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George Cukor und das weibliche Geschlecht

Der Hollywoodregisseur George Cukor ist vor 30 Jahren gestorben. In Erinnerung ist er geblieben vor allem als Frauenregisseur. Denn oft waren es Protagonistinnen, die im Mittelpunkt seiner Filme standen. Auf dem 66. Filmfestival Locarno wird er mit einer Retrospektive geehrt.

Von Rüdiger Suchsland |
    Er war ein Geschöpf der goldenen Ära Hollywoods. Man nannte ihn den "Meister der Eleganz", und seine Karriere umspannte über fünf Jahrzehnte - von den letzten Jahren des Stummfilms bis in die frühen 80er, als er der älteste noch arbeitende Hollywoodregisseur war: George Cukor, geborenen 1899, gestorben 1983.

    Jetzt ist ihm bei den Filmfestspielen von Locarno die große Retrospektive gewidmet, und man zeigt nahezu sein komplettes Werk von immerhin 50 Spielfilmen - Gelegenheit für eine Wiederentdeckung dieses etwas in den Hintergrund gerückten alten Meisters und Gelegenheit, in der Gesamtschau einmal nach Leitmotiven zu forschen, und nach der Aktualität dieses Werks zu fragen.

    Cukor war ein Erfolgsmensch und hat nahezu alles erreicht, was man in der Filmindustrie seiner Zeit erreichen konnte. Während der 30er- und 40er-Jahre gehörte er zu den meistbeschäftigten Regisseuren in Hollywood. MGM hielt ihn viele Jahre unter Vertrag, andere Studios rissen sich darum, ihn "ausgeliehen" zu bekommen.

    Er drehte mit allen Stars seiner Epoche: Mit Greta Garbo und Marilyn Monroe, Joan Crawford und Ingrid Bergman, er drehte den ersten Film von Kathryn Hepburn, die insgesamt zehnmal unter seiner Regie gespielt hat, die erste amerikanisch-sowjetische Ko-Produktion, und schließlich "My Fair Lady" nach George Bernhard Shaws "Pygmalion", mit Rex Harrison als Professor Higgins und Audrey Hepburn als Eliza Doolittle. Für diesen Film bekam George Cukor 1964 dann auch endlich den ersehnten Regie-Oscar.

    Nur einmal erlitt er eine schwere Niederlage: 1939 als er mitten im Dreh von "Vom Winde verweht" von seinem Freund David O. Selznick gefeuert wurde - auf diesem Ausdruck bestand er zeitlebens -, und durch Victor Flemming ersetzt. Es heißt allerdings, er habe bei diesem Film trotzdem als eine Art Geisterregisseur vielen Schauspielern, auch Vivien Leigh, bis zum Ende der Dreharbeiten Tips gegeben.

    Cukor gilt bis heute vor allem als bedeutender Frauenregisseur, als ein Filmemacher, der im Gegensatz zum Mainstream weibliche Charaktere ins Zentrum rückte: so in "Die Kameliendame", "Die Nacht vor der Hochzeit", "Die Frau mit den zwei Gesichtern", "Girls", "A Star is born", gleich zu viert in "Vier Schwestern" und zu acht in "Die Frauen".

    Das weibliche Geschlecht in diesem Film ist keineswegs idealisiert, sondern eitel und zickig, hinterhältig und intrigant. Das ist überraschend, denn meistens sind die Frauen bei Cukor den Männern überlegen – durch ihre Intelligenz, ihre Sensibilität, ihre Sprachgewandtheit. Niemand hat in Hollywood die Schönheit und den Charme der Frauen so ausdauernd gefeiert wie Cukor. Es sind für die damalige Zeit oft höchst fortschrittliche Plädoyers für solche Angehörige des weiblichen Geschlechts, die ihre eigene Rolle in der Gesellschaft zu spielen vermögen, und gegen Vorurteile und Borniertheit ankämpfen. Elegante, aber zielstrebig tragen sie den Sieg davon. So vermittelt sein Werk über die Jahrzehnte ein ausgezeichnetes Spiegelbild der gesellschaftlichen Position der Frau.

    George Cukor war wie so viele große Filmemacher seiner Zeit ein Kind europäischer Emigranten, in seinem Fall jüdischer Ungarn, die angeblich stolz darauf waren, ihre Familie bis in die Zeit vor Christi Geburt zurückverfolgen zu können. Später war er politisch ein Linksliberaler und einer der ersten ganz offen Homosexuellen Hollywoods.

    Eloquent, großzügig, liebenswürdig, und gebildet, residierte er ein halbes Jahrhundert lang in einer riesigen Villa im neo-italienischen Stil, einem der opulentesten Anwesen am Rand von Beverly Hills, die für viele zum Inbegriff der Goldenen Jahre Hollywoods wurde. Cukors Einladungen waren berühmt und begehrt.

    Die Lust am Gesellschaftlichen ist ein weiteres Element, das viele seiner Filme verbindet: Viele von ihnen sind Gesellschaftsbilder, Sittengemälde wie die frühe Screwball-Komödie "Dinner at Eight" von 1933 mit Jean Harlow:

    Schließlich hat auch die Welt des Showbusiness mit ihrer Verschmelzung von Sein und Schein Cukor immer interessiert. In "A Star is Born", der vom Studio übel verschnitten wurde, wie in "Die Girls", und "Machen wir’s in Liebe". Besonders die "Girls", eine weithin unterschätzte Komödie, überzeugt als Meditation über die Relativität von Wahrheit und die Unterschiedlichkeit von Wahrnehmungen. Ob reales Leben oder die Welt der Bühne – alles ist bei Cukor eine Frage des Standpunkts.

    Auch einen Film über die Filmindustrie hat Cukor gedreht: In "What price Hollywood" erzählt der die alte Story vom Aufstieg eines kleinen 08/15-Girls zum Filmstar.

    Eine entlarvende, amoralische Geschichte, in der Hollywood moralisch schon zu Anfang am Ende ist - und gerade darin, in seinem präzisen Blick ist George Cukor in einem krisengeschüttelten Hollywood ungebrochen aktuell.