Sandra Schulz: Die Bundesregierung plant noch mal deutliche Verschärfungen für Asylbewerber. Gestern hat das Kabinett das sogenannte "Geordnete Rückkehr"-Gesetz beschlossen. Das Vorhaben aus dem Haus von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sieht unter anderem erweiterte Möglichkeiten vor, Ausreisepflichtige vor einer geplanten Abschiebung vorübergehend in Haft zu nehmen. Abgelehnte Asylbewerber, die an der Klärung ihrer Identität nicht mitwirken, sollen mit Wohnsitzauflagen und Bußgeldern sanktioniert werden, und deutlich weniger Geld als bisher soll künftig es für Ausländer geben, die schon in einem anderen EU-Land als Flüchtling anerkannt sind.
Über all das kann ich in den kommenden Minuten mit Lars Castellucci sprechen, für die SPD Mitglied im Innenausschuss des Bundestages und migrationspolitischer Sprecher seiner Fraktion, jetzt auch am Telefon. Innenminister Horst Seehofer spricht von einem sehr guten Interessensausgleich zwischen Förderung und Integration und Humanität einerseits und Ordnung andererseits. Finden Sie das auch?
Lars Castellucci: Die Menschen sind ja bereit zu großen humanitären Anstrengungen und Hilfsbereitschaft in Deutschland, wenn es um politisch Verfolgte geht und Menschen, die vor Bürgerkriegen fliehen, und sie erwarten dann von uns auch, dass wir wissen, wer im Land ist, und dass wir die Gruppen voneinander unterscheiden können. Daran arbeiten wir und dafür sind auch diese Gesetzesvorhaben, die jetzt vorliegen, da.
Schulz: Wir sehen in dem Entwurf jetzt Punkte, die teils sehr drastisch kritisiert werden von Menschenrechtlern, von den Kirchen, teils die komplette Streichung von Sozialleistungen, die Möglichkeit, auch Abschiebekandidaten in Strafvollzugsanstalten zu bringen. Macht die SPD da mit?
Castellucci: Da haben Sie wichtige Punkte angesprochen. Das Verfahren ist ja so, dass sich jetzt die Ressorts, die Ministerien, die zuständig sind, geeinigt haben und die Gesetze gestern durch das Bundeskabinett gegangen sind. Jetzt erst gehen diese Gesetzentwürfe an das Parlament und dort beginnt dann eigentlich die Arbeit, das sogenannte parlamentarische Verfahren, wo wir in der Koalition dann sprechen, wo es dann auch noch mal Anhörungen geben wird. Da werden wir auch diese Bedenken der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände, aber auch die Interessen der Kommunen und so weiter breit noch mal einladen.
Kompromiss mit Kröten für beide Seiten
Schulz: Aber im Kabinett ist die SPD ja auch vertreten mit ihren Ministern, die gestern dazu erst mal Ja gesagt haben.
Castellucci: Ja. Die Menschen haben ja diese Große Koalition uns wieder beschert, muss man sagen, und die anderen Parteien, die auch hätten regieren können, haben sich nicht einigen können, und jetzt ist zu erwarten, dass man auch was hinbekommt. Man kann sich jetzt auch nicht dauerhaft streiten. Das lösen politische Parteien, indem sie Koalitionsverträge schließen, und in diesen Koalitionsverträgen und in diesem aktuellen Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenommen, dass wir bei den Abschiebungen, beim Umgang mit den Menschen, die wirklich ausreisepflichtig sind, dass wir da vorankommen wollen, dass natürlich die freiwillige Rückkehr Priorität hat. Und wir haben uns auch zum Thema Integration darauf verständigt, dass eigentlich Arbeit, Bildung, Sprache, Begegnungen von Anfang an sinnvoll sind, damit die Menschen, die hier eh bleiben, hier auch gut ankommen können und möglichst schnell auf eigenen Füßen stehen.
Jetzt ist es ein Kompromiss, der wahrscheinlich für beide Seiten auch Kröten enthält. Ich habe auch aus der Union schon Stimmen entnommen, denen das wieder nicht weit genug geht. Mir geht manches zu weit und meinen Kolleginnen und Kollegen wird anderes wieder zu weit gehen, und da müssen wir uns dann wieder in der Mitte treffen. Das ist das übliche Geschäft.
Gefängnisunterbringung - "aus meiner Sicht muss das raus"
Schulz: Sie haben gerade angekündigt, dass das ohne Streit gehen soll. Dann würde ich mit Ihnen gerne auf die einzelnen Punkte mal schauen. Wenn wir bei dieser Möglichkeit bleiben, die geschaffen werden soll, dass auch eine Unterbringung im Gefängnis möglich sein könnte, da werden dann Menschen, die nicht ausreisen, gemeinsam festgehalten mit Kriminellen. Es kann auch Frauen und Kinder treffen. Ist für die das Gefängnis der richtige Ort?
Castellucci: Definitiv nicht. Wir haben einen Rechtsstaat und da ist nun wichtig, dass wir nicht über einzelne Gruppen und Regelungen sprechen, sondern dass rechtsstaatliche Regelungen für alle gut sein sollen. Auch wenn der Minister von Fördern und Fordern spricht – ich bin immer dafür, dass wir Fördern und Fordern nicht nur für Ausländer sagen, oder für Arbeitslose, oder für irgendwelche Gruppen, sondern ich glaube, das ist eigentlich ein ganz guter Grundsatz, wie wir insgesamt im Land miteinander umgehen und vorangehen können.
Die Unterbringung in Gefängnissen sehe ich total kritisch. Ins Gefängnis gehören Leute, die Straftaten begangen haben, und jemand, der einen Asylantrag stellt, begeht damit ja keine Straftat. Selbst wenn dieser Asylantrag abgelehnt ist, ist das keine Straftat. Es muss verhältnismäßig sein, wann jemand ins Gefängnis kommt und wann nicht. Jetzt steht dem gegenüber auf der anderen Seite, dass die Plätze, von denen das Ausreise-Gewahrsam, die niedrigere Stufe für die Leute, die man unter Kontrolle haben will, damit man die Abschiebung auch durchführen kann, dass diese Plätze in den Bundesländern kaum vorhanden sind und angeblich überbelegt. Das ist eine Frage, die in den Ländern gelöst werden muss. Diesen Punkt werden wir auf jeden Fall in den Verhandlungen jetzt noch mal ansprechen. Noch mal: Gefängnisse sind für Straftäter da und nicht für Geflüchtete.
Schulz: Herr Castellucci, lassen Sie mich das genauer verstehen. Sie sagen, Sie werden es ansprechen. Sie sagen, Sie sehen das kritisch. Muss das raus?
Castellucci: Aus meiner Sicht muss das raus und die Union wird auch Punkte haben, wo sie sagen, das muss raus, oder da muss noch mal was dazu, und das sind dann Verhandlungen, die stattfinden. Die kann ich jetzt mit Ihnen am Telefon nicht vorweggreifen.
Schulz: Auch diese Fragen, von denen ja Menschenrechtler sagen, da geht es ganz fundamental um Grundrechte, das ist dann letzten Endes Verhandlungsmasse?
Castellucci: Alles, was jetzt vorliegt, ist da und nicht nur, weil sich jemand meldet und sagt, das ist europarechtlich nicht in Ordnung oder verfassungsrechtlich nicht in Ordnung, ist es deshalb einfach rauszunehmen, weil es dazu immer auch andere Auffassungen gibt. Das heißt, wir müssen, weil die Dinge vorgelegt worden sind, jetzt damit umgehen. Der Kompromiss, der gefunden wurde, ist, diese Regelung auf drei Jahre zu befristen. Ja, so was kann man machen, um dann den Ländern Zeit zu geben, die Abschiebehaft-Plätze außerhalb von Gefängnissen aufzubauen. Aber dann werden wir uns auf jeden Fall auch noch mal vorlegen lassen, wie denn die Situation in den Ländern aussieht, und auch von den Ländern wissen wollen, ob sie denn überhaupt bereit sind, das umzusetzen. Denn wir haben ja auch in den vergangenen Wochen von praktisch allen bis auf zwei Länderjustizministern gehört, dass sie diese Regelung gar nicht umsetzen wollen, die jetzt in diesem neuen Gesetz drinsteht.
"Benötigen eine Altfall-Regelung"
Schulz: Wenn das drin bleiben sollte, könnten Sie dann im Bundestag, würden Sie dann im Bundestag zustimmen?
Castellucci: Ja das käme sehr stark darauf an, was sich auf der anderen Seite da noch tut. Wir haben ja insgesamt jetzt Gesetzesvorhaben. Das Einwanderungsgesetz ist noch in der Verhandlung und kommt dann ins Parlament. Wir haben die Frage, was passiert eigentlich mit Menschen, die ganz lange im Land sind und arbeiten, aber keinen sicheren Status haben. Zum Teil haben wir das ja selbst zu verantworten. Da geht es gar nicht um Identitätstäuschung oder irgendwas, sondern unsere Verfahren waren ja völlig überlastet in den Jahren 2015 folgende.
Unsere Vorstellung ist, dass wir gegenüber denjenigen, die uns ein bisschen auf dem Kopf herumtanzen oder sogar Übles vorhaben, dass wir da sehr streng sind. Gegen solche Haftplätze beispielsweise für Straftäter habe ich überhaupt gar nichts. Aber, dass wir großzügig gegenüber den Menschen sind, die sich hier nichts zu Schulden kommen lassen, seit vielen Jahren hier zeigen, dass sie hier ankommen wollen, und hier werden wir auch in die Verhandlungen noch mal einbringen, dass wir hier eine Altfall-Regelung brauchen, damit wir hier auch einen Schnitt haben und den Menschen im Land nicht signalisieren, dass hier alle abgeschoben werden können, nur weil sie den Duldungsstatus haben. Wer jahrelang einen Duldungsstatus hat und ohnehin nicht zurückkehren kann, dem sollte man helfen, hier in diesem Land gut anzukommen und zu unserem Wohlstand beizutragen. Das ist dann für alle gut.
Schulz: Jetzt würde ich mit Ihnen gerne noch auf die Pläne schauen für die Kürzungen der Sozialleistungen. Die sollen auch bis unters Existenzminimum gekürzt werden können. Wie existiert man unterhalb des Existenzminimums?
Castellucci: Unterhalb des Existenzminimums existiert man nicht. Das sagt ja schon der Begriff.
"Wir wollen steuern brauchen dafür Instrumente"
Schulz: Warum dann die Kürzung noch darunter?
Castellucci: Die Kürzung ist folgendes: Wir haben die Situation, dass Menschen in einem europäischen Land bereits Asyl gestellt haben und dann ein Antrag bewilligt wurde und trotzdem weiterreisen. Jetzt merken wir ja schon seit Jahren, dass das ganze europäische System nicht funktioniert. Das müsste grundlegend verändert werden. Die Frage ist, können zum Beispiel Asylanträge stärker von allen gemeinsam in einem gemeinsamen europäischen Asylsystem auch an den Außengrenzen durchgeführt werden und anschließend eine sinnvolle Verteilung, wer hat Platz, welche Sprachkenntnisse sind schon da, wer kann vielleicht auch bestimmte Kompetenzen brauchen, oder Familienzusammenführung. Diese Fragen, das so zu organisieren. Das ganze europäische Asylsystem funktioniert nicht. Solange es nicht funktioniert, haben wir aber die alten Regeln, und alte Regeln dann auch überhaupt nicht anzuwenden, ist natürlich auch keine Lösung.
Jetzt ist so wie in Deutschland auch die Regel vorgesehen, wenn irgendwo beantragt ist, wo man dann auch die Leistungen erhalten kann, dass man dann auch eine Verpflichtung hat, dort zu bleiben, weil sonst macht ja jeder gerade was er will. Das ist auch nicht in unserem Sinne. Wir wollen die ganze Sache steuern und ordnen und brauchen dafür auch Instrumente. Ich sehe, das ist definitiv auch ein kritischer Punkt, der auf die Verhandlungsmasse von unserer Seite draufgesattelt wird. Aber verstehen Sie den Hintergrund: Das ist die sogenannte Sekundärmigration, wenn man irgendwo angelandet ist und seine Verfahren durchläuft, dass man dann auch nicht einfach sich aussuchen kann, wo man als nächstes dann wieder hingeht.
Schulz: Aber es kann ja auch Menschen treffen, die hier in Deutschland ein Verfahren noch durchlaufen, die Gruppe, die anderswo schon einen Schutzstatus hat. Da könnte es eine komplette Streichung aller Sozialleistungen geben. Das könnte man bezeichnend verkürzen auf Wasser und Brot und noch eine Fahrkarte dazu. Ist es das, was das Grundgesetz meint mit "die Würde des Menschen ist unantastbar"?
Castellucci: Wir werden sicherstellen müssen – und das müssen dann die zuständigen Ministerien uns auch sagen -, dass jemand, der dann zurückkehrt, dort auch aufgehoben und anständig versorgt ist. Das ist der Grundsatz. Auch die Gerichte werden uns da helfen. Das haben sie in der Vergangenheit auch getan, indem sie gesagt haben, nach Griechenland in dieses Chaos, das dort damals herrschte auf den Inseln und so weiter, könnt ihr jetzt niemanden, auch Dublin hin oder her, zurückschicken. Italien ist teilweise ausgenommen gewesen von den Gerichten, dass dort keine Rücküberstellungen stattfinden. Wenn das dann entschieden ist, ist ja auch klar, dass dann die Versorgung in Deutschland stattfinden muss. Es wird niemand ins absolute Nichts gestoßen, aber das ist auch keine Sache, die wir einfach nur annehmen wollen, sondern die wir auch belastbar vorgelegt bekommen müssen.
"Menschenrechtliche Situation auf Fluchtrouten verbessern"
Schulz: Aber die Schlussfolgerung wollte ich mit Ihnen jetzt schon noch mal nachvollziehen. Selbst wenn Sie da nichts mehr nachverhandeln können – Sie haben es ja schon gesagt: Es gibt ja Unions-Politiker, die sogar umgekehrt von der SPD noch weitere Zugeständnisse verlangen -, wenn Sie da jetzt nichts mehr rausverhandeln können, dann macht die SPD trotzdem mit?
Castellucci: Wenn ich jetzt Ihnen unsere Verhandlungsstrategie verrate, dann ist das für die anderen ja ein schönes Osterfest, wo sie sich dann schon mal auf alles gut einstellen können. Ich sage Ihnen: Die Punkte, die Sie und auch von den Kirchen und anderen jetzt kritisch angemerkt haben, die sehen wir ebenfalls kritisch. Wir haben gleichzeitig sehr positive Punkte drin, dass Menschen früher Zugang zu Bildungseinrichtungen bekommen, dass die sogenannte Förderlücke geschlossen ist, Leute, die nicht studieren oder eine Ausbildung machen konnten, weil sie keine Unterstützung dafür bekommen konnten als Geflüchtete. Wir haben die Integrationskurse für mehrere Gruppen geäußert mit diesem ganzen Vorhaben.
Es sind sehr viele positive Punkte auch in diesem ganzen Paket mit drin. Alles ist für alle im Parlament Verhandlungsmasse und wir werden uns da zusammenraufen müssen. Was aber mein fester Wille ist, ist Einigung, weil ich glaube, dass wir in diesem Feld viel tun müssen. Allerdings das will ich vielleicht zum Schluss auch noch sagen: Es ist natürlich nun Quatsch, sich vorzustellen, wir könnten diese ganzen Fragen bei uns gut lösen. Wir müssen die Dinge an den Wurzeln packen. Wenn jemand zum Beispiel ohne Pass hier herkommt, dann liegt das daran, dass auf den Strecken ihm vielleicht jahrelang auf der Reise gesagt worden ist, Du musst Deinen Pass wegschmeißen, damit Du höhere Chancen hast, irgendwo anzukommen. Solche Kommunikation muss man durchbrechen mit einer anderen Kommunikation.
Es braucht Beratung und Informations- und Anlaufstellen entlang dieser Fluchtrouten und es braucht alternative Fluchtwege, es braucht legale Zugangswege nach Europa in geordnetem und begrenztem Umfang. Wenn wir das System insgesamt besser aufstellen und befähigen, dann sind wir auch nicht mehr in der Situation, hinterher bei uns zu gucken, wie wir die Leute wieder los werden, die hier aus Versehen im falschen Anlauf hier über Asylverfahren versucht haben, ein besseres Leben zu bekommen. Das nützt am Ende ja niemandem, uns nicht und denen nicht, ist auch sehr teuer. Diese Sache, auf die Ursachen zu schauen und auch entlang der Fluchtrouten die menschenrechtliche Situation zu verbessern, das ist eigentlich die Kernaufgabe, auf die wir uns stürzen müssen, und das sollte man in der Öffentlichkeit auch wirklich in den Vordergrund bekommen. Die Dinge sind nicht bei uns und innerhalb unserer Grenzen lösbar.
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