Ann-Kathrin Jeske: In Georgien kommt es seit einer Woche zu andauernden Protesten. Darüber haben wir hier im Deutschlandfunk schon berichtet. Am vergangenen Donnerstag hatte ein russischer Abgeordneter im georgischen Parlament eine Rede gehalten – das provokante Detail: Er hielt sie vom Sitz des Parlamentspräsidenten aus, auf Russisch. Warum das viele Georgier als demonstrative Zurschaustellung des russischen Machtanspruchs gegenüber Georgien werteten, darüber spreche ich jetzt mit meiner Kollegin Gesine Dornblüth. Sie beobachtet die Beziehung zwischen Georgien und Russland seit Jahren.
Frau Dornblüth, warum konnte dieser eine Auftritt eines russischen Politikers in Georgien so große Proteste auslösen?
Gesine Dornblüth: Russland wird in Georgien als Aggressor wahrgenommen. Russland hat ja 20 Prozent des georgischen Staatsgebiets praktisch besetzt. Es geht um die an Russland grenzenden Regionen Abchasien und Südossetien. Die haben sich Anfang der 90er Jahre blutig von Georgien getrennt und man muss wissen, hunderttausende Georgier wurden damals vertrieben und Russland unterstützt diese beiden Regionen seit langem, militärisch, politisch, wirtschaftlich; auch indem Russland russische Pässe ausgibt an die Bewohner von Abchasien und Südossetien.
Dann hat Russland auch noch beide Gebiete formal als unabhängige Staaten anerkannt und mehrere tausend Soldaten in den Gebieten stationiert, also auf georgischem Staatsgebiet. Das ist besonders sensibel, denn es gab ja 2008 einen kurzen Krieg zwischen Russland und Georgien, bei dem Russland weit in georgisches Kernland eindrang und auch das ist bei den Georgiern noch sehr präsent. Deswegen sehen sie die russische Führung wirklich als Feind.
Mehrheit der georgischen Bevölkerung proeuropäisch
Jeske: Wie groß ist der russische Einfluss in Georgien im Rest des Landes?
Dornblüth: Politisch ist er gering. Georgien will in die EU und in die NATO und das ist die Meinung einer großen Mehrheit in der Bevölkerung. Es gibt zurzeit keine wirklich einflussreiche prorussische Partei oder Strömung in Georgien. Auch wirtschaftlich ist Georgien schon lange nicht mehr so abhängig von Russland, wie es das mal war. Das Handelsvolumen mit der EU zum Beispiel ist weit höher.
Allerdings ist Russland der mit Abstand wichtigste Abnehmer für georgischen Wein und damit wichtig für viele georgische Kleinbauern. Georgien ist landwirtschaftlich geprägt und auf den EU Markt haben es bisher nur sehr wenige georgische Winzer geschafft. Und dann gibt es noch eine wichtige Branche, den Tourismus. Seit einigen Jahren steigen die Zahlen der Urlauber aus Russland sprunghaft. In diesem Jahr kamen schon mehr als acht Millionen, das ist fast so viel wie im gesamten Jahr 2018 und das Doppelte immerhin der georgischen Bevölkerung.
Jeske: Sie haben jetzt gerade schon den Tourismus angesprochen. Nun hat Wladimir Putin mit Flugverboten auf die Proteste in Georgien reagiert. Hat das auch etwas mit dem Tourismus zu tun?
Dornblüth: Also der Erlass heißt ja offiziell Ukas - zum Schutz der nationalen Sicherheit Russlands und seiner Bürger. Und darin werden nicht nur Flüge nach Georgien ab dem 8. Juli verboten, sondern russische Tourismusbetriebe sollen überhaupt keine Reisen nach Georgien mehr verkaufen und die russische Regierung soll die Rückholung russischer Staatsbürger aus Georgien vorbereiten.
Das ist ganz klar Stimmungsmache. Denn Russen sind in Georgien nicht gefährdet, trotz der Proteste. Sie sind gut gelitten als Urlauber, solange Politik außen vor bleibt. Im Übrigen hat ja Georgien vor einiger Zeit schon einseitig auch die Visapflicht für Russen aufgehoben. Es geht dem Kreml darum, die Wirtschaft Georgiens zu schädigen und Unruhe zu schüren. Es ist eine Machtdemonstration von Russland und - man kann sich fragen, 'Warum tut Russland sowas?' - Russland tut es, weil es das kann. Um dem Nachbarn zu zeigen: 'Legt Euch nicht mit uns an!'.
Zugeständnisse der Regierung sollen Bevölkerung besänftigen
Jeske: Jetzt ist es so, dass der Protest der Bevölkerung sich nicht nur gegen Russland richtet, sondern vor allem gegen die eigene Regierung. Welche Position nimmt denn die georgische Regierung in diesem Konflikt ein?
Dornblüth: Der Chef der Regierungspartei Bidsina Iwanischwili, der ist ein Milliardär, der sein Geld in Russland gemacht hat. Und als er 2012 mit seiner Partei ins Parlament einzog, da fürchteten viele, er werde Georgien an Russland heranführen. Das hat sich jetzt nicht bewahrheitet. Bei den Protesten geht es deshalb noch um mehr als nur die Beziehung zu Russland.
Die Leute fürchten, dass Georgien von seinem Reformweg abkommt. Iwanischwili hat da jetzt ein paar Zugeständnisse gemacht. Der Parlamentssprecher ist zurückgetreten, das Wahlrecht soll schnell reformiert werden. Zugleich verschärft die Regierung aber den Ton gegen die parlamentarische Opposition. Sie wirft ihr vor, sie habe die friedlichen Demonstranten vor einer Woche zu Gewalt angestiftet. Es gab dutzende Festnahmen und mehr als 100 Verletze am ersten Tag. Und jetzt droht wieder mal ein ermüdender Richtungskampf zwischen den zwei großen Parteien. Und das könnte das Land und seine Entwicklung in den nächsten Monaten wiederum lähmen.
Jeske: Gesine Dornblüth erklärte Ihnen, warum der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen Georgien und Russland seit einer Woche Massenproteste auslöst.