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Georg von Wallwitz: "Mr. Smith und das Paradies"
Ehrenrettung der Ökonomie

In "Mr. Smith und das Paradies" führt Georg von Wallwitz durch die Entwicklung der Ökonomie - beginnend bei Voltaire. Das Werk liefert Hintergrundinformationen, verzichtet gleichzeitig aber nicht auf Exkurse in die Gegenwart, die dem Buch erst seine Bedeutsamkeit verleihen.

Von Michael Schmitt |
    Man muss nicht Leo Tolstoi lesen, um zu wissen, dass derjenige, der über Geld verfügt, alle die "im Sack" hat, die keines besitzen. Man muss nicht Charles Dickens schmökern, um sich ein Bild von der Eiseskälte der frühen Industrialisierung zu machen, dazu reicht auch der Blick in die einschlägige Fachliteratur der jeweiligen Zeit. Aber Wohl und Wehe von Wirtschaft und Markt werden in der erzählenden Literatur oft ausgreifender, eindringlicher und mit mehr Einfühlung geschildert, als von der Wirtschaftswissenschaft. Mehr noch: Die enge Verbindung zwischen beiden, den ökonomischen Theorien und der Bedingungen, unter denen sie Geltung beanspruchen, wird in fiktiven Geschichten oft klarer, als in den von Interessen geleiteten, daher auch teilweise blinden Ausführungen der Markt- und Finanzstrategen. Die Ökonomie ist stets ein Kind ihrer Zeit, in ihren Stärken und ihren Schwächen.
    Das schreibt ein studierter Philosoph und praktizierender Münchner Vermögensberater. Georg von Wallwitz hat sich vor zwei Jahren einen Namen gemacht, weil er das Desaster der Finanzmarktkrise launig und einleuchtend damit erklärte, dass auf dem Börsenparkett, in Banken und in Unternehmensberatungen auch nur Menschen agieren, die mit Wasser kochen. Er hat Banker und Berater als Funktionsträger beschrieben, die auch nur nach der Sicherheit in der Masse streben, auch wenn sie seit den 80er-Jahren zum überlebensgroßen Vorbild in Sachen Erfolg und Glamour aufgestiegen waren. Die lieber alle den gleichen Fehler machen, als das Wagnis einer ungewöhnlichen Handlungsweise einzugehen, die nicht schlechter und nicht besser sind als jede andere Sorte Mensch - und dann mit einem Mal vor dem Aus standen. "Odysseus und die Wiesel" hieß das Buch, es machte Furore, es zeugte von Belesenheit in literarischer wie ökonomischer Hinsicht, es war keine der vielen eiligen Anklagen gegen die "Heuschreckenkultur", die auch ohne näheres Wissen im Detail schnell herbeizitiert und beklagt werden kann.
    Schöngeistern, erklärt von Wallwitz im neuen Buch etwas spöttisch, falle die Bedeutung der Ökonomie meist nur dann auf, wenn es zu so epochalen Einbrüchen wie eben 2008 komme – und wenn sein früheres Buch vor allem eine Analyse des Menschentypus war, der die Krise herbeigeführt hatte, dann ist sein neues Buch, das soeben beim Berenberg Verlag erschienen ist, vor allem eine Art von Ehrenrettung der Ökonomie als Wissenschaft und eine Verortung der historischen Entwicklung dieses Faches in den gesellschaftlich-politischen Verhältnissen.
    "Mr Smith und das Paradies" liefert sozusagen Hintergrundinformationen, die in v. Wallwitz' früherem Buch nur eingestreut waren, verzichtet aber nicht auf die Exkurse in die Gegenwart, die diesem Wissen erst seine Bedeutsamkeit verleihen. In sechs Kapiteln, mit dem Mut zur Lücke und mit dem Anspruch darauf, markante Wegmarken zu bezeichnen, führt er durch die Entwicklung der Ökonomie, beginnt bei Voltaire und endet in der Gegenwart. Das ökonomische Spielfeld einer Gesellschaft sollte aussehen wie ein glatter Rasen, sagt er sinngemäß zu Beginn, aber zumeist sei es eher beschaffen wie ein holpriger Bolzplatz. Und der erste dieser Bolzplätze, den er genauer beschreibt, ist das spät-absolutistische Frankreich zur Zeit des Philosophen Voltaire, dem in seiner Heimat der Aufstieg in die höchsten Gesellschaftsschichten verweigert wird, der daher nach England auswandert und schon bald den englischen Kaufmann, die Risikofreude und das bürgerliche Selbstbewusstsein für zukunftsträchtiger befindet als die Stickigkeit der französischen Monarchie.
    In seinen "Philosophischen Briefen" erklärt er England zum Vorbild, sagt, dass die Börse den Menschen befriedet, dass der Handel ihn sozialisiert, dass das Streben nach individuellem Wohlstand jedem Land besser diene als die Knute des Adels oder die Bevormundung durch die Kirche. Im Rückblick mag das arg optimistisch gedacht sein, es erklärt sich aber aus den Umständen der Zeit und nicht zuletzt aus Voltaires Charakter, der persönlich mit dem Begriff "Gewinn-Maximierung" sehr viel anfangen konnte.
    Voltaire verheirate die Ökonomie mit der Politik, schreibt von Wallwitz – und folgt dieser einmal gelegten Spur über Adam Smith und dessen ideal gedachtes Buch vom "Wohlstand der Nationen" bis zu den düsteren Theorien von David Ricardo angesichts des Massenelends des frühen Proletariats. Er beschreibt die Randständigkeit von Jean Jacques Rousseaus Idealisierung der naturnahen, primitiven Gesellschaften, die einem Mann wie Voltaire nur bissigen Spott entlockt. Widmet sich dem Anarchisten Mikael Bakunin genauso ausführlich wie den Theorien von Karl Marx – und ganz besonders dann den Einsichten von John Maynard Keynes. Unzählige literarische Beispiele für die Darstellung entsprechender Verhältnisse werden angeführt. Auf rund 200 Seiten ergibt das eine wahre tour de force für die "gebildeten Stände" - und an genau solche Menschen richtet sich ja auch eine regelmäßige Online-Kolumne, die Georg von Wallwitz auf seiner Website veröffentlicht.
    Es steckt viel altmodischer Anspruch und ein wenig Ironie in einem solchen Vorhaben. Manchmal geraten die Darlegungen ein bisschen weitschweifig, zuweilen wirken sie ein wenig gespreizt, das stört aber selten, weil dem Buch nämlich vor allem eines gelingt: zusammenzuführen, was zusammengehört, was aber in Wirtschaftsfeuilletons, etwa auch in "brand eins", oder in Börsennachrichten nie in vergleichbarer Weise zu lesen ist. Hier spricht ein im klassischen Sinne vielfältig gebildeter Mensch, und genau das verbindet von Wallwitz' Ehrgeiz mit dem Werk von John Maynard Keynes, der auch Philosophie studiert hatte, dazu Mathematik und Geschichte, der mit Künstlern und Schriftstellern Umgang pflegte und nach der Weltwirtschaftskrise eindringlich für wirtschaftspolitisches Engagement des Staates plädierte – weil man die Ökonomen auf dem Weg zum Paradies nicht allein lassen sollte.
    Georg von Wallwitz: "Mr. Smith und das Paradies. Die Erfindung des Wohlstands in sechs Miniaturen"
    Berenberg Verlag, Berlin 2013, 200 Seiten, 22 Euro