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Georg Diez vs. Wolfgang Beck
Ist Suizid Ausdruck von Selbstbestimmung?

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Suizid-Entscheidung den Schutz der Autonomie über den des Lebens gestellt. Das befreie Sterbewillige vom Zwang durch Kirche und Staat, sagt der Autor Georg Diez. Der Theologe Wolfgang Beck widerspricht: Diese Selbstbestimmung sei Bürde, nicht Freiheit.

Moderation: Christiane Florin |
Schattenriss eines Mannes, der durch einen Tunnel ins Licht geht.
Der Mensch ist nie völlig frei in seinen Entscheidungen - was ist mit der Entscheidung, in den Tod zu gehen? (imago)
Georg Diez, Journalist und Buchautor:
Bei dem Thema ist es wichtig, klarzumachen, aus welcher Position man spricht. Ich bin Autor. Meine Herangehensweise ist persönlich geprägt durch die Erfahrung mit dem Sterben meiner Mutter. Darüber habe ich ein Buch geschrieben.
Journalist und Buchautor Georg Diez, aufgenommen auf der Frankfurter Buchmesse 2016
Journalist und Buchautor Georg Diez, aufgenommen auf der Frankfurter Buchmesse 2016 (picture alliance / Frank May)
Ich habe gemerkt, dass das Sterben meiner Mutter extrem viel mit dem Leben meiner Mutter zu tun hatte. Sie hatte große Angst vor einer Art des Sterbens, bei dem sie nicht mehr in der Lage ist, die Dinge, die sie im Leben wichtig fand aufrecht zu erhalten: Autonomie, Selbstbestimmtheit, Würde. Dass sie nicht in der Lage sein würde, so zu handeln, wie sie will und dass sie gezwungen sein würde, ins Ausland, in die Schweiz zu fahren, um dort möglicherweise assistierten Suizid zu unternehmen - das fand ich extrem beklemmend, entwürdigend, fragwürdig. Darüber hab ich angefangen, über das Thema nachzudenken. Das Bundesverfassungsgericht hat das relativ klar und in der richtigen Worten benannt: Dass Würde und Autonomie des Menschen im Sterben gewahrt sein müssen.
Von Georg Diez sind zum Thema die Bücher erschienen: "Der Tod meiner Mutter" und "Die letzte Freiheit. Vom Recht, sein Ende selbst zu bestimmen"
Wolfgang Beck, Theologe und "Wort zum Sonntag"-Sprecher:
Als Seelsorger kenne ich natürlich viele Menschen in ihren Sterbeprozessen und Lebenswegen. Ich würde auch von mir selbst zunächst mal vorweg sagen, dass ich selbst kein Held bin und nicht weiß, wie ich in der entsprechenden Situation entscheiden und handeln würde. Und trotzdem würde ich sagen, dass das Sterben kein Bestandteil des Lebens, den ich zu gestalten hätte, bei dem ich eine Entscheidungen treffen muss. Denn alle Entscheidungen, die ich in meinem Leben treffe, sind nicht autonom, sondern sie sind von ganz unterschiedlichen Faktoren mitbeeinflusst und mitgeprägt. Ich bin nie völlig frei in meinen Entscheidungen, und das gilt natürlich dann auch für solch eine Entscheidung am Lebensende.
Theologe und "Wort zum Sonntag"-Sprecher Wolfgang Beck
Theologe und "Wort zum Sonntag"-Sprecher Wolfgang Beck (Felix Schmitt)
Wenn in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts oder auch in anderen Statements so getan wird, als wäre das jetzt die ultimative autonome Freiheitsentscheidung am Lebensende, würde ich das immer stark anzweifeln. Dafür kenne ich auch am Lebensende zu viele Menschen, die dann auch noch mal anders entscheiden oder Dinge überdenken. Ein Lebensende zu setzen durch eine eigene Entscheidung ist sicherlich nicht etwas, was Ausdruck von Freiheit sein kann.
Wolfgang Beck ist Professor für katholische Theologie an der Hochschule St. Georgen. Von ihm erschien zum Thema: "Wir haben es vermasselt, sorry." Das selbstbestimmte Sterben als Endpunkt einer gesellschaftlichen Konzeption.