Archiv

Geologie
Mikrobeben auf der Spur

Seit Jahrzehnten fürchten die Kalifornier "The Big One" - das ganz große Erdbeben. Schließlich leben sie mit der San-Andreas-Verwerfung und damit mit einer der seismisch aktivsten Zonen der Erde. In 20 bis 30 Kilometern Tiefe haben US-Forscher nun ein besonderes Phänomen näher untersucht: sogenannte Gezeitenbeben.

Von Dagmar Röhrlich |
    Luftaufnahme der Carrizo-Ebene in Kalifornien. In der Mitte ist deutlich zu erkennen, wie die Gesteinsschichten entlang einer geraden Linie verzerrt werden: Die San Andreas Verwerfung.
    Die San-Andreas-Verwerfung zieht sich durch ganz Kalifornien. In der Carrizo-Ebene südöstlich von Parkfield ist sie besonders gut zu erkennen, denn hier ist sie fast schnurgrade. (imago stock&people / Leeimage)
    Die Gemeinde Parkfield in Kalifornien wäre mit ihren mit ihren nur 900 Einwohnern eigentlich vollkommen unbekannt, hätten sich die Gründer nicht unwissentlich einen besonderen Platz ausgesucht: Der Ort liegt in einer Zone der San-Andreas-Verwerfung, in der es alle paar Jahre starke Erdbeben gibt. Das machte Parkfield zum Testfeld. Ein dichtes Netz aus Seismometern überwacht das Geschehen im Untergrund. So konnten Seismologen nachweisen, dass dort ein besonderes Phänomen auftritt: Gezeitenerdbeben.
    "Seit fast zehn Jahren wissen wir, dass es dort diese besonderen Erdbeben gibt, die sehr tief entstehen und deren Wellen langsamer sind als die der normalen Beben. Dahinter steckt, dass Sonne und Mond einen - wenn auch sehr kleinen - tektonischen Stress auf geologische Störungen in der Erdkruste ausüben. Sie lösen dort Beben aus, wo die Gezeitenkräfte durch Sonne und Mond in der gleichen Richtung wirken wie die Kräfte der Plattentektonik. Außerdem müssen die Spannungen so hoch sein, dass die Störung ohnehin kurz vor dem Bruch steht.", sagt Nicholas van der Elst vom Geologischen Dienst der USA (USGS) in Pasadena.
    Unter Parkfield liegt so eine tektonische Zone, in der Ebbe und Flut der Erdkruste von zahllosen Mikroerdbeben begleitet werden. Dieser "Tremor" entsteht in 20 bis 30 Kilometern Tiefe:
    "Dort befindet sich die Übergangszone zwischen spröden Bereichen, in denen das Gestein bei Erdbeben bricht, und Zonen, in denen es elastischer reagiert und sich verformt. Wir sehen unterhalb des Bereichs, in dem normalerweise Erdbeben auftreten, Flächen mit kleinen Störungen, an denen diese tiefen, niederfrequenten Beben entstehen."
    In ihrer Studie haben die Seismologen die Verteilung dieser tiefen "Gezeitenbeben" näher untersucht. Dabei interessierten sie sich dafür, ob sich in den vier Millionen Mikrobeben, die die Seismometer zwischen 2008 und 2015 verzeichnet haben, ein Muster finden lässt:
    "Wir haben untersucht, wie sich die Reaktion der Gesteine auf den 14-tägigen Gezeitenverlauf verändert. Damit meine ich den Verlauf zwischen Spring- und Nipptiden. Die entstehen, wenn sich Sonne, Mond und Erde auf einer Geraden befinden beziehungsweise im Winkel von 90 Grad zueinander. Diese geometrischen Konstellationen führen dazu, dass die Gezeiten im Lauf von zwei Wochen mal sehr schwach und mal sehr stark sind. Wir sehen, dass die tiefen, niederfrequenten Erdbeben tatsächlich darauf reagieren: Sie sind dann am häufigsten, wenn sich die Gezeitenkräfte aufbauen."
    Und zwar, weil das Gestein dann eine Weile weniger Gezeitenstress ausgesetzt waren, erklärt der Forscher. Die Häufung der Beben beweist, dass sich in dieser Zeit der tektonische Stress an den Störungen wieder aufgeladen hat.
    Und noch etwas fanden die Forscher heraus. Das tägliche Auf und Ab von Ebbe und Flut der Erdkruste scheint die kleinsten und tiefsten Beben dieses Tremors auszulösen, während die Springtiden ganze Cluster von Störungen aktivieren, die etwas höher gelegen sind.
    "Wenn wir genau messen, wie die Verbindung aussieht zwischen den täglichen Gezeitenerdbeben und diesem zweiwöchigen Zyklus, können wir abschätzen, wie schnell sich Spannungen an diesem tiefen Teil der San Andreas Verwerfung aufbauen."
    Beide Effekte zusammen lieferten Informationen darüber, was an den "Wurzeln" der Störungen geschehe, erklärt der Seismologe - also dort, wo die Bewegungen im Erdinneren an die Oberfläche übertragen werden. Die große Frage ist, ob sich ein Zusammenhang ablesen lässt zwischen diesem Tremor und den großen Beben. Sprich, ob sich das Verhalten der Gezeitenbeben an der "Wurzel" der Störung vor schweren Erdstößen verändert. Für solche Aussagen reichen die Daten jedoch noch nicht aus.