Musik: Händel, Ouvertüre aus "Xerxes"
Scharf punktierte, stolze Töne in der Ouvertüre zur Oper "Xerxes": Passende Klänge für den Perserkönig, der knapp 500 Jahre vor Christus lebte, zugleich Pharao Ägyptens war, auch gegen die Griechen auf Eroberungsfeldzug ging - ihnen letztlich aber unterlag und schließlich von einem Verräter aus den eigenen Reihen ermordet wurde. Ein launischer Tyrann, der der Legende nach sogar mal einer Meeresenge 300 Peitschenhiebe verpasst haben soll - weil er darüber eine Brücke bauen wollte, was nicht klappte. Launisch klingt dann auch die musikalische Visitenkarte, die Dirigent Constantinos Carydis und das wunderbar auf historischem Instrumentarium musizierende Opernorchester ihrem Xerxes in Frankfurt in der Ouvertüre ausstellen: Präzise austarierte, abrupte Laut-Leise-Wechsel.
Ein bisschen durchgeknallt klingt Xerxes dann zunächst auch in seiner ersten Arie, das berühmte "Ombra mai fu": Schließlich entdeckt der kriegerische Perserkönig hier sein Herz für einen schattenspendenden Baum! Schutz suchend wickelt er sich in Frankfurt dabei in den Bühnenvorhang ein. Auf dem sind die Äste des Baumes projiziert, der später auch oben in einem Fenster in der halbrund gezogenen Bühnenwand zu sehen sein wird: Ein Sehnsuchtsobjekt für Regisseur Tilmann Köhler:
"Ombra mai fu" aus "Xerxes" von Georg Friedrich Händel
"Ich lese es so, dass es eine wahnsinnig große Sehnsucht nach Beständigkeit und Kontinuität, nach einem beständigen Wachstum dieses Baumes auch gibt – dass das eine Sehnsucht dieser Figur ist. Etwas, was er in seiner Umgebung nicht findet – eine Kontinuität, eine Form von Beständigkeit, Verlässlichkeit, die er um sich nicht hat. Und es ist so, dass sich eigentlich Romilda darüber lustig macht im nächsten Moment und das eher ein Moment ist von jemandem, ihn in seinem vielleicht ehrlichsten Moment, nackt und verletzlich sozusagen, vorzuführen. Und dafür rächt er sich, glaube ich, dann sehr gehörig und genüsslich!"
Denn Xerxes will jene Romilda fortan für sich gewinnen – obgleich die seinen Bruder liebt und er selbst eigentlich verlobt ist. Xerxes Verlobte spioniert ihm dann, in Männerkluft verkleidet, auch hinterher. Hinzu kommen Romildas intrigante Schwester, allerlei Briefverwechslungen und Missverständnisse – die Zutaten, aus denen Verwechslungskomödien sind. Aus diesen Zutaten garniert Tilmann Köhler in Frankfurt dann ein drei Stunden kurzes, opulent-rasantes Festbankett: Schon während der Ouvertüre sitzt Xerxes mit allen Opernfiguren an einem barock mit Rosen, edlen Speisen und Fruchtkörben gedeckten Tisch, der im Laufe des Abends immer mehr aus den Fugen gerät. Früchte werden geworfen oder wütend in der Luft zerquetscht, im Rhythmus mancher Flirt-Arie rieselt der Zucker – und wer nicht spurt, wird auch mal unter Essensglocke und Serviette begraben. Klingt nach banalem Klamauk, wird bei Tilmann Köhler aber zu einem packenden Drama – weil er die Figuren in ihrem Eifersuchts-Zorn und in ihren Verletztheiten genauso ernst nimmt wie Händel in seiner Musik.
Kein Countertenor, sondern die wunderbar singspielende Französin Gaëlle Arquez sorgt in der Hosenrolle als Xerxes für die ebenso männlich-tyrannischen wie weiblich-sensiblen Zwischentöne:
"In dieser Produktion ist er irgendwo zwischen Machtmensch und verwöhntem Kind angesiedelt. Anfangs ist seine Familie noch sehr präsent – wir befinden uns in einer Art Mikrokosmos, sehr nah an den Figuren dran. Xerxes hat alles, was er will. Als er aber Romilda sieht und merkt, dass auch sein Bruder in sie verliebt ist, denkt er, hm, warum nicht die? Ich kann alle Frauen haben, die ich will – und jetzt will ich eben die Liebste meines Bruders! Dann aber wird er immer sensibler - und am Ende ist er wirklich in sie verliebt. Aber anfangs ist es nur ein Spiel für ihn!"
Spiel, Satz, Sieg? Im zweiten Teil des Abends wird eher ein Schachmatt daraus: Xerxes‘ Ruhe spendender Sehnsuchts-Baum über der Bühne trägt keine Blätter mehr - und vom Festbankett sind nur noch die Stühle übrig geblieben. Darauf kauernd: Der einst so siegessichere Perserkönig und seine Kontrahenten - lauter Häuflein Elend.
"Es sind sehr einsame Figuren, sehr einsame Planeten, die auch sehr stark um sich selber kreisen an vielen Stellen, wo man das Gefühl hat, der größte Vertraute ist entweder – wie in der ersten sehr exemplarischen Arie ein Baum oder eben wir Zuschauer. Es gibt wahnsinnig viele Punkte, wo diese Figuren nach außen sprechen und eigentlich an uns wenden. Und man hat das Gefühl, dass Beziehungen untereinander eigentlich nicht existieren oder nur geprägt sind von Rivalitäten, von Lügen, von Konkurrenz."
Ein falsch verstandener Heiratsbefehl bringt die "einsamen Planeten" auf der Frankfurter Bühne schließlich wieder zum Umeinanderkreisen - und die richtigen Paare zueinander. Xerxes muss sich damit abfinden - oder doch nicht? Am Ende hat er eine Pistole in der Hand – Ausgang ungewiss. Musikalisch aber wurden längst Volltreffer erzielt. Dank einer spielfreudigen Sängerriege, eines exzellenten Frankfurter Opernorchesters - und Dank Dirigent Constantinos Carydis: Er würzt Tilmann Köhlers Fest-Menu mit allerlei klanglichen Raffinessen - indem er die Streicher am Steg gespielte Eisklänge hervorzaubern lässt, indem Cello und Fagott launige Zwischenkommentare abgeben. Den letzten Ton haben die Sänger – sie summen den ursprünglich instrumentalen Schlussakkord aus: Ein besinnlicher Nachhall auf einen großartigen Opern-Abend.