Die brachiale Gewalt, mit der Ostermeier Büchners Fragment ins heutige Ostdeutschland verfrachtet, kümmert sich in keiner Szene um die innere Begründung von Verhalten und Haltungen der Figuren. Und sie zieht die bei Büchner fragmentierten, ständig den Ort wechselnden Szenen zu einem durchgehenden Geschehen in der Betonkuhle zusammen. An die Stelle von Gebrochenheit und Wahrnehmungsdiffusität tritt eine derbe Plakativität des Spiels.
In einem szenisch auftrumpfenden Behauptungstheater, dem jede innere und manchmal auch die äußere Deutlichkeit fehlt. Warum das von einem Kleinwüchsigen gespielte Kind zugleich Mitglied der Gang sein muss, bleibt unklar. Auch, warum der Doktor seine medizinischen Demonstrationen hier im Freien zeigt. Vor einer Männerhorde, die immer mal wieder zu dröhnendem Beat eine Rap- oder Rocknummer abliefert. Und dass ein Mann, der im hellen Anzug und mit viel Goldschmuck wie ein Wiener Zuhälter daherkommt, als Hauptmann angeredet wird, ist sicher nur der Tatsache geschuldet, dass Dramaturg Marius von Maienburg sich allein an die äußere szenische Erscheinungsweise, nicht aber an die innere und sprachliche Struktur von Büchners Stück herantraute.
So kommt es, dass scheinbar realistische Underdogs von heute ganz merkwürdig fremd klingende Texte sprechen. Die sind von Büchner und haben mit ihnen nichts zu tun.
Besonders skurril wird es, wenn der so genannte Hauptmann sich Woyzeck zuwendet, nachdem er im Stringtanga in der trüben Pfützenbrühe geplantscht hat. Woyzeck muss ihm beim philosophierenden Gespräch zwischen den Beinen herumkriechen, um ihm die Schenkel und Pobacken zu rasieren.
Alles in dieser Inszenierung ist derb. Büchners Jahrmarktsszene wird zum Grillabend mit Filmvorführung. Statt des klugen Pferdes gibt es eine tote Katze. Deren ausgeweidete Innereien legt der Doktor auf den Grill, während Marie einen Bauchtanz vorführt. Christina Geiße ist eine kräftig-resolute Marie, die in dieser von Männerritualen und Hackordnungen bestimmten Welt ihr kleines bisschen Befriedigung zu finden sucht. Weshalb sie auch gerührt selbst das Märchen vom einsamen Kind spricht. Eine Großmutter gibt es nicht. Woyzeck tötet schließlich Marie in einer wahren sexuellen Gewaltorgie. Während der Beat dröhnt, sticht er mit heftigen Beischlafbewegungen in wechselnden Stellungen unentwegt in den Körper der Frau.
Bei ihrem nunmehr bereits dritten Versuch mit Büchners "Woyzeck", nach Michael Königs Inszenierung von 1981 und Michael Simons Bildern aus dem Inneren von Woyzeck mit 2 Schauspielern und einem 17köpfigen Jungmännerchor im Jahr 1997, ist die Schaubühne erneut gescheitert. Diesmal auf besonders eklatante Weise. Verstand es Thomas Ostermeier bei Ibsens "Nora" noch, eine alte Geschichte auch psychologisch und emotional in unsere Zeit zu übertragen, ist ihm das bei Büchner auf völlig misslungen. Ostermeiers Woyzeck ist ein inszenatorisches und dramaturgisches Debakel.
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