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Georg Büchners 'Woyzeck' in der Inszenierung von Thomas Ostermeier an der Berliner Schaubühne

Büchners lumpenproletarischer Stadtsoldat "Woyzeck" ist an der Schaubühne im ostdeutschen Elend und Niemandsland gelandet. Bühnenbildner Jan Pappelbaum hat für den Fremdling eine riesige, das Publikum seitlich umschließende Panoramalandschaft gebaut. Am Rande einer Betonsenke, in deren Grund ein riesiges Abflussrohr in einer Pfütze endet, steht ein Imbisswagen mit Stapelstühlen und Mobilklo. Kein Durchgangsort, sondern ein steinern trübseliger Treffpunkt für Leute ohne Hoffnung. Die Autobahn, deren mächtige Pfeiler die zerstörte, leere Landschaft verstellen, scheint direkt drüber wegzuführen, während sich im Hintergrund die gemalten Plattenbauten staffeln. Zwar wird nicht recht klar, wer eigentlich dieser Woyzeck ist und was er hier tut. Doch wenn Bruno Cathomas auf die Bühne radelt, weiß man sofort: dieser Woyzeck ist ein Loser. Von seiner zu engen Kleidung, einer erdfarbenen Jacke und einer zerknautschten braunen Hose, zusammengedrückt zu dicklicher Unförmigkeit, fischt er mit eingezogenem Hals und tumb staunenden Augen in der Pfütze. Dann dröhnt Musik, eine Gang von jungen Männern in schwarzem Leder tritt auf, und während ein angeleinter Schäferhund aufgeregt bellt, wird Woyzeck zusammengeschlagen. Ohne ein Wort, ohne Begründung, ganz selbstverständlich. Wahrscheinlich ist er einfach ein Außenseiter.....

Ein Beitrag von Hartmut Krug |
    Eine wortlose halbe Stunde ist bis zu dieser Szene vergangen. In dieser Zeit hat Regisseur Thomas Ostermeier rund um den von Woyzecks Kumpel Andres betriebenen Imbisswagen viel Atmosphäre inszeniert: mit Vogelgezwitscher und Hubschrauberlärm, mit westlichem Imbissbesitzer und osteuropäischem Mädchen. Gegen diesen atmosphärischen Hyperrealismus wirkt die so ausufernd wie dilettantisch inszenierte Gruppenprügelszene unfreiwillig komisch. Unverständlich, warum Ostermeier sich nicht künstlerische Hilfe bei seiner Codirektorin, der Choreographin Sasha Waltz, geholt hat. An der Schaubühne existieren augenscheinlich Tanz und Schauspiel ohne jeden Berührungspunkt nebeneinander her.

    Die brachiale Gewalt, mit der Ostermeier Büchners Fragment ins heutige Ostdeutschland verfrachtet, kümmert sich in keiner Szene um die innere Begründung von Verhalten und Haltungen der Figuren. Und sie zieht die bei Büchner fragmentierten, ständig den Ort wechselnden Szenen zu einem durchgehenden Geschehen in der Betonkuhle zusammen. An die Stelle von Gebrochenheit und Wahrnehmungsdiffusität tritt eine derbe Plakativität des Spiels.

    In einem szenisch auftrumpfenden Behauptungstheater, dem jede innere und manchmal auch die äußere Deutlichkeit fehlt. Warum das von einem Kleinwüchsigen gespielte Kind zugleich Mitglied der Gang sein muss, bleibt unklar. Auch, warum der Doktor seine medizinischen Demonstrationen hier im Freien zeigt. Vor einer Männerhorde, die immer mal wieder zu dröhnendem Beat eine Rap- oder Rocknummer abliefert. Und dass ein Mann, der im hellen Anzug und mit viel Goldschmuck wie ein Wiener Zuhälter daherkommt, als Hauptmann angeredet wird, ist sicher nur der Tatsache geschuldet, dass Dramaturg Marius von Maienburg sich allein an die äußere szenische Erscheinungsweise, nicht aber an die innere und sprachliche Struktur von Büchners Stück herantraute.

    So kommt es, dass scheinbar realistische Underdogs von heute ganz merkwürdig fremd klingende Texte sprechen. Die sind von Büchner und haben mit ihnen nichts zu tun.

    Besonders skurril wird es, wenn der so genannte Hauptmann sich Woyzeck zuwendet, nachdem er im Stringtanga in der trüben Pfützenbrühe geplantscht hat. Woyzeck muss ihm beim philosophierenden Gespräch zwischen den Beinen herumkriechen, um ihm die Schenkel und Pobacken zu rasieren.

    Alles in dieser Inszenierung ist derb. Büchners Jahrmarktsszene wird zum Grillabend mit Filmvorführung. Statt des klugen Pferdes gibt es eine tote Katze. Deren ausgeweidete Innereien legt der Doktor auf den Grill, während Marie einen Bauchtanz vorführt. Christina Geiße ist eine kräftig-resolute Marie, die in dieser von Männerritualen und Hackordnungen bestimmten Welt ihr kleines bisschen Befriedigung zu finden sucht. Weshalb sie auch gerührt selbst das Märchen vom einsamen Kind spricht. Eine Großmutter gibt es nicht. Woyzeck tötet schließlich Marie in einer wahren sexuellen Gewaltorgie. Während der Beat dröhnt, sticht er mit heftigen Beischlafbewegungen in wechselnden Stellungen unentwegt in den Körper der Frau.

    Bei ihrem nunmehr bereits dritten Versuch mit Büchners "Woyzeck", nach Michael Königs Inszenierung von 1981 und Michael Simons Bildern aus dem Inneren von Woyzeck mit 2 Schauspielern und einem 17köpfigen Jungmännerchor im Jahr 1997, ist die Schaubühne erneut gescheitert. Diesmal auf besonders eklatante Weise. Verstand es Thomas Ostermeier bei Ibsens "Nora" noch, eine alte Geschichte auch psychologisch und emotional in unsere Zeit zu übertragen, ist ihm das bei Büchner auf völlig misslungen. Ostermeiers Woyzeck ist ein inszenatorisches und dramaturgisches Debakel.

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