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Georgische Literatur
Ungeheure Vielfalt

Georgien ist das Land im Kaukasus, das sich am stärksten nach Europa orientiert - 2018 wird es Gastland der Frankfurter Buchmesse. Das Land an der Schwelle zwischen Asien und Europa hat literarisch einiges zu bieten. Eindrücke aus Tiflis.

Von Christoph Haacker |
    Tiflis ist die bevölkerungsreichste und größte Stadt in Georgien.
    Die junge georgische Verlagsszene präsentierte sich jüngst auf der Buchmesse von Tbilisi und beim Internationalen Literaturfestival. (Thomas Franke)
    "Uralte Nation, der Alexander auf seinen Zügen schon begegnete, in der Völker sich fruchtbar mengen; russischen, türkischen, persischen Einflüssen unausgesetzt unterworfen, in eine der herrlichsten Landschaften unserer Erdkugel eingepflanzt, berühmt durch Lieder und Legenden und doch beschämend unbekannt uns Europäern."
    Was Stefan Zweig in den Zwanzigerjahren im Vorwort zu Grigol Robakidses Roman "Das Schlangenhemd" schreibt, scheint auf den ersten Blick noch heute weitgehend gültig. Und das ausgerechnet in dem Jahr, das wenigstens in Georgien als "Deutsch-georgisches Jahr" im Blickpunkt ist.
    Denn vor 200 Jahren, 1817 – zugleich dem Geburtsjahr des jetzt gefeierten romantischen Dichters Barataschwili – kamen die ersten deutschen Siedler ins Land, die bald nicht nur das Stadtbild der Metropolen prägten. Ein Jahrhundert später, 1918, erkannte das Deutsche Reich aus handfesten Interessen die Unabhängigkeit der jungen Republik an.
    Georgischer Autor schrieb in den 30er Jahren auf Deutsch
    Die Freude darüber währte jedoch nur kurz, denn 1921 schon wurde das Land von den Bolschewiken annektiert und – nach dem Aufstand von 1924 – mit einer Welle von Gewalt überzogen, was einer kulturell fruchtbaren Ära mit Tiflis als einer Welthauptstädte der Avantgarde ein jähes Ende setzte.
    Der Terror zog nach sich, dass mit dem Flüchtling Grigol Robakidse der erste bekannte georgische Autor in den Dreißigerjahren zum Schriftsteller auch in deutscher Sprache wurde – Beginn einer Tradition von Grenzgängern und Kulturvermittlern, die heute der fast 90jährige Giwi Margewelaschwili und die junge Autorin Nino Harataschwili, zu Hause in Hamburg und Tiflis, mit ihren deutschen Büchern fortschreiben.
    Georgische Literatur sei dem 5. Jahrhundert
    Christoph Haacker nahm im Juni zum zweiten Mal nach 2014 an einer Reise einer Delegation internationaler Verleger und Journalisten nach Georgien teil, und hat erlebt, wie die georgische Literatur ein Jahr vorm Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse 2018 selbstbewusst an die Türe Europas klopft – völlig zurecht: Was mit der Entwicklung der georgischen Schriftsprache und ihren ersten Werken bereits im 5. Jahrhundert seinen Ausgang nahm, hat auch heute allen Grund, der Welt auf Augenhöhe zu begegnen.
    Wenn auch das berühmteste georgische Werk – Rustavelis Versepos "Der Recke im Pantherfell" – bereits am Hofe der legendären Königin Thamar im frühen 13. Jahrhundert verfasst wurde, knüpfte die durch Mongolen- und Perserstürme verheerte Kultur spätestens im 19. Jahrhundert wieder an einstige Blüte an.
    Lebendige, vielfältige Gegenwartsliteratur
    Im 20. Jahrhundert dann hatte die georgische Literatur das mörderische Wüten Stalins unter ihren besten Autoren und sowjetische Repressionen zu durchstehen. Eine lebendige, junge georgische Verlagsszene wartet heute mit einer ungeheuer vielfältigen Gegenwartsliteratur auf, wie jüngst auf der Buchmesse von Tbilisi und beim Internationalen Literaturfestival zu erleben war.
    Und in keinem Land ist das Interesse der Verlage an der Kultur der Kaukasusrepublik größer als in Deutschland. So darf sich das deutschsprachige Lesepublikum, nach einem ersten Kennenlernen, schon jetzt auf einen goldenen georgischen Herbst mit zahlreichen Neuerscheinungen bereits ein Jahr vorm Gastlandauftritt in Frankfurt freuen: mit klassischen Werken sowie junger Prosa und Lyrik.
    Micheil Dshawachischwili: "Das fürstliche Leben des Kwatschi"
    Aus dem Georgischen von Kristiane Lichtenfeld. Nora Verlag, Berlin. 471 Seiten, 29,90 Euro
    Zviad Ratiani / Shalva Bakuradse / Ela Goshiashvili /Bela Chekurishvili / Maia Sarishvili / Shota Iataschwili: "Aus der Ferne. Neue Georgische Lyrik."
    Ins Deutsche übersetzt von Norbert Hummelt, hrsg. von Matthias Unger. Corvinus Presse Berlin, 2015, 82 Seiten, 20 Euro
    Nino Haratischwili: "Juja", 2010, Verbrecher Verlag, 300 Seiten, Preis: 24 Euro
    "Mein sanfter Zwilling", 2011, 379 Seiten, 22,90 Euro
    "Das achte Leben". Für Brilka (2014), 1280 Seiten, Frankfurter Verlagsanstalt, 34 Euro
    Naira Gelaschwili: "Ich bin sie"
    Verbrecher Verlag, 176 Seiten, Preis: 22 Euro
    Giwi Margwelaschwili: "Fluchtästhetische Novelle"
    Verbrecher Verlag, 132 Seiten,Preis: 18 Euro
    "Die Medea von Kolchis in Kolchos", Verbrecher Verlag, 168 Seiten, Preis: 20 Euro
    Otar Tschiladse: "Der Garten der Dariatschangi"
    Roman. Aus dem Georgischen von Kristiane Lichtenfeld. Mathes & Seitz, 2015
    Tamta Melaschwili: "Abzählen"
    Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani, Unionsverlag, 120 Seiten, 16,95 Euro
    Schota Rusthaweli: "Der Recke im Tigerfell"
    Ein altgeorgisches Poem. Dt. Nachdichtung von Hugo Huppert. Reichert Verlag, 2014, 29,90 Euro
    Kommendes (bis zum Herbst 2017)
    Iliazd: "Philosophia"
    Aus dem Russischen Original von Regine Kühn und Daniel Fastner. (Matthes & Seitz), 450 Seiten, 30 Euro, Erscheint vorauss.: 29.09.2017
    Zurab Karumidze: "Dagny oder Ein Fest der Liebe"
    Aus dem englischen Original von Stefan Weidle. Weidle Verlag, ca. 280 Seiten, 23 Euro, erscheint September 2017
    Kote Jandieri: "Globalisierung"
    Kurzroman. Aus dem Georgischen Natia Mikeladse-Bachsoliani. Klak Verlag, Berlin, erscheint Oktober 2017
    Aka Morchiladze: "Schatten auf dem Weg"
    Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani, Mitteldeutscher Verlag, ca. 280 Seiten, erscheint August 2017
    Nikolos Barataschwili: "Gedanken am Flusse Mtkvari"
    Die Gedichte. Zweisprachig Georgisch-Deutsch. Nachdichtung von Rainer Kirsch. ca. 160 Seiten, ca. 14 Euro, Arco Verlag, erscheint Oktober 2017
    Grigol Robakidse: "Magische Quellen"
    Kaukasische Novellen. Aus dem Georgischen von Richard Meckelein und Käthe Rosenberg. Hrsg. von Alexander Kartosia. ca. 150 Seiten, ca. 14 Euro, Arco Verlag
    Reso Tscheischwili: "Die Himmelblauen Berge oder Blaue Berge"
    Roman. Aus dem Georgischen von Julia Dengg und Ekaterine Teti. Edition Monhardt, Berlin. ca 160 seiten, ca. 22 Euro, erscheint Oktober 2017