Die Georgenkirche in Eisenach. Luther predigt zur Reformationszeit, Bach wird hier einst getauft. Seitdem hat die Kirche auf dem Marktplatz im thüringischen Eisenach für evangelische Christen eine herausragende Bedeutung. Als die Kirche jüngst umfangreich saniert wurde, traten jedoch alte Akten zutage, die eine ganz andere Geschichte offenbarten. Die Geschichte, wie Bibelworte in Nazi-Deutschland weichen mussten. Bibelworte, die bis dahin im ganzen Kirchenraum zu lesen waren.
"1940 hat man eine Liste zusammengestellt von diesen Bibelworten, die verschwinden sollten und hat auch neue Bibelworte ausgesucht, allesamt aus dem Neuen Testament und zum Teil auch in einer etwas eigentümlichen Übersetzung. Ein Beispiel ist das, was das dort vorne steht: 'Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark.' So kennen wir die Lutherübersetzung und hier steht aber: 'Wachet, steht im Glauben, seid männlich und seid stark.'"
Alttestamentliche Bibelsprüche übermalt
Biblische Bilder und Texte schmückten die Emporen der Georgenkirche seit dem 17. Jahrhundert. Es sollen, so schätzt Pfarrer Stephan Köhler, bis zu 60 Verse gewesen sein. Im 19. Jahrhundert wurden sie teilweise entfernt, in den 1920er-Jahren wieder angebracht. Bis zum Jahr 1940. Da wurden Sprüche aus der hebräischen Bibel einfach mit Versen aus dem Neuen Testament übermalt.
"Die ausgeschiedenen Sprüche, die haben einen ganz anderen Klang. Jetzt mal ganz unabhängig davon, wo sie herkommen aus welchem Teil der Bibel, wird für mich da sehr deutlich, dass das ein ganz freundlicher Gott ist, von dem da die Rede ist. Und wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass von den 19 Bibelworten 12 weichen mussten, dann hat man auch ein Gefühl dafür, wie viel von der eigentlichen Substanz verloren gehen muss, wenn man in dieser Weise mit der Bibel umgeht."
Jesus als 'Arier'
Durch Eisenach wehte wie vielerorts der Geist einer völkisch-national gesinnten Christenheit. Im Wahn, die jüdischen Wurzeln des Christentums zu leugnen, gingen manche soweit, Jesus zum Arier zu erklären. Thüringen war unter Landesbischof Martin Sasse fest in der Hand der Deutschen Christen. Eisenach mit seinen zahlreichen kirchlichen Institutionen wurde zur Hochburg der mit den Nationalsozialisten paktierenden Protestanten. Im April 1939 gründeten sie dort ein Institut, das es sich zur Aufgabe machte, den, wie es hieß, jüdischen Einfluss in der Kirche zu beseitigen. An der Spitze dieses sogenannten Entjudungsinstituts stand Walter Grundmann. Ein junger, ehrgeiziger Theologe, so Michael Haspel, Direktor der Evangelischen Akademie Thüringens:
"Grundmann hat versucht, Jesus im Gegensatz zum Judentum darzustellen und das Judentum abzuwerten. Das war sein Hauptanliegen. Walter Grundmann war politisch überzeugter Nationalsozialist. Walter Grundmann hat versucht, nationalsozialistische Ideologie in die Kirche zu tragen und er hat eine Theologie vertreten, die militant antisemitisch ist und damit dem Antisemitismus des Nationalsozialismus zugespielt hat."
Das Entjudungsinstitut in Eisenach wurde von 13 Landeskirchen getragen. Bischöfe zählten zu seinen Mitgliedern, Oberkirchenräte, Pfarrer. Wer letztlich für die Aktion in der Georgenkirche verantwortlich war, lässt sich bislang nicht genau sagen. Bibelsprüche wurden seinerzeit auch in anderen Kirchen entfernt, jedoch war Bachs Taufkirche ein besonders prominenter Ort für diese antijüdische Demonstration. Dass bis zum zufälligen Aktenfund niemand etwas von der Übermalung der Bibelsprüche wusste, ist symptomatisch für den Umgang mit der unbequemen Vergangenheit. Viele Weggefährten aus den Tagen des Kampfes gegen das Judentum fanden nach dem Krieg wieder Anstellung im kirchlichen Dienst. Enge personelle Verflechtungen, deren Schatten bis in die Gegenwart reichen. Walter Grundmann wurde 1954 Rektor des Eisenacher Katechetenseminars. Er war damit erneut verantwortlich für die theologische Ausbildung.
"Ich muss nur sagen, wir waren alle von ihm begeistert. Es war ein ganz hervorragender Dozent."
Georg Harpain absolvierte Ende der 50er Jahre eine Ausbildung zum Diakon in Eisenach.
"Er hat, was das Neue Testament betraf, nach seinen Büchern, die ja dann auch paar Jahre später rauskamen, nach diesen Büchern hat er uns das Neue Testament gelehrt und da hat man also nichts mehr gemerkt aus diesen Zeiten im Dritten Reich, von diesem Entjudungsinstitut, was es hier in Eisenach gegeben haben soll, damals: soll. Wir wussten davon nichts. Uns wurde auch nichts in dieser Richtung gesagt."
"Er hat, was das Neue Testament betraf, nach seinen Büchern, die ja dann auch paar Jahre später rauskamen, nach diesen Büchern hat er uns das Neue Testament gelehrt und da hat man also nichts mehr gemerkt aus diesen Zeiten im Dritten Reich, von diesem Entjudungsinstitut, was es hier in Eisenach gegeben haben soll, damals: soll. Wir wussten davon nichts. Uns wurde auch nichts in dieser Richtung gesagt."
Akten des Entjudungsinstituts bis 1990 im Keller verstaubt
Erst nach und nach erfuhren Schüler wie Georg Harpain oder Lothar Teige von Grundmanns Wirken vor 1945.
"Ich wollt's nicht glauben bei diesem Mann, den ich so höre, so konzentriert, so fundiert in seinen theologischen Ansichten und Argumentationen. Ich habe den Eindruck, die Thüringer Landeskirche hat da auch den Deckel drauf gehalten, dass da nicht allzu viel zutage kam. Wir haben da auch bei der Landeskirche natürlich auch keinen Ansprechpartner gehabt, wir haben Grundmann selber angesprochen. Und ich muss sagen, das hat mich auch wieder sehr beeindruckt, wie er da reagiert hat. Er war erst einen ganzen Moment still und dann hat er gesagt, meine Herren, da kann ich nur von Schuld reden und auf Vergebung hoffen. Und dann war Schweigen im Raum und wir haben auch nicht weitergefragt. Was will man da weiter sagen?"
Die Akten des Entjudungsinstituts lagen bis 1990 unbemerkt im Keller des Landeskirchenamts. Erst mit ihrer Entdeckung begann allmählich die Aufarbeitung, doch das Engagement für eine kritische Auseinandersetzung ginge lange Zeit meist nur von Einzelnen aus. Akademiedirektor Michael Haspel:
"Ich halte das auch für einen Mythos, dass Grundmann ein guter Lehrer war. Denn zu einem guten Lehrer gehört für mich eine pädagogische Haltung zu der Achtsamkeit und Wahrhaftigkeit gehören und beides war Grundmann nicht. Er war nicht wahrhaftig. Er hat nie sich auseinandergesetzt mit seinen Positionen vor 1945 bis zu seinem Tode nicht. Und man muss auch ganz deutlich sagen, dass es bis heute keine wirkliche kirchliche Auseinandersetzung gibt mit den Positionen Grundmanns, mit der Rolle des Instituts, vor allem aber auch mit dem Nachwirken. Was hat das eigentlich bedeutet, dass Grundmann eine antijudaistische Theologie lehrt und ganze Generationen von Katechetinnen, damit Christenlehre in Thüringer Gemeinden und darüber hinaus erteilen? Welches Lehrmaterial wurde da eigentlich benutzt, welche Bilder von Jüdinnen und Juden wurden da gezeichnet und wie wirken sie fort?"
In der Eisenacher Georgenkirche sollen die entfernten Bibelverse bald wieder sichtbar gemacht werden. Sie werden einen neuen Platz an den Emporen finden, denn die zur Nazizeit hinzugekommenen Sprüche aus dem Neuen Testament sollen bleiben. Zu jedem entfernten Bibelzitat wird es eine Predigt geben. Den Auftakt Mitte Oktober macht Rabbiner Tovia Ben Chorin, dessen Vater Shalom Ben Chorin eine wichtige Stimme im jüdisch-christlichen Dialog war. Pfarrer Stephan Köhler:
"Ich höre ganz viele die sagen, das ist wichtig und gut, dass wir das machen und uns dieser Aufgabe stellen. Aber ich höre auch Stimmen, die sagen, darüber ist doch nie geredet worden, warum müssen wir das jetzt machen? Dann versuche ich das so zu erklären, was diese Wurzeln uns wert sein sollen und auch wie wichtig es ist, immer wieder dran zu erinnern, dass auch eben die Bibel oder der christliche Glaube missbraucht werden können und dass es wichtig ist, wachsam zu sein und hellhörig für das, was zu hinterfragen wäre."