Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse - bei Demonstrationen in der georgischen Hauptstadt Tiflis gingen Einsatzkräfte zuletzt mit Gewalt gegen Protestierende vor. Den Demonstranten geht es um ein Gesetz, das laut Regierung den Einfluss des Auslands auf Georgien verringern soll. Kritiker sehen darin eine politische Weichenstellung: weg von der EU, hin zu Russland. Dabei ist Georgien erst seit Ende 2023 ein Beitrittskandidat der Europäischen Union. Trotz Protesten fand das Gesetz am 14. Mai 2024 eine Mehrheit im Parlament.
Was ist der Auslöser der Proteste in Georgien?
Die Proteste richten sich vor allem gegen das Gesetz mit dem Titel "Über Transparenz ausländischen Einflusses". Von vielen Kritikern wird es auch als "russisches Gesetz" bezeichnet.
Die Regierungspartei "Georgischer Traum" setzte das Gesetz in dritter Lesung im Parlament in Tiflis durch. 84 Abgeordnete votierten nach Angaben des Fernsehsenders Rustavi-2 dafür, 30 Abgeordnete dagegen. Erneut gab es Proteste.
Präsidentin Salome Surabitschwili, die sich zunehmend mit der Regierungspartei überworfen hat, kündigte zwar ihr Veto gegen das Gesetz an. Die Regierungspartei verfügt aber über eine ausreichende Mehrheit, um ein Veto zu überstimmen.
Was sieht das sogenannte Agentengesetz vor?
Die Regierungspartei "Georgischer Traum" will mit dem Gesetz Organisationen und Medien dazu verpflichten, sich behördlich registrieren zu lassen, wenn sie zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden.
Die Regierung in Georgien betont, das Gesetz werde für mehr Transparenz sorgen und stehe im Einklang mit allen Grundrechten. Gegner sehen Parallelen zu einem Gesetz in Russland. Das ermöglicht es den dortigen Behörden seit dem Jahr 2012, gegen kritische Medien und Organisationen vorzugehen.
Auch der Politikwissenschaftler Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sieht Parallelen zu Russland. Er geht davon aus, dass das Gesetz der Anfang sein könnte, um die unabhängige Zivilgesellschaft und die Medien "abzuwickeln".
Für Marcel Röthig von der Friedrich-Ebert-Stiftung hat das Gesetz einen verleumderischen Charakter. Es gehe nicht um Transparenz, sondern darum, dass sich Menschenrechtsorganisationen, NGOs und sogar Wahlbeobachter als Organisationen registrieren müssen, die ausländische Interessen vertreten. "So werden sie als Handlanger des Auslandes hingestellt."
Wer steckt hinter dem Gesetz?
Hinter dem Gesetz steht die Regierungspartei "Georgischer Traum". Diese wurde 2012 als Bündnis gegründet und stellt seitdem auch den Regierungspräsidenten. Initiator des Zusammenschlusses war der einflussreiche Unternehmer und Milliardär Bidsina Iwanischwili.
Laut Stefan Meister von der DGAP ist Iwanischwili weiterhin der maßgebliche Mann hinter der Partei. Für ihn bedeute die geplante weitere Annäherung an die EU "Machtverlust", so Meister.
Iwanischwili werden sehr enge Verbindungen nach Russland nachgesagt. Dort hat er in den 90er-Jahren einen großen Teil seines Vermögens verdient. Auch heute noch profitiere er als Vermittler zwischen Europa, Russland und Asien, so Meister. Ein möglicher EU-Betritt verlange aber freie Wahlen, Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Gerichte. "Das sind alles Dinge, die nicht im Interesse des 'Georgischen Traums' oder von Iwanischwili sind."
Versuch, die Zivilgesellschaft zu konrollieren
Laut Stephan Malerius von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis handelt es sich beim "Georgischen Traum" um eine "Marionettenregierung". Seiner Meinung nach ist der Plan, den die Partei mit dem Gesetz verfolgt, ein "russischer Plan".
Die Politologin Andrea Gawrich spricht von einem „Policy Turn“, der sehr bedauerlich sei. Denn von dem Weg in die EU könnten auch Akteure mit hohen ökonomischen Interessen gewinnen. Dem Oligarchen sei es aber offenbar wichtiger, es sich nicht mit Russland zu verscherzen, sondern im Gegenteil das Signal zu senden, weiterhin kooperationsbereit mit Russland zu sein.
Der Philologe Zaal Andronikashvili sieht hinter dem Gesetz einen Versuch, auch die Zivilgesellschaft zu kontrollieren: "Die Regierung hat im Grunde genommen alle staatlichen Institutionen unter ihre Parteikontrolle gebracht." Die Zivilgesellschaft sei die letzte "unabhängige Bastion der Freiheit in Georgien".
Im Oktober sind in Georgien Parlamentswahlen. Marcel Röthig, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tiflis, vermutet deshalb, dass die Regierungspartei mit dem Gesetz das nationalpatriotische Lager hinter sich vereinen will. "Es geht um nichts anderes als um Macht."
Wer geht gegen das Gesetz auf die Straße?
Seit das Gesetz im Raum steht, zogen viele Menschen Nacht für Nacht vor das Parlament. Höhepunkt war bisher der 1. Mai, als Zehntausende in Tiflis demonstrierten. Die Demonstranten skandieren Slogans wie „Wir werden nicht müde!“ und „Nein zur russischen Regierung!“ Viele schwenken auch EU-Fahnen.
Die Politologin Andrea Gawrich setzt Hoffnung in die „lebendige Zivilgesellschaft Georgiens“. Es seien vor allem junge Menschen, Studierende und Schüler, die auf die Straße gingen. Bei Vergleichen mit dem sogenannten Euromaidan in der Ukraine - 2013 und 2014 protestierten dort Menschen gegen den prorussischen Kurs des Landes – sei sie aber vorsichtig. Es bleibe abzuwarten, ob sich die unterschiedlichen Gruppierungen zu einer Art politischer Plattform verbündeten. Die Europäische Union könne diese Bemühungen aber stärken.
Auch der Philologe Zaal Andronikashvili geht davon aus, dass vor allem junge Menschen demonstrieren: "Erstwähler, Studenten und Schülerinnen und Schüler, weil sie klar erkannt haben, dass ihre Zukunft auf dem Spiel steht", so Andronikashvili, der am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin forscht. Hinzu kämen auch Kulturschaffende, gegen die die Regierung schon zuvor hart durchgegriffen habe.
Laut Umfragen gelten mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in Georgien als proeuropäisch. Die Autorin Nino Haratischwili findet es deshalb unverständlich, dass die Regierung das Gesetz "auf Biegen und Brechen durchsetzen möchte". "Keiner will gen Norden", sagt Haratischwili. "Da waren wir schon. Wir waren 70 Jahre Teil dieser Diktatur."
Was bedeutet das Gesetz für die Zukunft des Landes?
Seit Dezember 2023 ist Georgien Beitrittskandidat zur EU. In Brüssel werden die Vorgänge in Georgien darum genau beobachtet. Als Reaktion auf die Verabschiedung des Gesetzes im Parlamet hat die EU nun vor den Folgen gewarnt. Sie forderte die Regierung in Tiflis auf, das Gesetz zurückzuziehen. Der EU-Außenbeauftragte Borrell und Erweiterungskommissar Varhelyi erklärten, die Verabschiedung des Gesetzes wirke sich negativ auf die Fortschritte Georgiens auf dem Weg in die EU aus. Die Entscheidung über den weiteren Fortgang liege nun in den Händen Georgiens.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich beunruhigt über die Gewalt gegenüber Demonstranten geäußert. "Georgien steht am Scheideweg. Es sollte den Weg nach Europa fortsetzen", so von der Leyen in einer Nachricht auf X noch vor der Verabschiedung des Gesetzes. Auch die USA und die Vereinten Nationen haben die georgischen Gesetzespläne kritisiert.
Die Politologin Andrea Gawrich kann sich aber nicht vorstellen, dass der Kandidatenstatus wieder aberkannt wird. Es sei wahrscheinlicher, dass der Beitrittsprozess nun verlangsamt wird. Entscheidend werde wohl, wie demokratisch die Regierung die Wahlen im Oktober gestalte.
Was bedeutet die Entwicklung in Georgien für die EU?
Sollte sich Georgien von der Europa abwenden und weiter Richtung Russland driften, wäre die Erweiterungspolitik der EU um Georgien, die Ukraine und die Republik Moldau gescheitert, sagte Politologin Andrea Gawlich. Eine De-Stabilisierung des Landes würde die gesamte Region destabilisieren. Das könne nicht im Interesse der EU sein, auch wenn Georgien in geografischer Ferne liegt, warnte die Expertin.
Für den Philologen Zaal Andronikashvili bedeutet die Verabschiedung des Gesetzes das "Ende des georgisch-europäischen Weges". Bei den Demonstrationen ging es deshalb nicht nur um das Gesetz, sondern auch um die außenpolitische Ausrichtung. "Das wissen nicht nur die Demonstranten, sondern auch die Parlamente in Europa."
nm, tei, tha