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Georg Forster
"Ein unbändiger Appetit auf die Welt"

Georg Forster war Naturforscher, Weltreisender und Revolutionär. Sein bewegtes Leben, das tragisch inmitten der Französischen Revolution endete, lässt Jürgen Goldstein in einer lesenswerten Biografie noch einmal Revue passieren.

Von Dagmar Röhrlich |
    Der Naturforscher, Schriftsteller und Revolutionär Georg Forster, der mit James Cook in die Südsee segelte, in ein em Gemälde von J. H. W. Tischbein.
    Der Naturforscher, Schriftsteller und Revolutionär Georg Forster. (imago/United Archives)
    271 Jahre ist es her, dass Georg Forster - seines Zeichens Wunderkind, Weltreisender, Naturforscher und Revolutionär - in Nassenhuben geboren wurde: einem Nest im damals preußischen Teil Polens, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagten. Gerade dieses gottverlassene Kaff könnte das Leben Forsters auf seine abenteuerlichen Bahnen gelenkt haben, vermutet der Philosophie-Professor Jürgen Goldstein in der Biografie "Zwischen Freiheit und Naturgewalt". Denn: "Es wird langweilig genug gewesen sein, um einen unbändigen Appetit auf die Welt zu wecken."
    Eine reguläre Schulbildung erhielt der kleine Georg nicht. Als er elf war, nahm ihn sein Vater - ein Naturforscher und lutherischer Pastor mit Ambitionen zu Höherem - erst mit nach Russland, ein Jahr später dann nach London, und schließlich sorgte er dafür, dass ihn sein Sohn als Zeichner auf eine Expedition von James Cook begleiten durfte: "Da war er siebzehn. Kaum alt genug für eine derartige Reise, und noch jung genug für einen unverstellten Blick in die Welt."
    Drei Jahre und 18 Tage dauerte die Reise an Bord der "HMS Resolution". Während dieser Zeit erweist sich Georg Forster als scharfer Beobachter der menschlichen Art. So erkannte er in Neuseeland bei einer Begegnung mit Kannibalen, wie gerne auch einige Europäer das Menschenfleisch probiert hätten. Es war ein entscheidender Moment: "Alle Spekulationen über das Wesen des Menschen, alle vernunftgeleiteten Explikationen des Humanen, sind für Forster mit einem Schlag erledigt. (…) Was der Mensch ist, so seine Konsequenz, lässt sich allein durch Beobachtung und Erfahrung erschließen."
    Forster verurteilt die Menschenfresser nicht, sieht im Kannibalismus einen Teil der Kulturgeschichte, eine "sehr natürliche, instinktgemäße Begierde". Von nun an ist für ihn nicht mehr die Vernunft das verbindende Element zwischen den Kulturen, sondern der Affekt - und er fragt: "Wir selbst sind zwar nicht mehr Cannibalen, gleichwohl finden wir es weder grausam noch unnatürlich, zu Felde zu gehen und uns bey Tausenden die Hälse zu brechen, blos um den Ehrgeiz eines Fürsten, oder die Grillen einer Maitresse zu befriedigen. Ist es aber nicht Vorurtheil, daß wir vor dem Fleische eines Erschlagenen Abscheu haben, da wir uns doch kein Gewissen daraus machen, ihm das Leben zu nehmen?"
    Die Erlebnisse dieser Reisejahre - vor allem die Begegnung mit der Gesellschaft Tahitis, in der Georg Forster zunächst sein Ideal einer Gemeinschaft von Gleichen zu erkennen glaubt -, diese Erlebnisse legten den Grundstein für seinen weiteren Weg: Er wird Jakobiner, ist Mitbegründer der kurzlebigen Mainzer Republik, sieht in der Revolution ein Naturereignis, eine "Selbstentzündung der Vernunft".
    Sein Ende ist bitter: Georg Forster ist gescheitert, einsam, sein Ruhm verblasst. 39jährig stirbt er in Paris, noch vor dem Höhepunkt der jakobinischen Schreckensherrschaft.
    Zielgruppe: Jeder, der sich für Geschichte interessiert und für die oft schillernden Persönlichkeiten der Naturforscher, die den Weg für die modernen Wissenschaften bereiteten.
    Erkenntnisgewinn: Revolutionen fressen ihre Kinder.
    Spaßfaktor: Ein spannendes und facettenreiches Buch über das 18. Jahrhundert und ein tragisches Schicksal.
    Jürgen Goldstein: "Georg Forster - Zwischen Freiheit und Naturgewalt", Matthes & Seitz, Berlin, 301 Seiten, 24,90 Euro