Zu Besuch bei Tinatin Lominadze, die in ihrem eigenen Kochstudio in Tiflis gastronomische Workshops veranstaltet. Ihre Gäste, die georgisch kochen lernen wollen, kommen von überall: aus Russland, der Ukraine und aus Kasachstan, aber auch aus Frankreich, Italien, England, der Türkei, aus dem Iran und aus China. Die charmante 30-Jährige, die vor ihren Gästen immer in georgischer Tracht auftritt, versteht es sehr gut, warum die Küche ihres Landes derartiges Interesse weckt:
"Die georgische Küche ist salzig, sie ist pikant und pfeffrig, sie verwendet viele Gewürze, sie ist delikat. Man kann unsere Küche mit keiner anderen in der Welt vergleichen, denn sie ist sehr spezifisch. Der Clou unserer Küche sind unsere Gewürze. Im Ausland kann man solche Gewürze in der Qualität, in der wir sie kennen, nicht finden. Wir Georgier sind Perfektionisten. Und so zermahlen wir alle Gewürze, die wir für ein Gericht brauchen, unmittelbar vor der Zubereitung im Mörser. Denn dort passiert reine Physik: die Erwärmung des Gewürzes, die Öffnung des Geschmackes. Und das ergibt bei allen Gerichten einen ganz eigenen Geschmack! Mit georgischen Gewürzen kann man kein Gericht verderben!"
Frische Kräuter spielen eine große Rolle
Neben den Gewürzen spielen der aromatische Weißweinessig und frische Kräuter eine große Rolle: wilder Thymian, Estragon, Dill, glatte Petersilie, junges Sellerie-Grün, rotes Basilikum und natürlich Koriander. Im Gegensatz zum afrikanischen oder zum chinesischen Koriander hat das georgische Koriandergrün ein sehr feines, unaufdringliches Aroma, und es ist ausgesprochen saftig. Somit dürfe es sogar die eingefleischten Koriander-Gegner nicht abschrecken.
"Koriander ist der König unserer Kräuter! Man kann ihn durch nichts ersetzen! Ohne ihn kochen wir so gut wie gar nichts! Ohne dieses Kraut wirkt das Gericht geschmacklos. Man verwendet ihn auch in Trockenform, als Pulver. Außerdem ist Kondari, der wilde Thymian, sehr beliebt. Er wächst in den Bergen. Wir verwenden ihn für Bohnen- und Fleischgerichte wie Kutschmatschi und Kupaty je nach Geschmack."
Die geografische Lage hat die Landesküche stark geprägt
Georgien liegt auf der ehemaligen Seidenstraße. Das Klima und die reichhaltige Erde machen dieses Land zu einem Landwirtschaftsparadies. Die Kenner sagen, dass georgische Kräuter, die Tomaten oder etwa die Auberginen ein unbeschreibliches Aroma besitzen.
Die geografische Lage, zwischen Orient und Okzident, hat die Landesküche Georgiens stark geprägt. Es gibt zum Beispiel gegrilltes Fleisch oder gebratenen Fisch wie in Europa, fruchtige süßsaure Würzsoßen wie in Persien und mit Fleisch gefüllte Teigtaschen wie in China, Chinkali genannt.
Diese Teigtaschen stehen für viele Kenner als das Gericht der georgischen Küche, und sie verbinden zwei Gerichte in einem. Die Brühe, die sich in der Teigtasche in großer Menge ansammelt, ist gleich eine Suppe. Und sie wird besonders geschätzt. Man achtet behutsam darauf, dass die Chinkali beim Kochen nicht reißen, denn als Erstes wird die Brühe genossen. Es gibt viele Chinkali-Arten: etwa die kargen Berg-Chinkali oder die würzig-delikaten Stadt-Chinkali sowie Chinkali mit Pilzen und mit Käse.
Adschika, die trockene pikante Würzsoße
Im Osten Georgiens sind Eintöpfe, Gekochtes und mildere Gerichte verbreitet, während im Westen viel Gebratenes, etwa ganze Fleischstücke am Spieß, und sehr scharf gegessen wird.
Die subtropische Bergregion Megrelien an der Schwarzmeerküste gilt in Georgien als das Feinschmeckerparadies. Etwa Adschika, die trockene pikante Würzsoße aus scharfen Paprikaschoten und delikaten Gewürzen ist die Hauptzutat dieser Küche. Damit kocht man zahlreiche Gerichte. Wie zum Beispiel die berühmte Suppe Chartscho, erklärt Nona Kemularia, die Hausfrau mit 40-jähriger Erfahrung:
"Chartscho ist sehr einfach zuzubereiten, wenn man Adschika zur Hand hat. Dafür wird zuerst Fleisch gekocht. In Megrelien verwenden wir gerne ein fettiges Haushuhn. Einige machen diese Suppe sogar aus Ente. Das schmeckt auch sehr gut! Zum kochenden Fleisch fügt man Zwiebeln hinzu sowie Tomaten oder die Tomatenpaste, abgeschmeckt wird mit Adschika und Nüssen. Und fertig ist das Chartscho! Das schmeckt köstlich!"
Ein weiteres traditionelles Gericht der westgeorgischen Küche ist das Ghomi, der Kukuruz-Brei, denn den Einwohnern Westgeorgiens Jahrhunderte lang das Brot ersetzt hat.
Nona Kemularia kocht ein typisch megrelisches Gericht, Elardschi. Es ist eine feine und sehr zarte dickflüssige Grütze aus weißem Kukuruz-Mehl, in der später großzügig Sulunguni, ein mozarellaartiger Käse geschmolzen wird. Man isst den zarten cremigen, Faden ziehenden Elardschi als Beilage zu den Vorspeisen sowie zu diversen Fleischgerichten wie etwa scharfen hausgemachten Würstchen aus Innereien:
"Alle denken, es sei eine Delikatesse, aber in Wirklichkeit ist es die Erfindung der Hirten. Als unsere Hirten früher für den ganzen Sommer in die Berge zogen, mussten sie ihren Käse irgendwie verarbeiten. Und so kochten sie jeden Tag ihr Hauptmal Ghomi, ein sehr nahrhaftes Gericht, in dem sie viel Käse geschmolzen haben. Und so entstand Elardschi. Bei der Zubereitung sind die feinen Nuancen sehr wichtig: Wenn man eine Minute zu lange gekocht hat, ist das Gericht hin. Ich koche es zwischen einer Stunde und eineinhalb Stunden je nach dem Mahl-Grad."
Trotz der vielen Einflüsse aus Ost und West hat die georgische Küche viel Eigenständiges zu bieten. Autochton sind etwa die Chatschapuri, feines Weißbrot mit der Füllung aus jungem zartem Käse. In jeder Region gibt es eigene Chatschapuri-Arten. Am beliebtesten ist das Chatschapuri von der Schwarzmeerregion Adscharien. Dort wird es in der Form eines Bootes mit Käsefüllung serviert, worin zum Schluss ein Ei aufgeschlagen wird. Man isst das Ganze, indem man den knusprigen Teig-Rand nach und nach abreißt und ihn in die Füllung aus Ei und Käse tunkt.
Chatschapuri hätten das Street-Food Amerikas werden können
Die Georgier behaupten nicht von ungefähr mit Stolz: "Wenn genauso viele Georgier wie einmal Italiener in die USA ausgewandert wären, dann wäre Chatschapuri und nicht Pizza in Amerika das Street-Food geworden!"
Wann isst man eigentlich Chatschapuri - ob zum Frühstück, zum Mittagessen oder zum Abendbrot? Tinatin Lominadze hat zu jedem Gericht einen Scherz:
"Ein Georgier ist für ein Chatschapuri immer bereit! Und wir backen es jederzeit. Und je nach unserer Stimmung und der Tageszeit können wir Chatschapuri 24 Stunden am Tag essen, ohne uns ein einziges Mal zu wiederholen!"
Georgiens Bohnengericht, Lobio genannt, verdient eine besondere Beachtung. Es wird auf eine einzigartige Art zubereitet: mit wunderbaren Kräutern und Gewürzen, abgeschmeckt mit Knoblauch und jungen Koriandersamen. Dazu serviert man eingelegtes Pimpernuss-Kraut.
Vorspeisen, geschmückt mit Granatapfelkernen
Die delikaten Vorspeisen, geschmückt mit Granatapfelkernen, bieten auf dem traditionellen Tisch eine ganz besondere Augenweide, sagt Tinatin Lominadze:
"Es geht um die gebratenen Melanzani oder um Paprika mit Nuss-Gewürzfüllung und um Pchali. Pchali sind ganz verschiedene kalte Vorspeisen, bei denen nur einige Zutaten gleich bleiben: Nüsse, Weißweinessig und Gewürze. Rosafarbenes Pchali besteht aus Rübenkraut und –knolle, grünes Pchali wird aus Spinat zubereitet, weißes Pchali aus Weißkraut, orangefarbenes Pchali besteht aus Karotten. Je nach der Saison gibt auch Pchali aus Lauch, Brennnessel und aus Äkala oder Smalax Excelsa. Serviert werden sie als kleine Laibchen oder auf die einfache Bauernart."
Die Georgier sind ein durch und durch traditionelles Volk. Und so ist auch die georgische Küche. In den letzten Jahrhunderten hat sie kaum Abwandlungen erfahren. Diejenigen georgischen Köche, die etwas Neues und Ungewöhnliches wagen, werden entweder mit Steinen beworfen oder sie steigen zu den Super-Helden auf. Zu den Letzteren gehört Gia Rokaschwili vom Restaurant "Tränen des Fasans" in der Region Kachetien.
Das Restaurant und Weingut "Tränen des Fasans" befindet sich in der Stadt Sighnaghi im Osten Georgiens, Region Kachetien. Der hiesige Wein wird ausschließlich in den sogenannten Qvevri hergestellt, den mit Bienenwachs versiegelten Tonkrügen, die in die Erde eingegraben werden.
Pilzgerichte wechseln je nach Saison
Die ausgesuchte kreative Küche dieses Lokals zieht Feinschmecker aus dem In- und Ausland an. Das Brot wird hier aus dem grob gemahlenen Urmehl in heißen Tonfässern, Tone genannt, vor den Augen der Besucher frisch gebacken. Viele Gerichte sind hier eine kreative Variation des Kochs. Aber auch für Traditionelles gebe es hier Platz, erzählt Gia Rokaschwili:
"Beliebt sind bei unseren Gästen der junge cremige Büffelkäse und die gekochten roten Rüben, die wir in der roten Pflaumensoße marinieren. Auch Salat aus Tomaten und Gurken mit unserem kaltgepressten Sonnenblumenöl ist eine wunderbare Kombination! Sowie warme Melanzani in Tomaten- oder Walnusssoße. Unsere Pilzgerichte wechseln je nach Saison. Im Moment haben wir Austernpilze, die an Bäumen wachsen. Im Herbst gehen wir selber auf die Pilz-Jagd."
Auf der Arbeitsplatte in der Restaurantküche stehen vor Gia viele Mise en Place griffbereit: zahlreiche gehackte Kräuter, blanchiertes Gemüse und Wildkraut, alle Arten geschnittene Zwiebeln und frischer Knoblauch sowie Walnüsse.
Großes Interesse von professionellen Köchen aus Europa
"Hier haben wir Melanzani und Paprika vom Grill. Ich bereite sie jetzt zu auf Georgisch. Ich hacke alles grob, füge jungen gehackten Knoblauch hinzu. Man kann auch gegrillte Knoblauchzehen verwenden. Es verleiht dem Gericht ein sehr schönes Raucharoma. Zu Hause kann man das natürlich auch ohne auf dem Grill einfach im Backofen backen. Hier haben wir frischen Koriander und Dill. Schauen Sie, alles ist noch superfrisch! Ich suche die Kräuter nicht wegen dem Aussehen, ich brauche Frische und Geschmack. Dazu noch frisches Koriandergrün, etwas Sonnenblumenöl, Weißweinessig, etwas Zitronensaft, das gibt Frische, Salz, und nun fügen wir die Walnüsse hinzu. Alles georgische Zutaten. Leicht und elegant!"
Die georgische Küche genießt derzeit ein großes Interesse nicht zuletzt bei professionellen Köchen Europas. In Gia Rokaschwilis Küche kommen gerne Kollegen aus Italien, England und Spanien zu Besuch. Hier lassen sie sich gerne vom georgischen Geschmack inspirieren.
Die georgische Küche hat ein immenses Potenzial. Und es kann den Europäern derart unerwartete Geschmäcker bieten, von denen sie nicht einmal geträumt haben.