Noch steht gar nichts auf dem Tisch. Ein völlig unhaltbarer Zustand. Also tischt Tamara auf: Pflaumen, Weintrauben, Chatschapuri, was so etwas ist wie Pizza mit Käse, viel Käse.
Oder mit Spinat und Käse. Tamara, eine emsige Frau Ende 50, hat einige Jahre in Berlin gelebt, daher ihr Deutsch. Sie ist nicht zu stoppen: Nun trägt sie die Getränke heran, in folgender Reihenfolge mit steigendem Alkoholgehalt: Erst Wasser, dann Beerensaft, natürlich Wein und schließlich Tschatscha, ein georgischer Schnaps.
Wie schade, stöhnt Tamara, als sie begreift, dass der Besucher bei Wasser und Saft bleibt.
Erst als endgültig nichts mehr auf den Tisch passt, beginnt der ernste Teil des Gesprächs. Das Grundstück und das Haus, das die beiden Georgier Tamara und Niko, ihr Mann, schon vor dem Krieg bewohnten, bilden nördlich des Dorfs Odsissi die letzten Meter georgisch kontrollierten Territoriums. Dahinter ist Schluss: Wie die Spitze eines Keils liegt ihr Grundstück in einem Tal, das russisch-südossetische Befestigungsanlagen von drei Seiten begrenzen.
Russlands Beamte sind täglich präsent
Schon im Fluss, dessen Wasser von Südossetien kommend an einer Längsseite ihres Gartens vorbeifließt, schwimmt Niko seit nun zehn Jahren lieber nicht mehr. Denn manchmal erscheinen Uniformierte von drüben, meistens Russen, und verbitten sich den, wie sie sagen, Grenzübertritt. Russlands Beamte sind hier täglich präsent. Wer sich ihnen nähert, wird fotografiert. Ein Übertritt der Trennlinie ist nicht möglich, es gibt nur wenige Ausnahmen, zu denen Tamara und Niko nicht gehören. Sie waren seit einem Jahrzehnt nicht mehr in Südossetien.
Aber es sei im Prinzip ruhig, sagen sie, alle hätten sich mit der faktischen Grenze arrangiert. Aber das Wirtschaftsleben ist hier praktisch erloschen. Die Eheleute halten sich über Wasser, weil sie die Früchte ihres Gartens auf dem Markt in Georgiens Hauptstadt Tiflis verkaufen. Und weil ihre zwei erwachsenen Kinder aus Deutschland Geld überweisen.
Leben in einfachen Verhältnissen
Wer hat den Krieg vor zehn Jahren begonnen? Diese Frage beantwortet eine Untersuchung, erstellt im Auftrag der Europäischen Union, so: Beide Seiten haben sich massiv provoziert. Die ersten Schüsse feuerten georgische Einheiten ab. Dem Bericht zufolge kamen 830 Menschen ums Leben. Rund 25.000 ethnische Georgier sind aus Südossetien vertrieben worden. Die meisten Geflüchteten leben heute in sehr einfachen, oft ärmlichen Verhältnissen in Siedlungen.
Ihre Geländewagen sind geländegängig, auf der Karosserie prangt die Flagge der Europäischen Union. Beobachter der EU-Mission, kurz EUMM, fahren die Trennlinie ab. Gleich nach dem Krieg ist die Mission im Zuge des Waffenstillstands mit den Unterschriften Georgiens, Russlands und Südossetiens eingerichtet worden, um neutral und unbewaffnet die Linie im Auge zu behalten. Georgien, bescheinigt EUMM, halte sich an alle Punkte. Russland nicht. Desmond Doyle ist Pressesprecher der Mission.
"Wir können auf der georgischen Seite beobachten, und wir würden es auch gern auf der südossetischen Seite tun, aber es ist uns nicht erlaubt, nach Südossetien zu fahren. Obwohl das Sechs-Punkte-Waffenstillstandsabkommen von 2008 besagt, dass es der EU-Beobachtermission erlaubt sein sollte, auch dorthin zu gelangen."
Doyle deutet von dem Hügel, auf dem er steht, hinunter und hinüber nach Südossetien: auf einen Zaun, Grenzschilder und befestigte Anlagen.
"Sie können russische Grenzbefestigungen sehen. Sie können den Polizei-Kontrollpunkt des Innenministeriums sehen."
Russland erkennt Südossetien als selbstständigen Staat an – die meisten Länder der Welt, darunter alle EU-Staaten, tun dies nicht. Die Region ist finanziell von Moskau abhängig: Ihren Haushalt finanziert Russland zu 86 Prozent. Auf südossetischer Seite zu recherchieren hat sich der Deutschlandfunk erfolglos bemüht. Wochenlang gab es kaum eine Reaktion auf Schreiben und Telefonate. Als dann doch eine Akkreditierung zugestanden wurde, war es zu spät und eine Reise zeitlich nicht mehr möglich.
Russland ist eine Bedrohung
Seit dem Krieg hat sich in der georgischen Gesellschaft mehrheitlich der Eindruck verfestigt: Russland ist eine Bedrohung. Die Hoffnung liegt im Westen. Was der, die NATO, Georgien zurzeit anbietet, ist indes so schlicht wie dieser Raum eines georgischen Militärstützpunkts, in dem Oberstleutnant David Gagua Platz genommen hat. Hier werden georgische Soldaten, deren Vorgesetzte, nach NATO-Standards ausgebildet. Seit drei Jahren. Vor der Tür stehen einige Einheiten in Reih‘ und Glied, und drinnen sagt Gagua diese bemerkenswerten Sätze:
"Wir arbeiten hier Schulter an Schulter. Und wie Sie wissen, sind wir auf dem Weg zu einer NATO-Mitgliedschaft. Und was wir hier machen, beschleunigt den Prozess und hilft uns, Lücken zu entdecken und uns zu verbessern."
Georgiens NATO-Mitgliedschaft ist erklärtes Ziel der georgischen Politik und einer Bevölkerungsmehrheit. Die Allianz selbst äußert sich eindeutig unentschieden, will aber auch nicht ganz "nein" sagen.
Im nächsten Jahr soll es eine gemeinsame Militärübung geben. Das Signal geht in Richtung Norden, zum großen Nachbarn, über den hier niemand offen sprechen will: Russland. Dabei hat Moskau längst Fakten geschaffen: Mit Südossetien und Abchasien, einer schon länger abgetrennten Region, hat Georgien mehr als ein Fünftel seiner Fläche wohl auf Dauer verloren. Und Russland seinen direkten Einflussbereich vergrößert.