schengenzone einreisen dürfen. Der gehört auch die Schweiz an, und durch den Eintrag in den Schengencomputer bekommen die betroffenen Libyer kein Visum mehr für den gesamten Schengenraum.

    Diese Sanktion zeigt offenbar Wirkung, denn Libyen hat nun zurückgeschlagen – mit dem ganz großen Hammer. Seit letzter Woche verweigert das Regime in Tripolis allen EU-Bürgern die Einreise, neue Einreisevisa für Europäer werden nicht mehr ausgestellt. Ein Sprecher der EU-Kommission:

    "Das Problem ist, dass hier ein Drittstaat keine Einreisen mehr zulässt. Das ist kein Problem, das sich automatisch oder mechanisch durch eine Intervention der EU oder ihrer Mitgliedsstaaten lösen lässt. Wir suchen nun mit diplomatischen Mitteln nach einem Kompromiss, einer Lösung für den entstandenen Konflikt."

    Auf einmal steckt so die Europäische Union mitten drin in der libysch-schweizerischen Auseinandersetzung. Das passt kaum einer Mitgliedsregierung. Richtig deutlich wurde der italienische Außenminister Franco Frattini, dessen Land besonders enge Beziehungen und beste Wirtschaftskontakte zu Tripolis unterhält. Bern missbrauche die Idee von Schengen, fand Frattini und erteilte den Eidgenossen im Schweizer Fernsehen einen Ratschlag:

    "Annulliert die schwarze Liste und die Sache ist erledigt."

    Auch Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner zeigte sich nicht begeistert davon, dass aus dem Schweizer Problem nun ein europäisches geworden ist. Auf die Frage, ob die EU solidarisch zur Schweiz stehe, fragte Kouchner spitz zurück, ob denn die Schweiz EU-Mitglied sei. Diplomaten in Brüssel weisen darauf hin, dass der Schengencomputer eigentlich nicht für einseitig verhängte Einreiseverbote mit politischem Hintergrund gedacht ist, sondern für Hinweise auf Kriminelle. Auf viel europäische Sympathie kann die Schweiz Bern ohnehin nicht rechnen, wo sie sich immer noch weigert, bei Steuerhinterziehung zu kooperieren.

    Doch weil es um das Schengensystem geht, hat sich nun die spanische EU-Ratspräsidentschaft der Sache angenommen: Unter Vermittlung von Außenminister Moratinos trafen sich die Außenminister aus Libyen und der Schweiz. Am Freitag wurden die Gespräche auf Expertenebene nach Berlin verlegt, unter größter Geheimhaltung. Deutschland verfügt über gute Drähte nach Tripolis. Die erwiesen sich schon vor zweieinhalb Jahren als ausgesprochen nützlich bei der Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern.

    Aus Sicht der EU gäbe es für die ganze Affäre eine einfache Lösung: Die Libyer lassen die beiden Geschäftsleute endlich in die Schweiz reisen, im Gegenzug zieht Bern die schwarze Liste mit den 188 Libyern aus dem Schengencomputer zurück – und Tripolis öffnet seine Grenzen wieder für EU-Bürger. Doch so leicht wird Gaddafi es den Europäern nicht machen: Der Diktator will ein Schuldbekenntnis der Schweiz und Genugtuung für seinen Sohn. Da geht es dann auch gleich immer um Ehre und um Gesichtsverlust. Das sind keine guten Voraussetzungen für eine rasche Lösung.