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Geplante Änderung des NRW-Hochschulrahmengesetzes
Kein Verständnis für ein Ende der "Zivilklausel"

Wissenschaft müsse der Gesellschaft als Ganzes dienen und nicht Einzelinteressen befriedigen, sagte der Ökonom Heinz Bontrup im Dlf. Das Vorhaben, eine Klausel im NRW-Hochschulgesetz zu streichen, die Militärforschung untersagt, sei sehr bedenklich. Das gelte auch für den Einfluss der Wirtschaft.

Heinz Bontrup im Gespräch mit Manfred Götzke |
Studenten lernen am 26.06.2017 in Berlin im Hörsaal am Institut für Mathematik an der Freien Universität Berlin
"Wenn Forschungsgelder aus der Wirtschaft in die Hochschulen reingespült werden, dann muss man da besonders genau hinschauen", so der Ökonom Heinz Bontrup im Dlf. (dpa / Karo Kraemer)
Manfred Götzke: Wie viel Ethik braucht die Wissenschaft? Und Wo sind die Grenzen der Forschungsfreiheit? Diese Frage wird in der Hochschulpolitik immer wieder verhandelt – vor allem, wenn es um Militärforschung geht. NRW hat deshalb eine "Zivilklausel" im Hochschulgesetz, die Militärforschung untersagt. Die schwarz-gelbe Landesregierung will diese Klausel nun abschaffen. 90 Wissenschaftler, Künstler, Politiker prostieren dagegen nun mit einer Unterschriftenkampagne. Erstunterzeichner ist Prof. Heinz Bontrup. Herr Bontrup – wollen sie die Freiheit der Forschung per Zivilklausel einschränken?
Heinz Bontrup: Nein, die will ich natürlich nicht einschränken, im Gegenteil, wir brauchen wahrscheinlich da noch viel mehr Freiheit. Vor allen Dingen haben die Hochschulen ja mit der Zivilklausel, die damals ins Hochschulrahmengesetz 2014 von der rot-grünen Regierung hineingeschrieben wurde, haben wir ja genau dies intendiert, dass wir Hochschulen-Wissenschaft in NRW verpflichten wollen, nachhaltig, friedlich für eine demokratische Welt Wissenschaft zu betreiben. Das halte ich für ganz wichtig, auch für die Zukunft, und ich habe da kein Verständnis für, wenn jetzt die jetzige Regierung schwarz-gelb quasi diese Zivilklausel, die damals zu Recht ins NRW-Hochschulgesetz geschrieben wurde, wenn die jetzt wieder ersatzlos gestrichen werden soll.
Nachhaltigkeit, Friedensforschung, Demokratie
Götzke: Hochschulen werden ja jetzt nicht gezwungen, Militärforschung zu betreiben, also gibt es Hochschulen, wo Sie sagen, die machen das ganz gezielt oder die wollen das gezielt jetzt tun?
Bontrup: Nein, das kann man so nicht sagen, aber zumindest ist die Option ja da, und da muss sich heute ein Wissenschaftler wirklich fragen, ob er damit der Gesellschaft allgemein dient. Aus meiner Sicht hat Wissenschaft den Auftrag, der Gesellschaft als Ganzes zu dienen und nicht Partialinteressen zu befriedigen, und Wissenschaft hat natürlich auch den Auftrag, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Das sind die wesentlichen Aufgaben von Wissenschaft. Und wenn man da in eine Zivilklausel reinschreibt, dass eben Wissenschaft dazu verpflichtet ist, an Hochschulen einen Beitrag zu leisten, eben Nachhaltigkeit – wir denken hier nur mal an die Umweltkatastrophe, in die wir immer mehr reinlaufen –, da auch Forschung reinzulegen, oder an Friedensforschung vor allen Dingen denke ich da und an eine demokratische Welt, dann sind das doch Forderungen, die hier in dieser Zivilklausel niedergeschrieben worden sind, die rational sind, die zukunftsweisend sind. Und deshalb noch einmal: Ich finde da kein Verständnis dafür, wenn diese Zivilklausel jetzt aus dem NRW-Hochschulrahmengesetz rausgenommen werden soll.
Der Wirtschaftswissenschaftler Heinz Bontrup.
Der Wirtschaftswissenschaftler Heinz Bontrup. (picture alliance/dpa/Karlheinz Schindler)
Viele NRW-Hochschulräte aus der Wirtschaft
Götzke: Das heißt, Sie sehen jetzt keine Einschränkung der Autonomie der Forschung der Universitäten, der Hochschulen?
Bontrup: Ich sehe da schon Gefahren zurzeit, weil wir haben ja auch hier eine Tendenz, immer mehr zu einer Unternehmenshochschule. Wenn Sie sich das mal anschauen, was wir in den letzten Jahren, Stichwort Hochschulrahmengesetz, wenn Sie sich die Zusammensetzung der Hochschulräte in NRW einmal anschauen, dann sind das doch überwiegend Menschen aus der sogenannten Wirtschaft. Die nehmen ja Einfluss damit auf Wissenschaft in den Hochschulen, das halte ich für eine ganz bedenkliche Entwicklung. Wenn da die amtierende Regierung einmal drüber nachdenken würde, da was zu machen, dann wäre das aus meiner Sicht zielführend. Die Einflussnahme von außen war ja schon auch eigentlich immer da. Über Drittmittel, über Forschungsgelder versucht man natürlich, da auch Einfluss auf Wissenschaft zu nehmen, wissenschaftliche Forschung zu beeinflussen. Das halte ich für mehr als bedenklich. Wir haben ja sogar heute die Tendenz, dass einzelne Hochschulen dazu übergegangen sind, Sponsoren in ihre Hochschulen zu holen, da sind dann Hörsäle mit Firmenlogos versehen. Das sind ganz bedenkliche verwerfliche Interventionen in die Freiheit von Forschung und Wissenschaft, die ja verfassungsrechtlich garantiert sind.
Tausend Lehrstühle von der Wirtschaft finanziert
Götzke: Müsste also ganz generell deutlicher hingeschaut werden, von wo und von wem Drittmittel kommen, mit denen man dann forscht und arbeitet?
Bontrup: Ja, da bin ich uneingeschränkt dafür, dass Hochschulen da auch ihre Drittmittel der Gesellschaft. Noch einmal: Die Wissenschaft ist der Gesellschaft als Ganzes verpflichtet, der Gesellschaft auch Rechenschaft abgibt, was forschen wir, wer sind die Auftraggeber, welche Gelder haben wir da bekommen, dass damit auch die Gesellschaft weiß, wer finanziert. Und ich bin auch dezidiert der Auffassung, dass das eigentlich aber ja nicht so sein dürfte: Hochschulen sind substanziell unterfinanziert, und wenn Wissenschaft wirklich unabhängig sein soll, so wie es in der Verfassung steht, dann muss die Gesellschaft diese Hochschulen auch adäquat mit Steuergeldern finanzieren, eine Alternative gibt es dazu nicht. Sobald privates Geld zur Finanzierung – und sogar noch zur Grundlastfinanzierung womöglich – von Hochschulen zugelassen wird, dann ist der Einfluss natürlich da. Dann wollen natürlich auch die, die da Geld geben – was ich auch verstehen kann –, dann mitreden. Schauen Sie sich mal an, wie viel Stiftungsprofessuren mittlerweile an deutschen Hochschulen sozusagen zur Finanzierung beitragen. Man schätzt die Zahl auf etwa tausend Lehrstühle, die von draußen, von der Wirtschaft bezahlt werden. Und ich würde so weit gehen, dass so jemand, so ein Mensch, so ein Kollege, der auf so einer Stiftungsprofessur sitzt, der ist nicht wirklich unabhängig.
Götzke: Der ist gekauft.
Bontrup: Wie jemand, der zu hundert Prozent eben mit Steuergeldern finanziert wird.
"Hochschulen sind eine gesellschaftliche Veranstaltung"
Götzke: Das heißt, Sie lehnen Drittmittel ganz generell ab.
Bontrup: Nein, das hab ich damit nicht gesagt. Man muss hinschauen, was sind das für Drittmittel, woher kommen sie, und wenn das transparent gemacht wird, auch was da geforscht wird, wie da geforscht wurde mit diesen Drittmitteln, dann kann man das durchaus als eine zusätzliche, Betonung zusätzliche, Finanzierung von Hochschulen nehmen. Aber der Grundsatz muss lauten: Hochschulen sind eine gesellschaftliche Veranstaltung, und sie sind deshalb auch von der Gesellschaft dann sauber über Steuergelder zu finanzieren.
Ergebnisse werden "auch in die Politik hineingespült"
Götzke: Schauen wir noch mal ganz konkret auf die Zivilklausel. Heikel wird es da ja möglicherweise bei Dingen, die sowohl für friedliche Zwecke als auch für militärische genutzt werden können, also Dual Use ist da das Stichwort. Haben Forscher nicht jetzt ohne die Zivilklausel die Möglichkeit, auch mehr Freiheit, zu sagen, okay, wir arbeiten an bestimmten KIs, die man so oder so, aber vor allem auch für gute Zwecke nutzen kann?
Bontrup: Diese Doppelwertigkeit, die haben Sie natürlich bei vielen, vor allen Dingen im technischen Bereich ja bei vielen Forschungsaufträgen. Das ist so, das kann man auch wahrscheinlich nicht trennen. Aber ich denke hier auch nicht nur an naturwissenschaftliche oder technische Drittmittel oder Aufträge, die da von außen kommen, sondern vor allen Dingen den gesamten sozialwissenschaftlichen, geisteswissenschaftlichen Bereich, den wirtschaftswissenschaftlichen Bereich. Die Wirtschaftswissenschaften, die Ökonomen – und ich bin ja auch so einer –, die nehmen natürlich auch massiv Einfluss auf die Politik. Und wenn da Forschungsgelder aus der Wirtschaft in die Hochschulen reingespült werden, dann muss man da besonders genau hinschauen, mit welcher Intention wurde hier geforscht und wie werden die Ergebnisse hinterher dann auch in die Politik hineingespült. Die verändern dann Gesellschaft, die nehmen massiv Einfluss. Hier nur mal ein Stichwort: das neoliberale Paradigma. Da sehe ich ganz große Gefahren – und vor allen Dingen Einseitigkeiten. Wissenschaft hat nicht einseitig zu sein, genau wie Wissenschaft keine Glaubensfrage ist.
"Gesellschaft muss bereit sein, auch aufzustehen"
Götzke: Jetzt gibt es diesen Protest, Sie haben das auch mitunterschrieben. Glauben Sie, Sie haben damit Erfolg, oder braucht es wieder einen Regierungswechsel, um das Gesetz dann wieder zurückzudrehen?
Bontrup: Wir können das nicht einfach akzeptieren. Gesellschaft muss da bereit sein, auch aufzustehen. Hier liegt jetzt eine These vor, die ist von der Regierung, von CDU und von der FDP hier eingebracht worden, und wir haben die Antithese gesetzt. Wir halten jetzt dagegen, und warten wir mal ab, ob das hier nicht auch eine breitere Bewegung dagegen werden kann und ob dann vielleicht die amtierende Regierung noch mal zur Besinnung kommt und sagt, dass, was die Vorgängerregierung hier in das NRW-Hochschulgesetz hineingeschrieben hat, das war vernünftig, das war richtig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.