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"George Tabori ist ein absolutes Wunderwerk"

George Tabori war für den österreichischen Dramaturgen Hermann Beil ein Theatermacher, der Stücke voller Melancholie, Weisheit und Witz kreiert hat. Mit seiner Art habe er eine Reihe von Schauspielern geprägt, die durch ihn eine Freiheit des Spiels erlernt hätten. Tabori habe Theater und Leben nicht getrennt und durch seine Freundlichkeit, mit der er Menschen begegnete, bestochen.

24.07.2007
    Katja Lückert: Einer, der bis zum Schluss mit Tabori sehr eng zusammengearbeitet hat, ist der österreichische Dramaturg Hermann Beil, immer vielleicht ein wenig im Schatten von Claus Peymann stehend, aber doch heute eine der bekanntesten Gestalten der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Für die Hoffestspiele in Recklinghausen inszenierte Beil Taboris Stück "Gesegnete Mahlzeit". Herr Beil, Sie arbeiteten viele Jahre Seite an Seite, waren Freunde sogar geworden. Wie erlebten Sie Tabori in seinen letzten Tagen?

    Hermann Beil: Er war tatsächlich voller, voller Pläne und ständig am Nachdenken, was er jetzt noch schreiben würde und immer wieder hat er mir gesagt, "nächste Woche gebe ich dir den Text", nicht? Er hat ihn natürlich nicht geschrieben, aber sozusagen in seinem Bewusstsein, oder in seiner Fantasie hat er geglaubt, er hat ihn geschrieben. Es war tatsächlich so, dass er bis zum letzten Moment, oder fast bis zum letzten Moment seines Lebens voll Bewusstsein war und auch, manchmal auch ganz weit weg, aber auch wenn er ganz weit weg war, war er immer beim Theater und hat imaginär inszeniert, mit Schauspielern gesprochen, stundenlang.

    Lückert: Claus Peymann, der Intendant des Berliner Ensembles, hat gesagt, "Taboris Tod hinterlässt eine Lücke, die sich nicht schließen lässt, solche Menschen wachsen nicht nach". Was lohnt es sich zu retten an der Ära Tabori für Sie persönlich, aber auch vielleicht als Regisseur?

    Beil: Na ja, es gibt die Stücke von Tabori. Er hat eine ganze Reihe besonderer schöner Stücke geschrieben. Ich durfte ja vor ein paar Monaten eins in Karlsruhe am Staatstheater dort inszenieren, die "Goldberg-Variationen". Und ich habe vor, vor fünf Jahren hab ich am LTT Tübingen "Jubiläum" inszeniert und jedes Mal hab ich gesehen, was für herrliche Stücke das sind. Tolle Schauspielerrollen, aber auch wundersame, wunderbare Stücke voller Melancholie und Weisheit und Witz und Gegenwart. Also, in der Form gibt es den George Tabori weiter.

    Und es gibt auch ihn weiter durch die Schauspieler, die er inspiriert hat und geprägt hat. Es gibt eine ganze Reihe von Schauspielern, die ihm begegnet sind und die auch durch ihn eine Freiheit des Spiels und eine Freiheit ohne Angst im Spiel gewonnen haben. Wenn die das einmal erlebt haben, wie man probieren kann, auf eine spielerische improvisatorische Weise Fragen suchend nicht irgendwelche Konzepte exekutieren, sondern die eigene Fantasie wecken. Diese Schauspieler, die das erlebt haben, die werden das in ihrer eigenen Arbeit auch weiterhin bewahren, nicht? Also, natürlich ist der George Tabori ein absolutes Wunderwerk, ja? Das habe ich gerade in diesen letzten neun Monaten besonders empfunden. Weil für ihn war ja Theater und Leben nicht getrennt. Das hat sich auf eine so schöne, ideale Weise verbunden. Und er konnte das dann in einer Art weitergeben, die auch ganz selten ist, aber man merkt, wie wichtig das ist, nämlich die Freundlichkeit. Also er begegnete allen Menschen ja mit großer Freundlichkeit, nicht, und hatte nie irgendwelche Aversionen zur Schau getragen oder kannte auch nicht irgendwelche Parteiungen oder Fraktionen, sondern er konnte eigentlich mit jedem Menschen gut, nicht?

    Wobei er in der Arbeit genau war, er war sehr genau, aber es war eine Genauigkeit, die sozusagen hervorgelockt wurde und nicht aufoktruyiert wurde. Also ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Menschen hab, auf diese Weise hab kennenlernen. Das empfinde ich als wirkliches Geschenk. Für mich strahlt er etwas aus wie das unsterbliche Theater.

    Beil: Der Dramaturg Hermann Beil erinnerte an George Tabori, der gestern Abend im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben ist.