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Georg K. Glasers Ende der Kriegsgefangenschaft
Chronist des blutigen 20. Jahrhunderts

Georg K. Glaser, Franzose durch Heirat, Deutscher von Geburt, kehrte im Juni 1945 aus deutscher Kriegsgefangenschaft nach Paris zurück - und wurde umgehend als mutmaßlicher Kollaborateur verhaftet. Sein wichtigstes Werk "Geheimnis und Gewalt" gilt als Geheimtipp der Exilliteratur.

Von Wolfgang Stenke |
    Befreiung von Paris am 25. August 1944
    Georg K. Glasers Ausweg aus den Verwerfungen der Zeit war ein radikales Einzelgängertum (imago / Leemage)
    "Den ausgedienten Gare d’Orsay hatten sie notdürftig unterteilt, um die schier endlose Flut der Heimkehrer durchzuschleusen, zu betreuen und zu filtern; ein Durcheinander, in dem eine Katze nicht ihre Jungen gefunden hätte."
    Die Bäume in den Tuilerien standen im Frühlingsgrün, als Georg K. Glaser - Franzose durch Heirat, Deutscher von Geburt - im Juni 1945 aus der Gefangenschaft nach Paris zurückkehrte. Im Gare d’Orsay, einem ehemaligen Bahnhof, schilderte er einem Hauptmann seine Leidensgeschichte. Emigration aus dem ans Dritte Reich angeschlossenen Saargebiet, Einbürgerung in Frankreich, Militärdienst. 1940 der Wehrmacht in die Hände gefallen, dann Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in Schlesien.
    "Er hat mich angehört, die Lider halb geschlossen, hat langsam den Kopf geschüttelt, zu jeder Silbe die Gauloise an der Unterlippe klebend: Sie müssten mich festnehmen, leider."
    Über Jugenddelinquenz und Fürsorgeerziehung
    Mit anderen Verdächtigen landete der Heimkehrer im alten Pariser Gefängnis, der Conciergerie, wo Wachleute mutmaßliche Kollaborateure brutal durchprügelten. Die Nacht in der Conciergerie fügte sich ein in eine Kette langer Erfahrungen von Gewalt: Gewalt des Vaters, der den 1910 im rheinhessischen Guntersblum geborenen Georg gnadenlos verdrosch; Gewalt in den Erziehungsheimen der Weimarer Republik; Gewalt bei den Auseinandersetzungen kommunistischer Gruppen mit der Polizei oder der SA:
    "Es gab Leute, die irgendwo in gefährlichen Gegenden wohnten, also wo viele Nazis waren, die liefen immer bewaffnet. Warum? Weil, wenn wir einen Nazi totgeschlagen hatten, dann ham die sofort in der folgenden Nacht aufholen wollen. Und dann wusste man, irgendjemand von uns würde wahrscheinlich getötet werden – oder man würde versuchen, ihn zu töten, mindestens."
    Geheimtipp für Spezialisten der Exilliteratur
    Über Jugenddelinquenz und Fürsorgeerziehung schrieb Glaser schon in der Weimarer Zeit für die Presse der KPD und die Frankfurter Zeitung. "Geheimnis und Gewalt", sein wichtigstes Buch, erschien erstmals 1951. Eine moderne Odyssee. Sie reflektiert im Spiegel der glaserschen Biographie die großen Themen des blutigen 20. Jahrhunderts: den Kampf zwischen den totalitären Gegnern Nationalsozialismus und Kommunismus, das Elend der Industriearbeit, die Not der Ausgebeuteten.
    Sein Ausweg aus den Verwerfungen der Zeit war ein radikales Einzelgängertum: vom Fürsorgezögling über den militanten KPD-Genossen bis zur Doppelexistenz als Schriftsteller und Kunstschmied in Paris. Doch nach der Rückkehr aus der deutschen Kriegsgefangenschaft kam erst einmal die Monotonie eines Kontrolljobs bei Renault.
    "Ich hab’ einfach mitten in der Arbeit drin das große Kotzen gekriegt vor dem, was ich gesehen habe und bin weg. Also wahrscheinlich hat’s dann danach so einige hundert Renaultwagen gegebenen, bei denen die Fahrer immer erstaunt waren, dass das Ding immer nach links zog oder nach rechts."
    In Saint Germain, am linken Ufer der Seine, baute Georg K. Glaser sich eine Existenz als Kunstschmied auf und frequentierte die Milieus der Existentialisten. Auf Treffen im Schwarzwald, organisiert von linkskatholischen Arbeiterpriestern, setzte er sich für die deutsch-französische Verständigung ein – bis kleinbürgerliche Betriebsamkeit ihn störte.
    Morgens schmieden, nachmittags schreiben
    "Geheimnis und Gewalt", diese explosive Abrechnung mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, wurde weder hüben noch drüben hinreichend gewürdigt und blieb ein Geheimtipp für Spezialisten der Exilliteratur. Als das Quartier Latin sich zum Spielplatz einer existentialistischen Bohème entwickelte, wechselte der schreibende Handwerker auf das rechte Ufer der Seine. Im Marais bezog dieser Querkopf in der Rue Beautreillis eine Werkstatt, mitten unter den kleinen Leuten, die damals dieses heute vom Tourismus überflutete Viertel belebten. Morgens schmieden, nachmittags schreiben, das war seine Verbindung von Hand- und Kopfarbeit.
    "Es is’ ja nich so, als ob ich mich isoliert hätte oder abgekehrt hätte, im Gegenteil. Aber meine Art und Weise, mich heute mit den Leuten zu verständigen, ist die, es ihnen zu zeigen und vorzuzeigen, was ich tue."
    Glaser starb am 18. Januar 1995 in Paris. "Ni fleurs, ni couronnes" stand auf seiner Todesanzeige: weder Blumen noch Kränze.