Am Anfang stand Angela Merkel:
"Die Idee zu dem Buch entstand im Jahr 2000, als ich mir im Zuge des Essener Parteitages der CDU, bei dem auch Angela Merkel zur neuen Vorsitzenden gewählt worden war, Gedanken gemacht hatte, wie Menschen überhaupt in die Politik kommen, weil sie ja auch eine sehr ungewöhnliche Biografie in der Hinsicht hat."
Es waren die damaligen Umstände, der Wechsel des CDU-Parteivorsitzes von Wolfgang Schäuble, dem Fast-Kanzler, zu Angela Merkel, der Später-Kanzlerin, die den Autor Georg Milde inspirierten:
"Da sind ja ganz neue Leute auch in Funktionen gewählt worden, in die sie sonst vielleicht erst Jahre später gelangt wären, wenn überhaupt. Und damit meine ich gar nicht Frau Merkel als Erste, sondern auch weitere in der Führungsriege, wo eine Partei sich doch stark verändert hat und auch die Wege in die Politik verändert wurden."
"Wege in die Politik", so heißt das Buch daher auch – und weiter: "75 Porträts von der Kriegsjugend bis zur Generation Internet". Milde, heute Herausgeber des Fachmagazins "politik & kommunikation" und einst Bundesgeschäftsführer der Jungen Union sowie persönlicher Mitarbeiter von Altbundeskanzler Helmut Kohl, hatte ein einfaches Konzept:
"Indem ich eigentlich immer nur die ganz allgemeine Frage gestellt habe: Wie sind Sie in die Politik gekommen? Mit den Unterfragen: Wer hat Sie geprägt? Was hat sie beeinflusst zu weiteren Schritten? Aber ruhig auch zu schauen, dass die Leute sehr offen antworten können."
Praktische Berufsberatung. Denn ursprünglich erschienen die Porträts im Mitgliedermagazin der Jungen Union, der Nachwuchsorganisation der Christdemokraten. Darin liegt, naturgemäß, eine der Schwächen des Buches. Denn dadurch wurden nur Politikerinnen und Politiker der C-Parteien ausgewählt – und es Bestand nur eine geringe journalistische Distanz. Doch in der Nähe liegt auch ein Reiz, denn Milde gelingt es, Spannendes zutage zu fördern. Wie beispielsweise im Porträt von Theo Waigel, dem ehemaligen CSU-Parteivorsitzenden und Bundesfinanzminister:
"Auf den Grabstein von August Waigel im Elsass werden immer wieder Euromünzen gelegt. Er ist der 1944 im Alter von 18 Jahren gefallene Bruder von Theo Waigel, der als Bundesfinanzminister die Einführung des Euro maßgeblich mitprägte. Eine gemeinsame Währung auf dem lange Zeit so umkämpften Boden. Waigel hat das Grab erst 1994 entdeckt, doch begleitet ihn die Botschaft der Folgen von Krieg und Völkerhass seit seiner Kindheit."
Der Euro, er ist auch heute noch – oder vielmehr wieder – Thema. Und genau in solchen Episoden liegt ein weiterer Wert des Buches: Denn der Leser bekommt nicht nur einen guten Überblick über das Personal der C-Parteien in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Hier seien nur Namen wie Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz, Markus Söder aus Bayern oder Jens Spahn aus Nordrhein-Westfalen genannt, die schon jetzt die Schwelle der Nachwuchshoffnung überschritten haben und die deutsche Politik wohl in den nächsten Jahren prägen werden; sondern man erfährt auch Zusammenhänge und Hintergründe, die bis heute aktuell sind, wie beispielsweise im Fall des ehemaligen Rechtsanwalts, Kanzleramt-Chefs und heutigen Bahn-Vorstandes Ronald Pofalla, dessen Name im Porträt von Stephan Holthoff-Pförtner auftaucht:
"Pofalla war es dann auch, der einen besonderen Kontakt herstellte: Im November 1999 rief mich Helmut Kohl an und fragte mich, ob wir ein längeres Gespräch führen könnten, erinnert sich Holthoff-Pförtner, der bis dahin noch nie mit dem Kanzler der Einheit geredet hatte. Er erzählte mir sechs Stunden lang, was in diesen Wochen als CDU-Spendenaffäre bekannt wurde und fragte, ob ich ihm helfen könne. Holthoff-Pförtner erbat sich eine kurze Bedenkzeit und sagte dann zu."
Und vertritt Kohl noch immer, aktuell auch bei den juristischen Streitigkeiten um die Rechte an seiner Biografie. Neben diesen Verbindungen lässt sich in dem leicht zu lesenden, mitunter anekdotischen Buch auch so mancher Erfolgsfaktor für die Karriere erkennen: Die Bedeutung des Netzwerkes und von Mentoren beispielsweise, dazu der Ehrgeiz, der aber mitunter krankhaft sein kann, wenn er bedeutet, alles andere aufzugeben. Über die nunmehr sieben Jahrzehnte der Bundesrepublik gab es aber immer auch andere, neue Herausforderungen, hat Autor Milde festgestellt:
"Die Generation derjenigen, die mit Anfang 20 aus der Kriegsgefangenschaft gekommen ist, beispielsweise, die standen ja vor völlig anderen Herausforderungen als beispielsweise die Babyboomer 20, 25 Jahre später. Die mussten schauen, beispielsweise wie Ernst Benda, dass die Freie Universität in West-Berlin gegründet wurde, weil sie nicht in Ost-Berlin weiterstudieren konnten oder wollten."
Dagegen stehen die Herausforderungen für die jetzige Generation wie Peter Tauber, aktuell CDU-Generalsekretär, oder Paul Ziemiak, dem heutigen Vorsitzenden der Jungen Union, der ein Nachwort verfasst hat:
"Heute ist es einfach von Globalisierung über die Chancen und Risiken der Digitalisierung bis hin zur aktuellen Flüchtlingsthematik, wo man ja auch nicht weiß, wie sich das über die Jahre entwickelt. Denjenigen ist schon bewusst, dass sie gar nicht wissen, wie die Welt von morgen aussieht. Man kann sie nur ein stückweit begleiten und dann vielleicht auch versuchen, Einfluss darauf zu nehmen."
"Befähigen", so nennt es JU-Chef Ziemiak in seinem Nachwort: Junge Menschen befähigen, Verantwortung für die Zukunft, die Gesellschaft und das Land zu übernehmen. "Wege in die Politik" zeigt dabei verschiedene Karriereverläufe auf – auch wenn die Inspirationsquelle vom Essener Bundesparteitag der CDU im Jahr 2000 selbst, die heutige Bundeskanzlerin Merkel, nicht in dem Buch auftaucht.
Buchinfos:
Georg Milde: "Wege in die Politik. 75 Porträts von der Kriegsjugend bis zur Generation Internet", B&S Siebenhaar Verlag, 2015, ISBN-10: 3943132463, 310 Seiten, Preis: 19,80 Euro
Georg Milde: "Wege in die Politik. 75 Porträts von der Kriegsjugend bis zur Generation Internet", B&S Siebenhaar Verlag, 2015, ISBN-10: 3943132463, 310 Seiten, Preis: 19,80 Euro