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Georg Stefan Troller
Geschriebenes mit Filmblick

In seiner Textsammlung "Mit einer Schreibmaschine" stellt der Filmemacher Georg Stefan Troller immer wieder die Frage nach der Authentizität des Gefilmten. Es sind spannende Eindrücke und Begebenheiten, die er auf höchst subjektive Weise und damit wie durch eine persönliche Brille beschreibt.

Von Beatrix Novy |
    Auch wenn es oft nicht beherzigt wird: Literatur und Leben sollte man nie ineinssetzen. Aber wie ist es mit, sagen wir: Dokumentarfilm und Leben? Wie nah ist das Dokumentarische dran an der Realität, oder, um gleich mit Georg Stefan Troller zu fragen: Wie authentisch ist gefilmte Realität?
    "Was wäre authentischer als der in hundert historische Montagen eingeschnittene Sturm der jungen Sowjettruppen auf das Winterpalais von Sankt Petersburg - außer dass die Szene aus einem Spielfilm von Eisenstein stammt?"
    Die wechselseitige Durchdringung von Fiktion und Wirklichkeit, Erlebtem und Erfundenem, kurz: Dichtung und Wahrheit steht als ein Leitmotiv über dieser Textsammlung, einer aktualisierten Auswahl aus dem – bisherigen - Lebenswerk des 82-jährigen Georg Stefan Troller. Die Wirklichkeit gebe es schon, die müsse man nicht mehr abbilden, hatte er einmal gesagt, als er über seine Fernseharbeit sprach, also das erklären wollte, was ihn legendär gemacht hatte. Seine Reportagen und Interviews, für die er immer einen ausdrücklich subjektiven Zugang suchte und, weil er letzten Endes Literat war, auch immer fand, sollten mindestens eine Ahnung der unendlichen Vielfalt hinter jeder Realität vermitteln. "Mit meiner Schreibmaschine" stellt verschriftete Interviews neben grundsätzliche Texte zu Theorie und Praxis des Dokumentarischen.
    Ausführlich und aufrichtig seziert Troller das subtile Machtbedürfnis, das hinter dem Sich-Einfühlen ins jeweilige Gegenüber steht; journalistischer Vampirismus als Aneignung von Welt, umso notwendiger, wenn man von dieser Welt nicht jederzeit akzeptiert wurde. Was auf ein weiteres Leitmotiv in Trollers Leben verweist: die Emigration, in die der 17-Jährige 1938, beim sogenannten Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland, gestoßen wurde. Erst nach endlosen Papierkriegen, Schikanen und monatelanger Todesangst erreichte er das rettende Amerika. Seine bittere Erfahrung: Niemand erwartete ihn dort. Und wie fast alle anderen Geistesarbeiter litt auch er unter dem Verlust der Sprache.
    "In einem versteckten Winkel seines Herzens sieht also der exilierte Schriftsteller keine Lebensberechtigung mehr für sich selbst. Er, der nach außen hin das "bessere Deutschland" repräsentiert, fühlt sich im Innersten als Deserteur, als Verräter an der Sprache und daher am Volk, das ihn verstieß. Und das Ausland, unser Retter, unser Gastgeber, war ja nicht selten der gleichen Meinung."
    Es war ja nicht Trollers erste Erfahrung mit Ablehnung. Der aggressive Wiener Antisemitismus hatte sein junges Leben schon vor der Emigration vergiftet. Daneben stehen die freundlichen Erinnerungen an das Leben in einer jüdischen Familie, deren Assimilation sie nicht davor schützte, permanent auf ihr Jüdischsein gestoßen zu werden. Ein Schutz vor dieser habituellen, oft geradezu jovialen Ausgrenzung war der berühmte jüdische Witz, den Troller in allerlei Variationen ausbreitet.
    "Es ist mehr als die übliche jüdische Selbstverspottung. Es ist Humor in der Löwengrube, Spiel am Abgrund."
    Dem Abgrund entstiegen, sah Troller seine Heimatstadt erst nach dem Krieg wieder, als amerikanischer GI. Sein zweites Leben, das 1949 in Paris begann, ist dokumentiert in einer Reihe von Interviews – Gespräche mit Berühmtheiten vor allem des Geisteslebens, von der Art, die ihn, den Reporter des deutschen Fernsehens, selbst berühmt machte, mit seinem lakonisch-beiläufigen Sprechduktus, der so ungeschliffen wirkte wie er raffiniert war; wer diesen Duktus kennt, glaubt ihn den gedruckten Worten anzuhören. Merkwürdig ist es schon, dass im Zeitalter des totalen Fernseh- und Audiokonsums die Erzeugnisse ausgerechnet eines Fernsehreporters, deren Wirkung auf Bild und Ton und gesprochener Sprache beruhte, jetzt erzählt werden – gleichsam ein Stück entwirklicht. Aber auch angereichert, mit Erinnerungen, späteren Einsichten, Nachträgen – und dem unvermeidlichen Stück Dichtung, die zur Wahrheit nun mal dazu gehört. Da braucht sich keiner zu wundern, wenn die berühmten Sprüche von Leuten wie Groucho Marx, Simone de Beauvoir oder Karl Valentin ausgerechnet in einem Interview mit Georg Stefan Troller gefallen sind. Ganz sicher ist das, was wir von Troller über Céline, Wallis Simpson oder André Malraux erfahren, so wahr, wie es nur sein kann. Aber auch nicht wahrer.
    "Natürlich bleibt auch das ausführlichste Interview – wie ja auch der eventuelle Dokumentarfilm, in den es eingebaut ist – nur flüchtige Skizze, nie Porträtbild in voller Figur. Allzu unauslotbar die menschlichen Labyrinthe."
    Denn wie heißt es in Büchners Woyzeck: Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schaudert einen, wenn man hinabblickt.
    "So ziemlich das Beste, das man erhoffen kann, ist es, annähernd die Lebensdichte solcher schematischen Figuren zu erreichen wie Konsul Buddenbrook oder Mister Pickwick! Alles Übrige wäre Vermessenheit."
    Aber selbst, wenn er einen seiner Interviewpartner jahrelang hätte studieren können, er wäre ihm nicht unbedingt nähergekommen als in dem einen entscheidenden Moment des Gesprächs, in dem er die richtige Frage stellte. Der eine Moment der Überrumpelung. Indem er das glaubt, zeigt Troller sich ganz als Mann des schnellen Mediums. Und doch: Was für ein Vergnügen, ihn auch zu lesen.
    Georg Stefan Troller: "Mit meiner Schreibmaschine. Geschichten und Begegnungen"
    Edition Memoria 2014, ISBN 978-3-930353-33-0