"Was mich seit meiner Jugend interessiert hat, ist, Politik zu gestalten, nicht zu machen."
Georges Berthoin sitzt in seinem Pariser Appartement. Eleganter Anzug, wache Augen, Geburtsjahr 1925.
"Ich gehöre einer Generation an in der es galt zu konstruieren und zu rekonstruieren, das ist etwas anderes als "Politik machen."
Auf dem Flügel liegt ein Stück der Berliner Mauer, Meißel und Hammer dazu. Sein Sohn hat es 1989 aus jenem Beton geschlagen, der Deutschland teilte, und es seinem Vater geschenkt - eingehüllt in die Flagge Europas.
"Ich bin 1940 mit 15 Jahren in die Résistance gegangen. Mein Großvater war nach Sachsenhausen deportiert worden, mein Vater ist mehrfach von der Gestapo verhaftet worden - wir standen , wenn ich das so sagen kann, Deutschland deshalb sehr ablehnend gegenüber - aber mein Vater, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, war schockiert über den Versailler Vertrag. Und er hat mir stets gesagt: 'In besiegtes Land , das auch noch diskriminiert wird, revanchiert es sich eines Tages'. Das ist eine Regel des Lebens: Demütige niemals einen Gegner, der besiegt wurde. Niemals !"
Georges Berthoin unterstreicht seine Gesten mit entschiedenen Handbewegungen. Alle , sagt er, waren nach dem erneuten Krieg traumatisiert:
"Man musste sich entscheiden: Wiederum Revanche, weiterleben im Hass der Vergangenheit, oder eine neue Art des Zusammenlebens schaffen. Und das ist es, wofür wir uns entschieden haben, eine Entscheidung, hinter der eine bestimmte Geisteshaltung steckte."
Die ihn mit Jean Monnet und Robert Schuman verband.
"Für Europa in dieser Zeit zu arbeiten, hieß: Sich vom Geist der Revanche zu befreien."
Mit dem damaligen Außenminister Schuman eng befreundet, für Jean Monnet ein wichtiger Mitarbeiter und Berater:
"Mit Monnet ging das immer sehr rasch, er war da sehr amerikanisch, bei ihm galt: 'Ja' oder 'Nein', er kannte kein "vielleicht."
Schuman, Adenauer, de Gasperi - die Drei seien für die Konstruktion Europas eines Sinnes, sogar Glaubens gewesen.
"Aber sie brauchten ein technisches, ein wirtschaftliches Instrument. Da kam Monnet ins Spiel, weil er mit der Montanunion einen konkreten Vorschlag machte. Der Augenblick war günstig, die Stahlbranche und Rüstungsfragen standen im Raum, und er konnte die Drei sehr schnell überzeugen, dass hier eine konkrete Versöhnungsgeste möglich war."
Neu war, dass sich das gaullistisch geprägte Frankreich den gleichen Bedingungen unterwarf, wie Deutschland. Nicht Revanche, sondern beidseitiger Respekt, Würde, unterstreicht Berthoin.
"Adenauer hat das rasch verstanden und wir haben in wenigen Wochen all die europäischen Institutionen geschaffen, die es heute noch gibt, damals im embryonalen Zustand, aber das gemeinschaftliche Gleichgewicht , das wurde bis Januar 1953 kreiert."
Der Enthusiasmus etwas Neues zu schaffen habe ihn mit seinen deutschen Kollegen verbunden. "Wir hatten das Gefühl, so dem Fluch zu entkommen, der auf der europäischen Geschichte lag", sagt er.
"Was wir gemacht haben, war kein Beruf, kein Job, das war eine Mission. Wir kämpften für unsere Generation."
Der Schlüsselbegriff, den Monnets junger Mitarbeiter von einst bis heute als den zentralen Begriff ansieht, ist der der Gemeinschaftsmethode.
"Sie ist heute ein wenig abhandengekommen in Europa und das ist einer der Gründe, warum Europa in Schwierigkeiten steckt."
In großen Schwierigkeiten. Wenn Europa nicht bald zur Gemeinschaftsmethode zurückfinde, seine Institutionen demokratisch legitimiere, könne es zu spät sein:
"Die Gründe und Motive, die wir 1950, 1952 hatten, existieren nicht mehr, aber sie können zurückkehren."
Der so hochbetagte wie hochgebildete und hellwache Mann sitzt in seinem Sessel und wird erklären, warum er glaubt, dass eine Lösung für Europa allenfalls Monate, aber nicht mehr Jahre auf sich warten lassen darf. Und er wird einen Lösungsweg skizzieren, ähnlich klar und einleuchtend wie die "Methode Monnet".
Hören Sie Teil 2 und Teil 3 des Interviews mit Georges Berthoin am 17. und 18.04.13 in "Europa heute".
Georges Berthoin sitzt in seinem Pariser Appartement. Eleganter Anzug, wache Augen, Geburtsjahr 1925.
"Ich gehöre einer Generation an in der es galt zu konstruieren und zu rekonstruieren, das ist etwas anderes als "Politik machen."
Auf dem Flügel liegt ein Stück der Berliner Mauer, Meißel und Hammer dazu. Sein Sohn hat es 1989 aus jenem Beton geschlagen, der Deutschland teilte, und es seinem Vater geschenkt - eingehüllt in die Flagge Europas.
"Ich bin 1940 mit 15 Jahren in die Résistance gegangen. Mein Großvater war nach Sachsenhausen deportiert worden, mein Vater ist mehrfach von der Gestapo verhaftet worden - wir standen , wenn ich das so sagen kann, Deutschland deshalb sehr ablehnend gegenüber - aber mein Vater, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, war schockiert über den Versailler Vertrag. Und er hat mir stets gesagt: 'In besiegtes Land , das auch noch diskriminiert wird, revanchiert es sich eines Tages'. Das ist eine Regel des Lebens: Demütige niemals einen Gegner, der besiegt wurde. Niemals !"
Georges Berthoin unterstreicht seine Gesten mit entschiedenen Handbewegungen. Alle , sagt er, waren nach dem erneuten Krieg traumatisiert:
"Man musste sich entscheiden: Wiederum Revanche, weiterleben im Hass der Vergangenheit, oder eine neue Art des Zusammenlebens schaffen. Und das ist es, wofür wir uns entschieden haben, eine Entscheidung, hinter der eine bestimmte Geisteshaltung steckte."
Die ihn mit Jean Monnet und Robert Schuman verband.
"Für Europa in dieser Zeit zu arbeiten, hieß: Sich vom Geist der Revanche zu befreien."
Mit dem damaligen Außenminister Schuman eng befreundet, für Jean Monnet ein wichtiger Mitarbeiter und Berater:
"Mit Monnet ging das immer sehr rasch, er war da sehr amerikanisch, bei ihm galt: 'Ja' oder 'Nein', er kannte kein "vielleicht."
Schuman, Adenauer, de Gasperi - die Drei seien für die Konstruktion Europas eines Sinnes, sogar Glaubens gewesen.
"Aber sie brauchten ein technisches, ein wirtschaftliches Instrument. Da kam Monnet ins Spiel, weil er mit der Montanunion einen konkreten Vorschlag machte. Der Augenblick war günstig, die Stahlbranche und Rüstungsfragen standen im Raum, und er konnte die Drei sehr schnell überzeugen, dass hier eine konkrete Versöhnungsgeste möglich war."
Neu war, dass sich das gaullistisch geprägte Frankreich den gleichen Bedingungen unterwarf, wie Deutschland. Nicht Revanche, sondern beidseitiger Respekt, Würde, unterstreicht Berthoin.
"Adenauer hat das rasch verstanden und wir haben in wenigen Wochen all die europäischen Institutionen geschaffen, die es heute noch gibt, damals im embryonalen Zustand, aber das gemeinschaftliche Gleichgewicht , das wurde bis Januar 1953 kreiert."
Der Enthusiasmus etwas Neues zu schaffen habe ihn mit seinen deutschen Kollegen verbunden. "Wir hatten das Gefühl, so dem Fluch zu entkommen, der auf der europäischen Geschichte lag", sagt er.
"Was wir gemacht haben, war kein Beruf, kein Job, das war eine Mission. Wir kämpften für unsere Generation."
Der Schlüsselbegriff, den Monnets junger Mitarbeiter von einst bis heute als den zentralen Begriff ansieht, ist der der Gemeinschaftsmethode.
"Sie ist heute ein wenig abhandengekommen in Europa und das ist einer der Gründe, warum Europa in Schwierigkeiten steckt."
In großen Schwierigkeiten. Wenn Europa nicht bald zur Gemeinschaftsmethode zurückfinde, seine Institutionen demokratisch legitimiere, könne es zu spät sein:
"Die Gründe und Motive, die wir 1950, 1952 hatten, existieren nicht mehr, aber sie können zurückkehren."
Der so hochbetagte wie hochgebildete und hellwache Mann sitzt in seinem Sessel und wird erklären, warum er glaubt, dass eine Lösung für Europa allenfalls Monate, aber nicht mehr Jahre auf sich warten lassen darf. Und er wird einen Lösungsweg skizzieren, ähnlich klar und einleuchtend wie die "Methode Monnet".
Hören Sie Teil 2 und Teil 3 des Interviews mit Georges Berthoin am 17. und 18.04.13 in "Europa heute".