Die Verwandlung des amerikanischen GI in einen berühmten europäischen Journalisten beginnt mit einer Missetat. Auch nach einem dreiviertel Jahrhundert wird sie nicht offen zugegeben, sondern in einer flüchtigen Formulierung versteckt: "Alle Aufnahmen, die ich vom Krieg machte", schreibt Georg Stefan Troller, "datieren von diesem Zeitpunkt her". Von welchem bitte? Es ist der Moment, in dem er einen deutschen Soldaten mit einer Leica "gefangen nimmt", ihn aber zugleich enteignet – erster Schritt in eine Medienkarriere hinein. "Nicht weniger bildverliebt als sprachverbuhlt" charakterisiert sich der neue Leica-Fotograf später in seiner Selbstbeschreibung, und das allein ist schon eine wunderbare Illustration des erotischen Verhältnisses zum Wort, diese Preziose "sprachverbuhlt"!
Beispiellose Karriere in den technischen Medien der neuen Zeit
Georg Stefan Troller, der mit 17 aus Wien flüchten musste und mit 24 nach Europa zurückkehrte, tritt uns als 95-jähriger Autor wie ein Zeitreisender entgegen. Damals, als das schnellste Medium Radio und nicht Twitter hieß, die Aufnahmegeräte 25 bis 30 Kilo wogen und das Fernsehen zaghaft flackernd die ersten Bilder in die Welt sandte, damals hatte das Wort noch eine überragende Bedeutung. Das Bild schickte sich indes bereits an, ihm diese zu nehmen. Der "deutsche Kulturjude", wie er sich später ironisch nannte, konnte als Journalist allerdings noch zwei Neigungen zugleich ausleben, nämlich ans wortgeprägte kulturelle Erbe anknüpfen und doch eine beispiellose Karriere in den technischen Medien der neuen Zeit machen. Erst als Radio-, dann als Fernsehkorrespondent in Paris, belieferte er deutschsprachige Redaktionen mit Aufklärungsstücken, die einigen Leuten deutlich zu weit gingen. Unverblümt schrieb ihm ein österreichischer Sender Mitte der 50er-Jahre: "Ihr Bericht über Indochina konnte leider nicht verwendet werden, da darin zu viele Wahrheiten enthalten sind."
Als Exilant in Paris - der einzigen Metropole Europas
Ins Tabu-Gefüge der Täternationen passte Georg Stefan Troller nicht hinein, weswegen er als Exilant in Paris blieb und nicht ins heimatlich-feindliche Wien zurückkehrte. Die Städte vergleichend, verleiht Troller nur Paris den Metropolen-Status, weil es in den 50er-Jahren "unmoralisch, frech, zerebral, dünkelhaft, ostentativ und auch furchteinflößend" daherkam – eine durchaus verlockende Mischung für Freigeister. Ein solcher ist der hochbetagte Jubilar Zeit seines Lebens geblieben, doch im Rückblick auf die ersten Jahrzehnte seines Berufslebens wird schnell klar, dass der Hoffnungsschimmer 1945, als nach Kriegsende alles hätte anders, besser, humaner werden können, eben nur ein kurzes Aufblitzen blieb.
Schon bei der Rückkehr des GI nach Amerika zeigt sich das Bild einer Supermacht, die ihre Weltkriegs-Offiziere zu Lastwagenfahrern absteigen lässt und es mit der Gleichheit kaum ernst nimmt. Als Troller Ende der 40er-Jahre durchs Land trampt, wird er in den Südstaaten zuerst darauf taxiert, ob er ein ... nein, nicht Jude, aber doch ein "Mex" sei, was ebenso diskriminierende Folgen gehabt hätte. Bekanntlich ist der Mexikaner bis heute Hauptfeindbild ganzer Wählermassen. In Frankreich, das Troller zweifelsohne liebt, ist es mit den Frauenrechten nicht weit her, und Journalismus definiert sich hauptsächlich durch staatstragendes Schweigen. Und im deutschsprachigen Raum gibt sich der Emigrant lieber als Elsässer aus, denn sich zu seinem Wiener Judentum zu bekennen.
Trollers Fragekunst
Die erst jüngst verfassten Erinnerungsstücke mit ihrem Schwerpunkt auf den Pariser Journalisten-Jahren zwischen 1950 und 1970 mögen lückenhaft sein – zur Verklärung neigen sie nicht. Junge Kollegen finden darin sogar zeitlose Tipps. Zum Beispiel niemals zu glauben, ein Interviewter liefere einem das gewünschte Material. Nur wenn man selbst mehr weiß als der Interviewte – und dementsprechend informiert fragt – hat man die Chance auf mehr als nur Platitüden. Ganz wichtig: Die "unverschämten Fragen immer erst nach einigen verschämten" anbringen!
Für seine TV-Porträts, die auf eben jener Fragekunst basierten, ist Troller berühmt geworden, aber dass es die Gattung praktisch nicht mehr gibt, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack beim Leser. Georg Stefan Troller selbst steht am Ende eines erfüllten Lebens. "Es wächst die Wurschtigkeit", erklärt der 95-Jährige am Schluss des Buches in einem Interview. Er meint damit nicht die allgemeine Wurschtigkeit der Welt, sondern die Gleichgültigkeit eines Greises gegenüber der Zukunft.
"Die schönste Nation ist die Resignation"
Dem Buch ist diese oder andere Wurschtigkeit zum Glück nicht anzumerken. Der Rückfall ins Wiener Idiom seiner Kindheit bleibt der einzige Beleg für beginnenden sprachlichen Gleichmut. Doch wenn Troller dann Nestroy zitiert, klingt dies gleich wieder doppelsinnig-vertrackt, nämlich als Heim- wie Abkehr gleichermaßen. Und was sagt Nestroy? "Die schönste Nation ist die Resignation."