Das Polizeipräsidium von Reykjavik wirkt unscheinbar neben dem wuchtigen Gebäude aus Granitstein. Keine Botschaft in Island ist größer als die der Volksrepublik China. Hier werden, so ahnt man beim Anblick, wohl nicht bloß Chinas Interessen in Island vertreten. Hier geht es um die gesamte Arktisregion.
Eine Mitarbeiterin öffnet die Eingangstür und führt in einen "Meeting Room", so groß wie ein Fitnessstudio. Ein Dutzend schwere, beigefarbene Kunstledersessel stehen sich gegenüber. Am Kopf des Raumes eine wandgroße Darstellung der chinesischen Mauer.
Botschafter Jin Zhijian nimmt gut gelaunt Platz. Jin ist bereits das dritte Mal in Island. Das erste Mal war er in Reykjavik als Student Anfang der 80er-Jahre, kurze Zeit später zurück als Mitarbeiter der Botschaft und seit zwei Jahren, mit Mitte 50, auf seinem ersten Botschafterposten. Von hier aus vertritt er die Interessen der Großmacht in diesem Teil der Erde.
China als "Nahanrainer" der Arktis
Seit Veröffentlichung des offiziellen "Weißbuches Außenpolitik" der chinesischen Regierung 2018, nennt sich die Volksrepublik "Nahanrainer" der Arktis. Peking liegt rund 8000 Kilometer von Reykjavik entfernt. Herr Botschafter, wie kann man da ein "Nahanrainer" sein? Jin scheint diese Frage erwartet zu haben. Er rutscht auf die Sesselkante vor und schlägt mit dem rechten Zeigefinger einen Bogen:
"China ist einer der Staaten auf dem asiatischen Kontinent, der dem Polarkreis am nächsten liegt. Das erklärt, warum wir uns einen Nahanrainer nennen. Und es spiegelt unser Interesse an der Arktis wider, angesichts all der Veränderungen, die hier vor sich gehen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Begehrte Insel: Grönland im Fokus der Großmächte".
Botschafter Jin zählt die Interessen seines Landes auf: Man wolle an der Erforschung der Polregion teilhaben, einen Beitrag zum Schutz der empfindlichen Natur leisten sowie zu Frieden und wirtschaftlicher Entwicklung beitragen. Wirtschaftliche Entwicklung heißt nach Ansicht von vielen politischen Beobachtern aber vor allem: China will Zugriff auf die nicht zuletzt in Grönland vorhandenen Bodenschätze haben.
Projekt "Polare Seidenstraße"
Jin selbst war zwar noch nicht auf Grönland, dafür der chinesische Energieminister bereits drei Mal. Ein chinesisch-australisches Konsortium arbeitet in Grönland bereits am Abbau von Seltenen Erden und Uran. Wenn das Eis auf Grönland wegen der Erderwärmung weiter taut, täte sich nicht nur in dieser Hinsicht für sein Land großes Potential auf, schwärmt der chinesische Botschafter. Es könnte auch die Nordostpassage zwischen Nordeuropa und Ostasien eisfrei werden:
"Wir haben das Projekt einer 'polaren Seidenstraße' ins Spiel gebracht. Wir würden gerne eine neue Schifffahrtsroute zwischen den beiden Kontinenten Arktis und Asien sehen. Die kürzere Nordost-Passage würde die Energiekosten senken. In vielen Gesprächen mit Vertretern hier auf Island habe ich festgestellt, dass es großes Interesse daran gibt, eine solche Schiffsroute mit uns gemeinsam zu entwickeln."
Ein chinesisches Konsortium hat bereits angeboten, im südgrönländischen Narsaq einen Überseehafen zu bauen. Doch das Engagement der Chinesen in der Arktis stößt auf zunehmendes Misstrauen. Als die chinesische Regierung schon vor zehn Jahren den Grönländern anbot, ihre Flughäfen auszubauen, intervenierte die USA beim dänischen Verbündeten.
Empfindliches politisches Gleichgewicht
Aber auch China lässt manchmal die Muskeln spielen. Beispiel Färöer-Inseln. Dort wurde der chinesische Konzern Huawei für den Aufbau eines 5G-Netzes nicht berücksichtigt – nach Intervention der dänischen Mutterregierung. Der chinesische Botschafter in Kopenhagen drohte daraufhin mit dem Abbruch aller Handelsbeziehungen zu dem winzigen Archipel.
Keine 200 Meter von der chinesischen Botschaft entfernt liegt das isländische Außenministerium. Sein Chef, Minister Gudlaugur Thordarson von der liberalen Unabhängigkeitspartei, ein jugendlich wirkender 53-Jähriger mit Dreitagebart, steht derzeit auch dem Arktischen Rat vor, in dem alle acht Anrainerstaaten der Arktis zusammenkommen.
Daneben gibt es noch einige Länder mit Beobachterstatus, darunter Deutschland und China. Dass China als "Nahanrainer" Ansprüche anmeldet, macht Thordarson nicht mehr Sorgen als die Ansprüche der anderen beiden Großmächte, Russland und USA. Auf kleine Arktisstaaten wie Grönland oder Island würde bei der Aufteilung von Interessensphären immer weniger Rücksicht genommen. Der Politiker macht einen müden Eindruck, als er an die Konkurrenten appelliert:
"Wenn wir die Arktis als eine Zone mit niedrigen politischen Spannungen erhalten wollen, dann ist es wichtig, dass sich alle an die Regeln und internationale Verträge halten. Dann sehe ich keine Probleme. Bricht aber jemand, egal wer, dieses stille Übereinkommen, dann stehen wir in der Tat vor Herausforderungen."
USA wollen chinesischen Einfluss zurückdrängen
Die USA haben bereits angekündigt, den Einfluss der Chinesen in der Arktis zurückdrängen zu wollen. Ein neu eröffnetes Konsulat auf Grönland soll die Interessen Amerikas auf der Insel künftig stärker wahren. Und, so machte US-Außenminister Mike Pompeo am Rande der letzten Sitzung des Arktischen Rates klar, "Nahanrainer" der Arktis gebe es für ihn nicht. Entweder man sei Anrainer oder keiner.
Chinas Botschafter Jin lehnt sich bei diesen Worten lächelnd zurück: "Einige US-Vertreter haben eine große Sache aus der Tatsache gemacht, dass wir uns hier in der Region engagieren. Unsere Position bleibt aber: Diese Region geht nicht nur die arktischen Länder an."
Dann muss sich der Botschafter verabschieden. Dienstbeflissen wird er von einem Angestellten in weißem Hemd und schwarzer Fliege aus dem Raum begleitet.